Kapitel 58

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Als wir im letzten Licht der untergehenden Sonne zum Schloss zurückkehrten, sahen wir von Weiten, dass der Innenhof mit Ketten aus Lampions und unzähligen Kerzen geschmückt war. Der Klang eines Streichinstruments lag in der Luft und unzählige kleine Glühkäfer leuchteten uns den Weg. „Die haben wir früher gefangen", erinnerte mich Arya und ich nickte kichernd. 

„Nur weil wir wissen wollen, ob wir auch fliegen können, wenn wir genug davon haben." 

Das Fell des schwarzen Hengsts schimmerte in dem sanften Licht und Les stolzierte auf die Feier zu als wäre er der Ehrengast auf diesem Fest. Aryas Stute schnaubte und schien damit meinen Gedanken zu bestätigen. „Ich war noch nie auf einem so schönen Fest." Arya war von Ehrfurch erfasst und komischerweise erging es mir kaum anders. Wir verzichteten darauf uns umzuziehen und beschlossen, dass unsere leichten Kleider ausreichten.

Im Innenhof angekommen überwältigte uns der Anblick. Der Hang des Berges war von so vielen Glühkäfern besiedelt, dass es den Anschein besaß er würde brennen. Und das in unzähligen verschiedenen Tönen. Die Farben der Blüten verschmolzen in dem Licht der Käfer und bildeten eine einzige bunte, leuchtende Fläche. „Das ist...", brach es aus mir heraus.

„Atemberaubend", beendete Arya meinen Satz. Während wir inne hielten und den Anblick in uns aufsogen.

Es war ein Tisch mit Essen aufgebaut und an einem anderen bekam man Mondschatten. Villain löste sich aus einer der Gruppen, als er uns entdeckte. 

„Da seid ihr ja." Er strahlte und half mir von Les. „Na, alter Freund." Er klopfte ihm den Hals und ich kraulte ihn noch kurz hinter den Ohren bevor ich ihn seinen nächtlichen Aktivitäten nachgehen ließ.

Vaughn stand mit seinen Schwestern zusammen und alle hielten ein Glas leuchtend weißen Mondschatten in der Hand. Einen Augenblick später, reichte Arya mir ebenfalls so ein Glas und noch während ich darüber nachdachte, wo sie das so schnell hergezaubert hatte, trat mir eine vertraute Silhouette in den Weg. 

„Arabella, können wir kurz reden?" Rouven fühlte sich sichtlich unwohl, doch das machte mir nichts. Mir war schon klar, dass ich ihn anhören musste, doch eigentlich hätte ich mir dafür noch einiges an Zeit genommen. Da ich Vaughn jedoch auch irgendwie verziehen hatte und heute ein besonders toller Tag war, beschloss ich zuzustimmen. 

„Ich komme gleich wieder." Villains Blick folgte uns als wir durch die Leuchtkäfer und an den Lampionketten vorbei gingen.

Rouven blieb stehen und nippte an seinem Glas. Es war ungewohnt den sonst so selbstbewussten Krieger unsicher zu sehen. „Ich wollte dir sagen, dass es mir leidtut. Es war nicht richtig dich zu hintergehen. Und das nächste Mal werde ich Vaughn sagen, dass er sich jemand anderes dafür suchen muss." 

Das war sogar mehr als ich erwartet hatte. „Schon okay, ich verstehe ja, warum ihr es getan habt. Deine Treue gilt ihm und das weiß ich auch. Ich würde nur gerne als eine Art Verbündete gesehen werden und nicht als jemand den man überprüfen und in dessen Geist man eindringen muss."

„Einverstanden." Ich erwiderte sein Lächeln. 

„Es war übrigens ernst gemeint. Ich habe noch keinen Fae gesehen, der nach einer derartigen Dosis noch so kämpfen konnte wie du." 

Ich deutete eine Verbeugung an. „Danke für die Blumen." Er lachte und ich sah seine äußerliche Schönheit, genau wie seine Innere. „Du gehörst nicht ohne Grund zu seinen besten Freunden, oder?" 

Rouven grinste schief. „Nein, es gibt einige Gründe." Vaughn trat ins Licht und Rouven verabschiedete sich mit einem Zwinkern. 

„Danke", sagte er schlicht, als er vor mir stehen blieb.

„Wofür?", fragte ich verdutzt und sah zu ihm hoch. Seine dunklen Haare schimmerten im Licht und seine markante Gesichtszügen wurden von den Schatten um uns herum absolut zu seinen Gunsten betont.

„Das du ihm verziehen hast."

„Es war komisch. In dem Moment, wo es mir auffiel, war ich rasend vor Wut. Ich empfand nichts als Zorn. Wenn ich jetzt darüber nachdenke, kann ich die Gründe nachvollziehen, auch wenn ich sie nicht gutheiße."

