Kapitel 61

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Bald lichtete sich die Dunkelheit so weit, dass ich erkennen konnte, wie Vaughns Schattenarmee sich durch die Reihen der Nigroms pflügte. Die Luft knisterte und bebte vor Magie. Eine allzu bekannte Silhouette spazierte mit einer lässigen Arroganz auf mich zu, die so gar nicht zu der Szenerie passte. Ohne den Blick von mir abzuwenden, schaltete er seine Gegner nieder. Die Präzision, die er dabei an den Tag legte, ließ mich einen Moment ehrfürchtig innehalten. Sobald der Schlag sein Ziel erreicht hat, knisterte einen Wimpernschlag lang seine bläulicher Magie in der Dunkelheit.

Als Vaughn bei mir angekommen war, wanderte sein Blick suchend über meinem Körper. Mit einer ruppigen Bewegung drehte er mich um und tastete meine Rückseite ab. Ich stieß mich von ihm ab und funkelte ihn böse an. „Bist du fertig damit die Situation auszunutzen, um mich anfassen zu können?" 

Er ignorierte den bittersüßen Tonfall meiner Stimme und zwinkerte mir zu. „Ich wollte nur sichergehen, dass du nicht eine Verletzung vorschieben kannst, um dem Gespräch über die vergangene Nacht auszuweichen."

„Du tust, als gäbe es etwas, was man bereden könnte", feixte ich und widmete mich energisch den letzten Schattenwaben. Als die Luft wieder rein und der Himmel in seinem herrlichen Blau hoch über uns leuchtete, atmete ich auf. 

Arya kam auf mich zugerannt. Hinter ihr sah ich Les Schatten aufragen und lächelte plötzlich. Erst jetzt bemerkte ich meinen donnernden Herzschlag. Vaughn hatte meine Aufmerksamkeit so beansprucht, dass ich für einen Moment vergessen hatte, in was für einer Situation ich mich noch vor wenigen Augenblicken befunden hatte. Ich empfing Arya mit offenen Armen und drückte sie genauso fest, wie sie mich. 

„Ich bin froh, dass es dir gut geht. Wir haben noch viel zu viel nachzuholen", brach sie erstickt hervor. Ich stimmte ihr mit einem erleichterten Lachen zu und versuchte zu erkennen, ob es auf unserer Seite Verletzte gab. Mein Blick wanderte über das Schlachtfeld bis ein einsamer Reiter meine Aufmerksamkeit auf sich zog.

  „Villain." Ich hob überrascht den Blick, als er sein Pferd erst eine Handbreit vor uns durchparieren ließ. 

„Netter Trick. Nochmal wird das nicht funktionieren." Erst einige perplexe Momente später, verstand ich, dass seine Worte nicht an mich, sondern an Vaughn gerichtet waren. Dieser schaute kein bisschen erstaunt, sondern grinste lediglich selbstgefällig.

„Belle, ich erwarte Cy und Coilins Ankunft innerhalb der nächsten Tagen. Wir feiern dann in unseren Privatgemächern eine kleine Willkommensparty." 

Das erste, was ich empfand, war Scham. Scham darüber, dass ich kaum an die beiden gedacht habe, seit ich hier war. „Ich freue mich sie wiederzusehen", sagte ich ehrlich und erntete ein zufriedenes Lächeln von Villain.

Mit einem Grinsen drehte ich mich zu Vaughn um, dem Villains Betonung auf das Wort Privat genauso wenig entgangen war, wie mir. Er schien tatsächlich wütend, aber ich bezweifelte, dass Villains absichtlich provozierender Seitenhieb der Grund war. Wahrscheinlicher war, dass er sauer war, dass wir uns so vor der kommenden Kriegssitzung drücken würden, obwohl ich da eigentlich ganz gerne teilnehmen würde.

