Kapitel 57

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Als ich am nächsten Morgen aufwachte, war ich sofort in Alarmbereitschaft. Etwas stimmte nicht. Leise, um weder Keno noch Okku zu wecken, zog ich mir etwas anderes an. Ich schlüpfte aus dem Zimmer und blieb wie angewurzelt stehen.

„Bella." Seine Stimme zu hören war erschreckend vertraut. Vaughn, der ihm offensichtlich dem Weg zu meinem Zimmer versperrt hatte, beobachtete uns reglos. „Komm bitte her." Unsicher trat er auf der Stelle. 

Es war das erste Mal, dass ich ihn sah und wirklich klar im Kopf war. „Villain, es tut mir..." Ich fand mich in seinen Armen wieder, noch bevor ich den Satz beenden konnte. Er zitterte und ich krallte meine Finger in seinen Umhang. 

„Ich bin so froh, dass es dir gut geht", gestand er leise. „Es tut mir so leid wegen Elion. Das war alles, was ich tun konnte." Ein Schluchzen bahnte sich einen Weg durch meine Kehle. 

„Ich weiß. Ich habe es verstanden. Den anderen geht es gut. Du glaubst nicht, was am Hof los war, als sie plötzlich vereint aufmarschiert sind und uns erzählt haben, dass du sie gerettet hast. Du hattest auf einen Schlag eine Menge Verehrer und Bewunderinnen bei uns." Erleichterung durchflutet mich wie das tückische Meer die Felsen der Vulkaninselns. 

„Ich kann gar nicht glauben, dass du hier bist", entfuhr es mir. 

„Hast du Besuch oder können wir hoch gehen?" Villain deutete auf die Tür zu meinem Zimmer in meinem Rücken. Ich grinste nur. 

„Lass mich dich erst mal herum führen." Ich wollte Vaughn nach seiner Einverständnis fragen, aber der war schon verschwunden. Achselzuckend zog ich Villain vom Turm in den Innenhof.

„Wie geht es Coilin und deiner Familie? Erzähl mir alles." Liora schaute mir mit großen Augen hinterher, als ich an ihr vorbei hüpfte und keine Anstalten machte, Villains Hand loszulassen. Ich war so aufgeregt und empfand so viel Freude, dass ich glaubte zu platzen, wenn ich ihr keinen Raum gab.

Mein Blick wanderte den Berg hinter dem Schloss hinauf. Er bestand ausschließlich aus grauem Stein und reichte höher als ich schauen konnte. Villain wirbelte mich in einer spielerischen Bewegung einmal um meine Achse und ich ließ gleichzeitig meine Magie in den Boden fließen. Die Erde saugte sie förmlich auf. Ich lächelte als er mich wieder an sich zog und festhielt.

Caylins Augenbrauen waren fast bis zu ihrem Haaransatz hoch gewandert, als ich sie anlächelte. Sie schüttelte verwirrt den Kopf und ich musste plötzlich lachen. Dann drehte ich mich erschrocken zu Villain um, der mich liebevoll betrachtete. „Du bist glücklich", stellte er zufrieden fest. Ich konnte nur nicken. Das erste Mal seit dem Bann, seit vielen Jahren, hatte ich wirklich gelacht. Ein Lachen voller Leichtigkeit, von dem ich lange nur träumen konnte.

„Wow." Liora stand nur wenige Schritte von uns entfernt und hatte den Blick auf den Berghang gelegt, der jetzt nicht mehr wieder zu erkennen war. Soweit das Auge reichte, hatten veilchenblaue, blassrosa, sonnengelbe und lavendelfarbene Blumen das grau vertrieben. 

„Das warst du, oder?" Villain hielt mich noch immer fest. Seine Hand strich über mein Haar, er sah mich an. Ich dagegen war vollkommen damit beschäftigt mein ungesund rasenden Herzschlag wieder zu besänftigen.

Mein Rücken vibrierte als Villain lachte. „Dabei war das doch noch gar nicht alles. Ich habe noch eine Überraschung für dich." Verständnislos drehte ich mich zu ihm um. 

„Eine Überraschung? Für mich? Wieso das denn?" 

„Ich wollte dir gerne eine Freude bereiten. Ich schulde dir doch so viel." 

Ich trat zurück. Erschrocken schüttelte ich den Kopf. „Nein, du schuldest mir gar nichts. Sag das bitte nie wieder." Die Realität hatte mich schmerzhaft aus meiner Blase geholt und der Aufprall war alles andere als sanft gewesen. War er nur hier, weil er dachte, mir etwas schuldig zu sein?

The Lost PrincessWhere stories live. Discover now