Kapitel 48

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„Ich kann dir helfen. Das meinte Caylin. Ich werde dir zeigen, wie du so kämpfen kannst, dass du ihn besiegen kannst."

Ich wirbelte zu ihm herum. „Ist das dein Ernst?", entfuhr es mir. „Glaubst du wirklich, dass ich etwas von dir  lernen möchte? Du hättest mich fast umgebracht. Du hast mich vor dem gesamten Hof gedemütigt. Alles was ich möchte ist von hier zu verschwinden. Ich werde alleine mit ihm fertig. Du solltest deine Fähigkeiten nicht zu hoch und meine nicht zu niedrig einschätzen!" Ich griff tief in mich, spürte das erste Mal seit über zehn Jahren meine eigene Magie. Ihr unbändiges Brodeln. Ich verließ den Raum und versah Vaughn mit einem komplizierten Schutzzauber, bei dem selbst er etwas Zeit investieren muss, um ihn zu lösen.

Die Magie wirbelte in meinem Kopf herum, ließ die Farben der Blumen bunter strahlen, die Wärme der Sonne heller leuchten und den Boden zu meinen Füßen weicher erscheinen. Ich hatte tatsächlich vollkommen vergessen, wie es sich anfühlte von Magie erfüllt zu werden. Ich wollte mich nicht daran erinnern, weil der Verlust dieses Gefühls vielleicht der Tropfen gewesen wäre, der das Fass zum Überlaufen gebracht hätte. Meine Haut prickelte und meine Wangen glühten. Meine weißblonden Haare fingen das Sonnenlicht auf und hielten es fest. Ich rannte in den Wald, dicht gefolgt von Osmium, der seine langen Beine im Sprung streckte, dessen Pfoten samtweich auf dem Boden landeten und dabei so anmutig aussah, dass ich den Blick kaum abwenden konnte.

Wäre ich künstlerisch begabt, wäre dass das Motiv, dass ich zu malen versucht hätte. Eine Fae und ein Schneeleopard, die in rasendem Tempo durch den Wald sprinteten. Die Bäume verwandelten sich zu einem einzigen Schatten, sie verloren ihre Konturen, als ich schneller wurde. Nur meinen geschärften Sinnen war es zu verdanken, dass ich weder die Bekanntschaft mit dem Waldboden, noch mit einem der Baumstämme oder der knorrigen Wurzeln machte.

Was mich schließlich zum Anhalten zwang war nicht meine brennende Lunge, sondern mein schmerzendes Inneres. Die Sehnsucht wuchs mit jedem Schritt, mit jedem scharfen Atemzug. Ich hielt inne, Osmium kam neben mir zum Stehen und sah mich aufmerksam an. Wir hatten den Wald durchquert und standen an der Grenze zur nördlichen Steppe. Meine Augen meinten das Glitzern des Meeres am Horizont sehen zu können. Ich bildete mir ein Seeluft in meiner Nase zu spüren, obwohl Tagesmärsche zwischen dem Meer und uns lagen.

Ich ging in die Knie, legte eine Hand auf den erdigen Boden, der mit einer weichen Schicht aus hellgrünem Moos bezogen war. Ich hatte zu mir selbst zurück gefunden. Der Weg war lang, die Niederschläge bitter und dennoch war ich hier. Hatte meinen freien Willen zurück. Lebte. Atmete. Lächelte.

Ich flüstere seinen Namen. Ließ meine Magie wie Spinnenfäden in den Boden sickern. In die Luft. In jede Windböe. Ich wartete.

Dann erhob ich mich, den Blick zur Sonne gerichtet, sammelte ich meine Energie und warf sie gebündelt hinaus. Ein Ruf, nur ob ihm Folge geleistet würde, war unklar.

Osmium kuschelte sich an mich, als ich mich am Stamm eines hohen Baumes niederließ, den nicht einmal fünf Fae umfassen konnten. Durch die hohe Blätterkrone beobachtete ich die vorbeiziehenden Wolken. Ein Lächeln auf meinen Lippen, das der Hoffnung geschuldet war.

„Das hat Spaß gemacht." Ich schreckte nicht zusammen, als Vaughn aus dem Nichts hervortrat.

„Ich hatte gehofft du würdest länger brauchen", verkündetet ich gelangweilt.

„Damit du noch länger, was? Hier sitzen und die Aussicht genießen kannst?" Spott lag in seiner Stimme.

„So in etwa." Ein Runzeln seiner Augenbraue veränderte seinen Ausdruck. Mit einer Hand am Boden bemerkte ich das Beben sofort. Es war leicht, sehr weit weg. Doch es kam näher. Ich stand auf und schob mich an Vaughn vorbei.

