Taby sah mich leicht überfordert an. Ich hatte keine Ahnung, ob das, was ich von mir gegeben hatte, Sinn ergeben hatte. Aber es hatte sich angestaut. Es musste raus. Und es tat mir leid, dass Taby diejenige war, die das hören musste. «Noè, ich kann dich verstehen, aber er- Ich denke, dein Dad hat recht. Also, ich weiß nicht. Irgendwie hat er auch unrecht. Wenn du Dario brauchst, kann ich das vollkommen verstehen, aber ich kann ihn dir halt nicht einfangen und bringen. Ich wünschte, ich könnte, aber mir sind hier die Hände gebunden. Und ich will dir nicht jemanden bringen, der gerade auf emotionaler Ebene vollkommen abdreht und dir mehr wehtun als helfen würde.» Ich schluckte Tränen herunter und rieb mir meine Augen. Taby nahm mich in den Arm und zusammen liefen wir langsam nach Hause.

Also ich bog eine Abzweigung früher ab, weil ich zu Kelly musste. Tabea hatte schon recht. Etwas stimmte mit Dario nicht und was auch immer es war, es war im Moment zu viel für mich. Und so gerne ich mich darauf konzentrieren würde, musste ich im Moment wirklich auf mich selbst Acht geben. «Ich weiß, die Frage ist beschissen, aber wie geht es dir?» Kelly sah mich besorgt an. Sie musste meine verweinten Augen erblickt haben. «Scheiße», gab ich ehrlich zu und zog meine Knie an mich heran.

«Und was hast du schon versucht, um dich besser zu fühlen? Gab es etwas, was dir ein bisschen helfen konnte?» Schulterzuckend biss ich mir auf meine Unterlippe und dachte an die letzten Tage zurück. «Mein Dad und ich sind zusammen unsere Familienbücher durchgegangen und haben Bilder angeschaut. War irgendwie angenehm, aber halt auch ganz und gar nicht.» Kelly nickte und legte ihren Kopf schief. «Und weiter? Nur das?»

«Ehm... Ich hab versucht, mir einen neuen Anime reinzuhauen. Banana Fish. Wurde mir aber schnell zu viel. Nicht der richtige Anime, um sich zu trösten.» Kelly sah mich auffordernd an. Wahrscheinlich war es neu für sie, mir alles aus der Nase ziehen zu müssen. «Ich hab einen Brief an Mom geschrieben und ihn dann beim Marble als kleiner Papierflieger wegfliegen lassen. Ist nicht weit geflogen, aber hoffentlich bei ihr angekommen. Das hat mir sehr geholfen.» Meine Augen wurden glasig und ich konnte Kelly nicht mehr entgegenschauen. «Und ehm... Giacomo, Giorgia und Dario sind kurz vorbeigekommen. Dario konnte mir echt helfen, aber ja... Hat dann alles eine halbe Drehung hingelegt. Wir haben uns zerstritten.»

Kelly wechselte das Bein, auf dem sie saß. «Möchtest du genauer darüber reden? Oder willst du mir erzählen, wie dir der Brief an deine Mutter weitergeholfen hat?» Ich zuckte mit den Schultern. Die sonst so leckeren Kekse auf dem Tisch vor mir sahen heute zum Kotzen scheiße aus. «Also, der Brief an meine Mom war halt voll mit den letzten Worten, die ich ihr gerne noch gesagt hätte und ich habe mich bei ihr entschuldigt.» «Warum denn entschuldigt?» «Weil ich sie im Stich gelassen habe.» Kelly schüttelte den Kopf. «Hast du nicht, Noè.»

War sie sich da sicher? Ich konnte Dario davon abhalten, sich das Leben zu nehmen. Ich hätte es sicher auch bei Mom hinbekommen. «Hat sie Therapiestunden genommen?» Kelly nickte. «Wusstest du, wie es ihr ging?» Da schüttelte sie den Kopf. «Deine Mutter war regelmäßig bei mir und sie hat immer Wille zu kämpfen gezeigt. Sie und ich waren auf dem besten Weg, einander zu verstehen und helfen, aber-» Kelly rieb sich kurz die Augen. «Noè, Suizid kann, wie du weißt, geplant sein oder impulsiv in Betracht gezogen werden. Viele nehmen sich das Leben, weil sie in einem bestimmten Moment nicht mehr in die Zukunft schauen können. Das gibt es. Und ich weiß nicht, welcher Moment es für deine Mutter war, aber ich weiß, dass sie eine genauso große und starke Kämpferin war, wie du jetzt. Und-»

Ihre Worte brachen mir mein erst gerade frisch zusammengeklebtes Herz aufs Neue auseinander. «Ach, komm, Maus.» Sie kam zu mir rüber und nahm mich in ihre Arme. «Ich nehme an, du willst Antworten auf deine Fragen, aber bekommen wirst du sie wahrscheinlich nie. Es wird immer ein Rätsel bleiben, warum das so gekommen ist und es ist wichtig, dass du und auch wir alle zusammen, jetzt nicht am selben Ort stehenbleiben und nach Spuren suchen. Klar, lass uns für einige Zeit hierbleiben und es in uns aufnehmen, aber loszulassen steht uns allen zu. Jeder zu seiner eigenen Zeit.» Ich wusste nicht, was ich darauf antworten sollte. Wollte Kelly überhaupt etwas von mir hören? Wenn ja, was? Ich war offen für Anweisungen.

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