Kapitel 15

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Ich fokussierte mich auf den Schnee auf meiner Haut, das Eis unter meinen Füßen und die Anwesenheit der beiden Fae. Ich nahm alle Eindrücke in mich auf und hielt sie fest. Hielt mich hier fest. An der Spitze dieser Klippe. An meinem Leben.

Ich blieb stehen,während die Macht der Verbindung endgültig versiegte. Ich hielt mich auf den Beinen, bis die Dunkelheit aus mir herausgeströmt war. Dann drohten meine Beine nachzugeben. Mein Kopf sackte nach vorne, als meine Muskeln nachgaben. Der Sog ließ nach, hörte auf an mir zu zerren und ich fiel auf die Knie.

Als ich den Kopf hob, war ich überwältigt.

Ich musste die Augen zusammen kneifen, um nicht von der Helligkeit geblendet zu werden. Meine Finger zerrieben Schnee zwischen den Fingern und die Kälte, die mich dabei erfasste, ließ mein Herz erfreut schneller schlagen. Ich richtete mich auf und sah der strahlenden Sonne entgegen, die sich über dem Meer erhob. Behutsam fanden meine Finger den Weg zu meinem Gesicht. Die Maske fiel in meine Hände, als wäre sie nichts weiter als harmloses Stück Stoff. Ich formte einen Eisklotz um sie herum und schleuderte sie ins Meer. Sie sank tiefer und tiefer. Erst als sie am Grund des Meeres angekommen war, versiegelte ich es. Niemals wieder sollte dieser Schleier das Licht der Sonne wiedersehen.

Als ich mich umdrehte und sie ansah, atmete Villain zischend aus und Coilin pfiff anerkennend. Sie einfach nur ansehen zu können, ohne Magie benutzen zu müssen, empfand ich eine so enorme Erleichterung, dass meine Augen begannen zu brennen. Coilin ließ mich sehen, was er sah. Wie meine Augen leuchteten und wie sich um die tiefblaue Iris ein pechschwarzer Ring gelegt hatte. Zur Pupille hin waren vereinzelt helle goldgelbe Punkte auszumachen.

Erkenntnis breitete sich auf Villains Zügen aus. Und ich wusste, wieso. Die kindlichen Zügen waren wie weggewischt, aber dennoch konnte man das kleine Mädchen noch erkennen. Die Wangen waren nicht mehr rund. Stattdessen lag um den Mund ein ernster Zug. Meine Augenbrauen waren gebogen und um die Nase herum waren keine Sommersprossen mehr.

Coilin verbeugte sich in einer eleganten Bewegung. Das erst erlöste mich aus meiner Starre. Mein Blick wanderte zum Schloss, wo helle Aufruhr herrschte. Dann schnellt mein Blick zu Villain.

„Es tut mir leid." Ohne zu überlegen, hatte ich das erste ausgesprochen, was mir in den Sinn kam. Meine Stimme war rau und traurig. Als wäre jede je empfundene Freude mit der Dunkelheit erstickt worden. Ich wusste genau, dass es keine Worte gab, die seinen Verlust aufwiegen könnten. Er wusste das auch. Trotzdem nickte er mir zu und gab mir eine Chance, die zu haben, ich mir nicht im Traum gewünscht hätte.

„Erklär es uns."

Mein Atem stockte. Ich spürte das melancholische Lächeln auf meinen Lippen. Kummer und Schmerz waren so real, wie der eisige Wind, der über meine Haut strich.

„Er hatte die Kontrolle." Mit zitternder Stimme nahm ich mir vor es wenigstens zu versuchen. Versuchen zu erklären, was geschehen war. Mein Blick war an Villain und Coilin vorbei gerichtet. „Kurz nach dem Tod meiner Mutter ist er in meinen Geist eingedrungen. Zuerst immer nur kurz.Er hat mir gesagt, es wäre eine Art Training. Doch es wirkte als hätte er nach etwas gesucht. Ich hatte danach immer Kopfschmerzen und war total durcheinander. Die Sitzungen wurden immer länger. Immer häufiger wurde ich zu ihm gerufen. Immer weniger habe ich wahr genommen. Immer unbedeutender wurde alles um mich herum. Bis ich kaum noch existierte. Er hat mich in meinem eigenen Geist weggesperrt. Über Jahre hinweg."