„Was ist denn eigentlich genau geschehen?", hakte Arya nach und ich sank etwas in mich zusammen. Ich begann an dem Punkt, als die plötzliche Stille den Wald einnahm und endete mit den geschmacklosen Drohungen des Nigromfürsten.

„Das ist merkwürdig", murmelte Villain nachdenklich.

„Ach echt?", feixte Vaughn. „Auf diesen Gedanken wäre wirklich niemand von alleine gekommen." Er hob spöttisch eine Braue und beantwortete meinen warnenden Blick nur mit einem unschuldigen Grinsen. Ich hatte von einem mindestens zweihundert Jahre alten Fae definitiv mehr Reife erwartet. „Ich werde meine Leute darauf ansetzen", fügte er an mich gewandt hinzu. Ich nickte nur und dachte für einen kurzen Moment an meinen kleinen Osmium, der sicher ein Knurren zu der Stimmung des Gesprächs beigetragen hätte.

„Ach und Bella", hinderte Vaughn mich an der Flucht vor diesen merkwürdigen Schwingungen, „wegen gestern Nacht. Ich habe es unterbrochen, weil ich nicht wusste, wie zurechnungsfähig du warst." Ich spürte das Zucken meiner Magie, die plötzlich mit gewaltiger Geschwindigkeit durch meinen Körper pulsierte. Sie prickelte vorfreudig in meinen Fingern. „Ich meine du warst so berauscht von unserem, wie nennt man etwas dergleichen? Training? Mir war es unmöglich zu erkennen, ob du das wirklich willst oder nur so von Verlangen trunken warst, dass du alles andere vergessen hast." 

Rouven, der Mistkerl, grinste breit über meinen Gesichtsausdruck, der mir mehr und mehr zu entgleißen schien. Das hatte er nicht wirklich getan? Das hatte er nicht wirklich gesagt? Vor allen? Ich sah rüber zu Arya, die mich mit riesigen ungläubigen Augen anstarrte und zu Villain musste ich gar nicht erst schauen, sein brennender Blick bohrte sich zornig in meinen Rücken.

Ich sah Vaughn fest in die Augen, als ich mich umdrehte. Seine Haltung strotzte vor männlicher Arroganz und Dominanz, doch ich gab mich völlig unbeeindruckt. Keine Sorge, das wird nicht nicht nochmal passieren, teilte ich ihm telepathisch mit. Als ich ihn stehen lassen wollte, bewegten sich meine Füße keinen winzigen Schritt. Lass mich sofort frei oder du wirst es bereuen, drohte ich stumm und sammelte meine Macht. 

Ich spürte sein Augen verdrehen mehr als das ich es sah, obwohl ich ihm gegenüber stand. Sei doch nicht immer so dramatisch, Bella. Er betonte meinen Spitznamen derart abfällig, dass ich erst überrascht und dann nahezu triumphierend reagierte. Weißt du, Villain und mein Verhältnis ist kompliziert, aber wenn ich noch einmal in einer ähnlichen Lage, wie gestern bin, wird er mich bestimmt nicht wegschicken, wenn ich in sein Schlafgemach komme.

Eine Welle brodelnder Zorn traf mich, doch ich hatte nichts anderes erwartet. Ich löste seine Magie um meine Beine und ging. Die anderen hatten unseren stummen Schlagabtausch mit einer Mischung aus Argwohn und Überraschung beobachtete und nur Arya löste sich aus ihrer Starre und folgte mir.

„Du brauchst dich nicht schämen, Prinzessin. Das ist eine ganz natürliche Reaktion, wenn man jemanden in seinen Geist einlässt." Jemand keuchte erschrocken auf. Ich biss die Zähne zusammen und ging weiter. 

Ich. 
Würde. 
Vaughn. 
Umbringen.

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Wie hat euch das Kapitel gefallen? Glaubt ihr es kommt noch öfter zu solchen Situationen?💥

Was sagt ihr denn eigentlich inzwischen zu Vaughn und zu Villain?

The Lost PrincessWhere stories live. Discover now