Kapitel 91

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Ich musste dabei zusehen, wie Vaughn diese Erkenntnis traf. Fester als ein Faustschlag ins Gesicht. Für diese Art von Schmerz hatte unsere Sprache nicht genug Worte. Er wusste sofort, dass es wahr ist. Er spürte es in seinem Innersten, genau da, wo ich es ebenfalls spürte. Ich sah, wie er meine letzten Handlungen hinterfragte, die Lüge, der Biss, und sie verstand.

„Oh, das wusste er nicht. Entzückend." Der Fürst grinste. „Arabella", tadelte er mich. „Seinen Seelengefährten hintergeht man doch nicht." Er schüttelte tadelnd den Kopf. „Nichts schmerz mehr als die Wahrheit. Einmal ausgesprochen kann sie alles verändern, nicht wahr?"

Noch immer floss das Blut und strömte zu Vaughn. Der größte Teil der Armee hatte die Schiffe erreicht. Auf der anderen Seite wüteten die Schatten immer wilder. Es war, als ob sie mit jedem Tod stärker wurden. Hungriger.

„Nun dann. Genug geplaudert", entschied der Fürst und das Leuchten seiner Augen wurde heller. „Ich weiß, was du mit deinen Wirbeln mit meinen armen Kriegern angestellt hast, deshalb warne ich dich vor, Arabella. Du wirst dabei zusehen müssen, wie ich sie alle umbringe. Dann wirst du so zerstört und innerlich leer sein, dass es mir ein Leichtes sein wird, die Dunkelheit auf ewig in dir festzusetzen."

Als mein Blick erneut zur alejandrische Armee blickte, waren dort nur noch Leichen. Soweit das Auge reichte, bis auf die einzelne Statur. Die Schatten strömten zurück, an ihrem Meister vorbei und prallten gegen Vaughns Barriere. Ich war noch immer machtlos, gefangen auf einem hellen Fleck in der todbringenden Dunkelheit. Immer wieder versuchte ich meine Magie auszusenden, doch die Dunkelheit verschluckte sie wie einzelne, verglühende Funken.

Die Schatten gingen jetzt gezielt zum Angriff über. Sie entfernten sich und warfen sich dann vereint gegen die Barriere. Das ganze Land schien unter dieser Wucht zu erschüttern. Die Drachen kreisten im sicheren Abstand über uns. Als würden sie auf etwas warten.

„Hör auf", bat ich den Fürsten. Mina war durch den Verlust von so viel Blut und Magie ganz blass geworden und Vaughns Iris wurde immer heller.

„Ach, Arabella, ich fange doch gerade erst an." Der Fürst nickte den anderen drei Reitern zu. Ihre Schattenpferde setzten sich in Bewegung und blieben vor Vaughns Barriere stehen. Dann zückten die Fürsten ihre Schwerter, dessen Klingen in einem ähnlichen rot leuchteten, wie ihre Augen. Sie schnitten durch die Barriere und Vaughn keucht auf. Sein Gesicht war schmerzverzerrt. Dann brach die Barriere endgültig.

Liora sank zu Boden, Rouven stützte sich auf seine Knie und Vaughn sah mich aus seinen viel zu hellen Augen unverwandt an und hob sein Schwert. Sie bildeten einen Kreis, um Liora herum, mobilisierten ihre letzten Kräfte und machten sich bereit ein letztes Mal zu kämpfen. Widerstand zu leisten, weil aufgeben keine Option war.

Die Schatten waberten in einigem Abstand um sie herum, schlossen sie ein, nahmen sie gefangen. Genau wie mich. Mein Herz pochte wild. Die Magie in meinem Inneren brannte lichterloh. Goldene Flammen brüllten. Glühende Funken tobten. Ich spürte sie an meinen Fingerspitzen lodern. Mein Blut begann zu kochen. Meine Magie breitete sich aus, nahm mehr Raum ein.

Als ich Azras Schrei und Verdikals Brüllen aus der Ferne hörte, wusste ich, was passiert war. Vaughn war entwaffnet. Er hatte eine Klinge am Hals. Rouven hatte seine Hand auf eine Schnittwunde an der Schulter gepresst und Oraziel lief das Blut über das ganze Gesicht. Keiner von ihnen war mehr bewaffnet.