Ich möchte es ihnen erklären. Es ist mein Wunsch. Mein Wille. Meine Entscheidung. Mein Mantra wiederholend und den Blick auf das glitzernde Eis hinter den beiden gerichtet, schickte ich ihnen entsprechende Bilder. Teile meiner Erinnerung, auf die ich Zugriff hatte.

„Nur selten war ich bei Bewusstsein und habe verstanden, was um mich herum vorging. Die meiste Zeit war ich in einer Art Dämmerzustand. Manchmal habe ich mich aus seiner Perspektiven gesehen. Manchmal habe ich gedacht ich wäre tot und manchmal habe ich es mir gewünscht. Ich habe seine Stimme gehört, immer. Seine Empfindungen haben sich auf mich übertragen. Ich konnte nicht mehr unterscheiden, was er fühlte und was ich fühlte. Ich wusste nicht, was ich tat und selbst wenn ich es wusste, das Grauen mitangesehen habe, hatte ich keine Kontrolle. Ich war vollkommen machtlos." Der dunkle Umhang bauschte sich um mich herum auf, als er von einer besonders eisige Böe erfasst wurde. Meine Stimme brach.

„Ich werde ihn besiegen." Zum ersten Mal wagte ich es, Villain direkt anzusehen. Er sah die Entschlossenheit in meinem Blick. „Er denkt ich bin tot. Mit eurer Hilfe werde ich es schaffen. Ich werde ihn umbringen."

Coilin schaute von einem zum anderen. „Ich bin dabei." Er nickte entschlossen. „Wie lautet unser Plan?"

Meine Augen weiten sich ungläubig. „Warum?", fragte ich neugierig.

„Ich glaube, dass das etwas ist wofür es sich zu kämpfen lohnt." Seine Antwort war schlicht und passte zu dem Eindruck, den ich von dem jungen Prinzen hatte.

„Wie wollt ihr das Eurem Vater erklären?" Ich löste nacheinander die Bänder aus meinem Haar, die meine Frisur zusammen hielten. Meine strahlend blonden Haare fielen bis zu der Stelle, wo mein Gürtel hängen würde, wenn ich mein Schwert umgebunden hätte.

Die Sonne tauchte ins Meer und lieferte der Welt das letztes Schauspiel des Tages. Mit Tränen in den Augen sog ich den Anblick in mich auf. Mein Herz pochte vor Freude und meine Lippen zuckten verdächtig. Strahlende rosa Schlieren trafen auf fliederfarbene Wolken. Auf dem Meer spiegelte sich das Gelb der Sonne mit einem leuchtenden orange und einem kräftigen rot.

„Ich werde ihm sagen, dass ich mit Prinz Villain auf eine Mission gehe", antwortete er schulterzuckend.

„Okay." Ich wandte mich schweren Herzens vom Anblick des Meeres ab. „Dann muss Villain nur noch zustimmen." Meine Haltung war entschlossen, aber meine Stimme unsicher. Als ich zu ihm schaute, lag sein Blick bereits auf mir. In seinen Augen standen widersprüchliche Emotionen. Ein Hauch Erleichterung stand im Gegensatz zu einer ganzen Woge Enttäuschung. Wut im Gegensatz zu Sorge. Hoffnung stand Angst gegenüber. Als er eine Entscheidung fällte, bemerkte ich seinen angespannten Kiefer. Alles an ihm war bereit zu kämpfen. Es war nur die Frage gegen wen.

Er holte tief Luft und setzte einen Schritt nach vorne, so stand er mit Coilin auf einer Höhe. Die beiden Fae hatten eine ähnliche Figur. Muskulös und groß, aber nicht protzig und schwerfällig.

„Wir müssen unsere nächsten Schritte planen. Wir brauchen einen Rückzugsort." Villains Worte ließen mein Herz unerwartet schneller schlagen. Ich sah ihn noch immer an und konnte kaum glauben, dass nach allem was geschehen war, diese zwei Prinzen bereit waren an meiner Seite zu kämpfen.

„Ich wüsste einen." Spitzbübisch grinsend streckte Coilin mir seine Hand entgegen. Ich nahm diese, nickte dann und legte meine Hand auf Villains Arm.

Einen Schritt später standen wir vor einer hölzernen Hütte. Sie sah unscheinbar aus, war zum großen Teil von den hohen Bäumen bedeckt, die um sie herum standen, doch beim Eintreten bemerkte ich sofort die Magie, die ein Teil dieses Hauses war.

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The Lost PrincessWhere stories live. Discover now