„Hast du bemerkt, dass deine Augen wieder schwarz geworden sind? Nicht vollständig, wie an jenem Tag. Sondern eher so als würden sich kleine dunkle Gewitterwolken bilden." Er stand so nah vor mir, dass er jedes Detail meiner Augen sehen konnte. „Die hellen Funken waren verblasst, das  sonst so strahlende blau wirkte trüb." Das Atmen fiel mir schwer, als ich bemerktel, wie nah er mir gekommen war. So nah, dass uns kaum noch etwas trennte.

„Ich habe dich noch nie so gesehen wie heute. So glücklich." Er schluckte und ich beobachtete die Muskeln an seinem Kiefer und seinem Hals. „Und unbeschwert." Ich nickte nur und beobachtete wie sein Blick über mein Gesicht wanderte. 

„Wie schmeckt er dir? Der Mondschatten?" Seine Stimme war rau und sein Blick so intensiv, dass es mir enorm viel Konzentration abverlangte, das Glas an meine Lippen zu heben und einen kleinen Schluck zu trinken. 

„Ziemlich gut", bestimmte ich und ließ mir den süßlichen Geschmack mit einem leisen Seufzen auf der Zunge zergehen. 

Er hob eine Hand ich schluckte als sie sich um meinen Hals legte. Das Metall seiner Ringe wirkte kühlend auf meiner erhitzten Haut. Meine Hände landeten auf seiner Brust und ich musste ein Keuchen unterdrücken, als ich spürte, wie hart und angespannt seine Muskeln waren. 

Sein Daumen wanderte zu meinem Mund. „Morgen beraten wir uns, aber heute feiern wir. Auf uns, auf das Leben." Mit funkelnden Augen leerte er sein Glas und sobald ich es ihm gleichgetan hatte, spürte ich seine Lippen auf meinen. 

„Bella?" Villains Stimme ließ mich zurückschrecken. 

„Hier bist du." Er schaute zwischen Vaughn und mir hin und her. Dieser sah mich nahezu unbeteiligt an, nur das Funkeln in seinen Augen war geblieben. „Lass uns tanzen." Villain nahm meine Hand und als ich mich umdrehte war Vaughn bereits verschwunden.

Ich tanzte mit Villain. Ich lachte mit Arya und scherzte mit Rouven. Liora und ich tranken gemeinsam und sogar Caylin ließ sich zu einem Glas Mondschatten überreden. Die Stimmung war so ausgelassen und ich fühlte mich so wohl, wie seit viel zu langer Zeit nicht mehr.

Als wir spät in der Nacht, unter einem prächtigen Sternenhimmel zusammen saßen und Oraziels Geschichten lauschten, spürte ich ein Gefühl, dass mich erschaudern ließ. Ich saß neben Keno und Okku an der Mauer. Der kleine Junge lauschte gespannt, war jedoch kurz davor ins Träumeland abzudriften. „Schlaf ruhig, ich werde dir die Geschichte morgen erzählen", flüsterte ich ihm zu. Er lächelte und kuschelte sich näher an mich.

Das ich ausgerechnet an dem Ort, den ich mal als Strafe empfunden habe, nun ein Gefühl von Geborgenheit finden würde, ließ mich an jeglicher Logik zweifeln. Doch die Leute, um mich herum bedeuteten mir alles. Das Glück, das ich empfand, drängte den immer präsenten Schmerz beiseite. Mit jedem Wimpernschlag mit dem ich diesen Moment in mich aufnahm, wurde mir leichter ums Herz, loderte meine Magie heller, wurde mein Lächeln echter.

Ich lauschte der jahrhundertealten Geschichte einer Prinzessin, die nach einem endlosen Schlaf erweckt wurde um Azralon zu vereinen. Mit einer Macht, die alles andere in den Schatten stellte. Mut, der seinesgleichen suchte und der Fähigkeit zu lieben, die über allem anderen stand.

Wärme breitete sich in meiner Mitte aus und als ich den Blick hob, begegnete ich Vaughns Blick, der nachdenklich auf mir lag. Er betrachtete den dunkelhaarigen Jungen, der seinen Kopf an meine Schulter gebettet hat. Sein kleiner Bruder schlief bereits, eine Hand auf dem Kopf seines treuen Begleiters abgelegt. Vaughns Blick wurde liebevoller und entschlossener zugleich. Wir wussten beide wofür es sich zu kämpfen lohnte. Und wir würden alles dafür tun, um die zu beschützen, die wir liebten. Ausnahmslos alles.

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Meinungen? Gerne zu der Geschichte allgemein und/oder zu dem Kapitel ♥

The Lost PrincessWhere stories live. Discover now