„Das könnte die Armee sein." Doch er wusste, dass dem nicht so war. Beide Hände aufs Herz gepresst, sah ich wie gebannt auf die winzige Staubwolke, die am Horizont aufgewirbelt wurde. Die Sonne würde bald ins Meer tauchen und veränderte die Farbe ihrer Strahlen mit jedem Augenblick. Von orangegelb zu einem hellen rot. Von einem sanften pink zu einem matten lila. Von strahlendem gelb in warmes blau.

„Ich bin hier", flüsterte ich dem Wind entgegen. Vaughn wollte einen Schutzzauber über uns werfen, aber ich wehrte ihn kurzerhand ab. Im magischen Augenblick zwischen dem Übergang von Tag zu Nacht, an der die Sonne ihre letzten Strahlen in die Dunkelheit der Nacht warf, formte sich die Silhouette eines Pferdes aus der Wolke, die in einem Tempo näher kam, das man mit bloßen Auge kaum erfassen konnte. Ich ging der Wolke mit zittrigen Schritten entgegen und schirmte Vaughn mit einem kleinen Zauber am, damit er mir nicht folgen konnte.

Tränen liefen mir über die Wange, als der Wind ein Wiehern zu mir trug. Sein Wiehern. Er kam vor mir zu stehen, so nah, dass meine Stirn seine berührte als er den Kopf senkte. „Andalessio." Sein weiches Fell strahlte Wärme aus und ich hörte das Schnauben aus seinen Nüstern, das mir so vertraut war, wie mein eigener Atem.

„Es ist so schön dich zu sehen, alter Freund." Meine Stimme zitterte, so ergriffen war ich. Die Tränen liefen über meine Wange und ich ließ es geschehen. Er hatte sie verdient. Jede einzelne davon.

Er sah mich an. 'Es ist auch schön dich zu sehen.' Ich hob die Hand und vergrub sie in seinem Fell, strich über seine Stirn, den langen geschwungen Hals und über den Rücken. Sein Fell strahlte wie nie zuvor. Weil er in Freiheit gelebt hatte.

Mit einem leisen Schnauben wies er mich auf das hin, was er mitgebracht hatte. Mein Atem stockte, als ich sie erblickte. Eine ganze Herde voller andalesischer Stallions. Einer schöner, als der andere. Ich sah ein paar bekannte Blessen und vertraute Ohren und welche, die mir unbekannt waren. „Es ist euch gut ergangen", freute ich mich. Die Tränen versiegten nicht, ganz im Gegenteil. Mit jeder Sekunde, in der ich mein Glück nicht fassen konnte, nahmen sie zu.

Andalessio stellte sich so neben mich, dass ich problemlos aufsteigen konnte. „Ich weiß gar nicht, wo ich hin will", gab ich leise zu und vergrub den Kopf an seinem Hals, atmete tief ein, die Finger in seine dichte pechschwarze Mähne gelegt.

„Sie sind nicht bei dem Feuer umgekommen. Du hast es geschafft sie rechtzeitig zu befreien." Vaughn war nur wenige Schritte von uns entfernt. Andalessios Ohren spielten aufmerksam. Eines in meine Richtung gewandt, eines in Vaughns. Ich antwortete nicht. Die Ehrfurcht auf seinem Gesicht war mir so fremd und kam derart überraschend, dass ich erstarrte. Osmium beobachtete die Pferde aus sicherem Abstand. Er wollte ihnen keine Angst machen.

„Du hast sie gerettet und es geheim gehalten." Sein Blick fixierte mich, während er seine Schlüsse zog. „Was hast du noch für Geheimnisse, Belle?" Ich zuckte mit den Schultern und in einem übergeschnappten Zug von Leichtsinnigkeit zwinkerte ich ihm zu, bevor ich mich auf Alessandros Rücken vorbeugte. In seinem Blick lag etwas, was meine Laune auf ein noch höheres Level an Zufriedenheit anschwellen ließ.

„Versuch doch sie zu finden." Den warmen Pferderücken unter mir und die Hände in der Mähne vergraben, drehte ich mich grinsend zu ihm um. „Ich werde dafür sogen, dass du scheiterst." Ich beugte mich weiter vor, als Andalessio angaloppierte und seine Geschwindigkeit zunahm, so lange bis er mit dem Wind mithalten konnte.

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Eins geht noch, oder? ♥

Was motiviert euch zum Schreiben? Was lässt euch weiter machen, wenn ihr eigentlich aufgeben wollt?

Bei mir ist es auf jeden Fall Hoffnung. Ich bin überaus optimistisch und bin dann doch oft ganz schön getroffen, wenn mich die Realität einholt. Ansonsten sind es tatsächlich manchmal Bücher, die ich gelesen habe und die mir gar nicht gefallen habe. Bei denen denke ich dann, wenn die DAS veröffentlicht haben, sollte ich es auch schaffen. Oder Bücher, die so so so genial sind, dass sie mich dazu inspirieren weiter zu machen.

The Lost PrincessOpowieści tętniące życiem. Odkryj je teraz