Kapitel 80

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Als der Höhepunkt der Nacht sich näherte, die Sterne heller funkelten und der Mond zum Greifen nah erschien, verstummte die Musik.

Die Fae strömten nach vorne und schoben uns unwillkürlich mit sich. Arya und ich wechselten einen Blick und ich zuckte mit den Schultern. Es schien als würden sich zwei Reihen bilden. Wieder hielt ich Ausschau nach Vaughn oder Coilin, entdeckte sie aber nicht.

„Hast du Liora schon gesehen?", fragte ich. Arya schüttelte den Kopf. Wir waren gleich an der Reihe uns zu entscheiden, ob wir uns rechts oder links einordnen sollten, da legte sich eine Hand auf meine Schulter. Es war der Wilkie mit dem tollen Lidstrich.

„Ihr solltet nach vorne gehen." Er nickte zum Anfang der Schlange. „Erinnert Euch an mich, wenn Ihr eure Entscheidung trefft." Verwirrt sah ich ihm nach, dann schob ich Arya und mich an den Wartenden vorbei.

„Weißt du jetzt, was...", begann sie, doch ich schüttelte den Kopf.

„Keine Ahnung", erwiderte ich.

Vaughn grinste mich an, sobald wir den Beginn der Schlange erreicht hatten. „Schön, dass du es einrichten konntest, Prinzessin." Ich runzelte die Stirn. In seiner Stimme lag etwas, was ich nicht ganz einordnen konnte. Arya stand bei Caylin, die ihr etwas zuflüsterte. Ihr Blick wanderte zu mir und wurde fassungsloser, je mehr Caylin ihr erzählte.

„Vaughn", begann ich. Doch er hatte sich den Wartenden zugewandt. Ich hörte ihm nicht zu. Ich war viel zu abgelenkt von der goldenen Schüssel und dem kunstvoll verzierten Messer, das jede Waffe, die ich bisher gesehen hatte, mit Leichtigkeit in den Schatten stellte. Runen prägten den hölzernen Griff, die mir aus den ältesten Büchern der Bibliothek bekannt vorkamen. Die silberne Klinge funkelte im Licht

Erst jetzt bemerkte ich, dass sich im hintersten Teil des Saals eine Gruppe versammelt hatte, die sich keiner der beiden Schlangen angeschlossen zu haben schien. Dann war da ein Knistern in der Luft, ein Geruch, der sowohl süßlich wie auch hölzern, uralt und taufrisch in sich vereinte. Etwas an ihm erinnerte mich an die Höhle, die ich durch Heelas Wunsch, den ich erfüllen musste, betreten hatte. An die Begegnung mit der schneeweißen Eule.

Ein metallener Geruch überdeckte diesen, als die erste Fae in der rechten Schlange, sich mit dem Messer in den Unterarm schnitt. Da wusste ich, was das hier werden würde. Von welch altem Ritual ich gleich Zeugin werden würde.

Das Blut tropfte von ihrem Arm und wurde von einer Priesterin mit der goldenen Schüssel aufgefangen. Sie gab das Messer an den Fae neben ihr weiter. Auch der schnitt sich in den Arm und ließ das Blut in die Schüssel tropfen.

Durch ihr Blut, gaben sie etwas von ihrer Magie. Es würde den Fae überreicht werden, die in den Krieg ziehen. Und obwohl, oder gerade weil, es allen freistand, ob sie ihre Magie teilen wollten oder nicht, bewunderte ich jeden, der sich dafür entschied.

Vaughn trat neben mich. Den Blick auf die Fae gerichtet, die gerade das Messer führte. Seine Hand legte sich auf meinen unteren Rücken. Der durch den tiefen Ausschnitt des Kleid frei lag. Seine Finger rieselten wie heiße Funken über meine Wirbelsäule nach oben. „Die Bemalung ist Runa wirklich gut gelungen." Er strich meine Wirbelsäule hinunter, folgte der Spur aus Sternen und Monden und begann ihre Form nachzuzeichnen.

Ich räusperte mich. „Das freut sie bestimmt zu hören."

„Ganz bestimmt."

„Mir gefallen sie sogar so gut, dass ich überlegt habe mir ein bleibendes Tattoo dieser Art stechen zu lassen," gab ich leise zu.

„Tatsächlich?" Interesse blitzte in seinen Augen auf. „Auch dieses Motiv?"

„Unbedingt! Schon als Kind habe ich die Nacht nie gefürchtet. Der Mond und die Sterne haben mich einige Mal gerettet und sind mir bis heute noch eine Zuflucht."

„Das klingt, als ob du es unbedingt tun solltest." Er lächelte mich kurz an, bevor sein Blick sich auf den Fae heftete, dessen Blut gerade in die Schüssel floss. Inzwischen war die Priesterin bei der Mitte angekommen.

Ich musste an Heelas Worte denken. Das hier war zwar eine Überraschung für mich gewesen, aber keine, die den Hohn in ihrer Stimme wert gewesen wäre.

„Glaube ich auch", flüsterte ich und er strich als Antwort über die nackte Haut meines Rückens. Aus dem Augenwinkel sah ich, dass sein schwarzes Hemd unverschämt weit aufgeknöpft war und den Ansatz seiner Brustmuskeln zeigte. Seine Augen glühten, als würde er meinen Blick spüren und ich atmete etwas zu angestrengt ein und aus um mich zu beruhigen.

Seine Mundwinkel kräuselten sich amüsiert, woraufhin ich sein Schutzschild abtastete und bemerkte, dass er es bereits für mich gesenkt hatte. Ich ließ meine Magie über seine Brust und weiter nach unten streichen und bemerkte zufrieden, wie er erstarrte.

Der Druck seiner Finger auf meinem Rücken verstärkte sich und ich sah betont unschuldig zur Seite. Heela und Mina standen ganz rechts, neben ihnen Caylin, Arya und Liora. Vor allem Heelas Miene sah nicht gerade nach Sommer, Sonne Sonnenschein aus, sondern eher nach einem wütenden, tosenden Sturm.

Neben mir standen Oraziel, Rouven und Coilin, der mir fröhlich zuzwinkerte. Von Villain fehlte jegliche Spur und auch in der linken Schlange war er nicht zu finden.

Als die Priesterin mittig zwischen den Reihen stand, nickte sie Vaughn kurz. Sie schloss die Augen, hob die Schale dem Himmel entgegen und begann in einer Sprache zu flüstern, die älter sein musste als alle Fae in diesem Saal. Noch nachdem ihre Worte verklungen waren, hielt die ehrfürchtige Stille an.

Als sie die Schüssel senkte, schimmerte das Blut silbern. Sie schritt zum Anfang der Schlange und reichte die Schüssel dem Fae, der vorne in der linken Reihe stand. Er neigte dankbar den Kopf und hob sie an seine Lippen. Seine Lippe war von Blut benetzt, als er sie senkte und der Priesterin zurückgab. Dann kniete er sich hin und senkte den Blick.

Die nächste Fae machte es genauso. Bis die gesamte Reihe kniete vor denen, die ihr gegenüberstanden, die ihnen ein Teil ihrer Magie geschenkt hatten.

„Ich danke Euch." Erneut ergriff Vaughn das Wort. „Ihr dürft Euch nun erheben", richtete er das Wort an die Fae, links von ihm. „Möge dieser Krieg siegreich werden!"

Wie aus einem Mund wiederholte die Menge seine Worte.

The Lost PrincessWhere stories live. Discover now