Coilin erwiderte meinen Blick, als ich ihn ansah. „Bis in den Tod und noch weiter." Der Leitsatz des Nordens. Ich war nicht einmal dazu fähig, ihm zuzunicken.

„Wen soll ich zuerst töten?" Die Schatten schoben den hellen Fleck, auf dem ich stand, näher zu Vaughn. Der Fürst ritt neben mir her. Azra und Verdikal stürmten heran. Sie beachteten die Schatten nicht, bahnten sich einen Weg zu ihrem Herrn und griffen die Fürsten an. Einen Moment wirkten sie tatsächlich überrascht, aber dann kam Bewegung in die am Boden liegenden Schatten. Sie überrollten den riesigen Bären und den Greifvogel und als sie sie wieder freigaben, waren sie versteinert.

Vaughn trat vor, seine Miene wirkte beherrscht, aber ich sah den Sturm, der darunter tobte. Die Klinge des Fürsten schnitt in seine Kehle. Blut lief über seinen Hals, hinab in den oberen Teil seiner Rüstung. Bei diesem Anblick, Vaughns Blut, das Blut meines Seelengefährten, veränderte sich etwas in mir. Etwas rohes, unbändiges, uraltes stieg in mir auf. Ein Gefühl, das so ursprünglich wie das Leben selbst war.

Der Fürst neben mir gab einen blechernen Laut von sich, das wohl ein Lachen sein sollte. Obsidian brüllte. Dann ließ ich sie raus. All meine wütende, lodernde, unbändige Magie. Sie sprengte das Schild, dass meine Narben verbarg, sie sprengte die Schatten, zerstörte alles in meiner unmittelbaren Nähe.

„Das hättest du nicht tun sollen." Meine Stimme dröhnte, so erfüllt war ich von Magie. Magie, die sich ausbreitete und die Schatten zurückdrängte. Meine Stirn wurde heiß und in der Spiegelung von Viridians Klinge sah ich die goldene Krone, aus Licht geformt, die sich auf meinem Kopf befand, goldene Sterne und Sicheln, die auf meiner Stirn schimmerten, helle, weiß rote Flammen, die in meinen Augen loderten.

Viridians Klinge begann zu glühen und zu summen. Ein Lied, das nur wir beide verstanden. Dann stieß ich zu. Die Klinge direkt in die Brust des Fürsten, der Vaughn am nächsten war. Er zerfiel zu Staub, dessen Glühen nach einem kurzen Augenblick verlosch. Ich schritt durch die Schatten, als wären sie nichts, spürte weder ihre Kälte noch ihre Dunkelheit. Dort, wo meine Füße den Boden berührt hatten, blieb ein goldener Schimmer zurück. Dann tötete ich den zweiten Fürsten, den dritten.

„Weißt du Arabella, die besten Lügen sind die, in denen ein Funken Wahrheit steckt. Der dunkle König wusste das. Das hier hat eine überraschende Wendung genommen, angesichts deiner." Er deutete auf mich, auf meine Krone. „Herkunft, aber ich darf dir versichern, dass das nicht das letzte Mal gewesen ist, dass wir uns gesehen haben. Der dunkle König war ein nettes Gefäß, aber du wirst ein großartiges sein." Dann verwandelten sich seine Schatten zu Rauch und er verschwand.

Der Rest seiner Schatten, die nicht verschwunden waren, verglühten unter meinen Füßen zu Asche, die vom Wind davongetragen wurde.

Das Glühen in meinem Körper flammte ab, doch etwas blieb. Rote Linien auf meiner Haut. Sie begannen dort, wo mein Blut getrocknet war, und wanden sich von meinen Fingern bis zu meinem Hals und von meinen Knöcheln bis zu meinen Schultern. Meine Stirn fühlte sich warm an und als ich meine Hand wieder sinken ließ, sah ich den Ring. Nicht Aryas, sondern den, der unter meinem Schild verborgen gewesen war. Ich tastete nach dem Rubin an meinem Hals und auch er lag frei.

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Eventuell habe ich neben diesem hier auch die nächsten drei fertig und frage daher, ob ihr für eine Lesenacht heute seid?

Wie verbringt ihr Silvester morgen?

The Lost PrincessWhere stories live. Discover now