Kapitel 19

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„Schwarzer Tee mit Honig", erklärte Coilin mit einem vorsichtigen Lächeln. „Danke, dass du es uns erzählt hast. Ich übernehme", bot Coilin an. „Torin hasst mich, weil wir Halbbrüder sind und unser Vater meine Mutter geliebt hat und seine nicht. Und ich hasse ihn, weil er sie mit vierzehn Jahren umgebracht hat." Entsetzen breitete sich auf Villains und meinem Gesichtern aus.

„Was hast du dann gemacht?", fragte ich nach einer Weile, die nur aus bedrückter Stille bestand.
„Trainiert", gab Coilin mit einem Schulterzucken zurück. „Irgendwann werden wir uns im Kampf gegenüber stehen. Und dann werde ich gewinnen." Ich zweifelte nicht den Bruchteil eines Augenblicks an der Entschlossenheit seiner Aussage. Seine schönen Züge waren zu ernst und sein eisblauen Augen beunruhigend kalt.

Villain seufzte schließlich. „Ich habe meine Ausbildung früh begonnen. Habe im Reich der Menschen gelebt und bei fremden Höfen." Er grinste und ich verstand ihn nur zu gut. Diese Situation war einfach zu seltsam. Während Coilin ihm interessiert zuhörte hatte ich den Blick wieder auf meine Hände gerichtet. „Ich habe viele Bibliotheken nach Hinweisen über magische Geschöpfe und Gegenstände durchsucht, die mit der Zeit in Vergessenheit geraten sind."
Coilin nickte interssiert. Villain hielt jedoch in der Bewegung inne, als er das traurige Lächeln auf meinen Lippen sah.

„Konntest du noch weitere andalesische Stallions ausfindig machen?" Ich wich seinem Blick aus, registrierte aber aus dem Augenwinkel, wie er mich erstaunt ansah.

„Woher...?", begann er, stockte dann jedoch. Ich zog mir die weiche Decke bis über die Schultern hoch und stellte die leere Tasse zurück auf den Tisch. Das Knistern des Feuers war das einzige Geräusch im Raum.

Villain schüttelte ungläubig den Kopf. „Ich wusste, dass sie mir bekannt vorkam. Ich habe es aber darauf geschoben, dass die Stuten wahrscheinlich alle sehr ähnlich aussehen. Und ich konnte auch niemanden fragen. Alle waren so überrascht, dass diese seltenen Pferde wie drei pechschwarze Pfeile auf unseren Hof zu galoppiert kamen. Als sie sich dann auch noch bereitwillig in die Boxen bringen ließen, hätte ich es eigentlich wissen müssen." Er schüttelt noch immer überrumpelt den Kopf. „Ich kann es nicht glauben, Belle."

Dass er mich wieder mit meinem Spitznamen anredete, demselben den er damals benutzt hatte, brach etwas in mir auf, sodass ich freier atmen konnte. Er fragte nicht nach den anderen. Vielleicht hatte er selbst in den Ruinen des Stalls gestanden, indem sie mit dem Schutzzauber festgehalten wurden.

„Wusstest du, dass sie der Legende nach sogar fliegen können? Vor mehreren Jahren habe ich in Tiara ein uraltes Buch über die Legenden der fliegenden Faepferde gelesen. Ich bin mir sicher, dass die andalesischen Stallions ihre Nachfahren sind."
„Das wundert mich nicht." Ich entspannte mich sichtlich, obwohl die Erwähnung des Ortes in Avalea, über das meine Tante herrschte, meinen Atem kurz stocken ließ. „Dich etwa?"

Villain schüttelte den Kopf. „Keineswegs."

„Ich mache uns noch ein Tee und dann ist Schluss mit der Vorstellungsrunde. Wir müssen uns einen Plan ausdenken, der so sicher ist, dass wir alle keinem allzu großem Risiko ausgesetzt sind." Coilin verließ den Wohnraum. 

Villain richtete seine Aufmerksamkeit wieder auf mich. „Wie hast du es geschafft sie zu mir zu schicken? Seit unserem Ritt waren schon einige Monde vergangen."

„Ja, vier." Ich nickte, denn ich erinnerte mich genau. „Dass ich abends in den Stall gegangen bin, hatte sich so in mir festgesetzt, dass es mit das letzte war, was ich verloren habe. Es war als wüsste mein Körper mehr als mein Geist." Ich verschwieg, dass ich einmal auf Alessandros Rücken saß und überlegt hatte, was passiert wenn ich in den Wald reiten und nicht mehr wieder kommen würde. Die Strafe für diesen Gedanken war hart gewesen.
„Und du? Du hast dir an jedem Hof noch ein paar Fähigkeiten angeeignet?"

„Ja, so in etwa." Villain ließ mich keinen Augenblick aus den Augen. „Was glaubst du wie alt du bei deinem ersten Auftrag warst?"
„16, schätze ich", antwortete ich, während Coilin Tee nachschenkte und sich wieder auf seinem Sessel niederließ.

„Wenn dein Auftrag etwas mit dem damaligen Botschafter des Nordens zu tun gehabt hat, warst du maximal 14."

Ich dachte nach, konnte mich aber an keine Einzelheiten erinnern, die mir Aufschluss gegeben hätten. „Spielt doch auch keine Rolle", wiegelte ich ab und umschloss mit meinen Händen die heiße Tasse. Villain zog skeptisch eine Augenbraue in die Höhe, ging aber nicht weiter darauf ein.

„Hat dein Vater irgendwelche Schwächen, die wir uns zu Nutzen machen können?", fragte Coilin schließlich. Die angespannte Stimmung blieb bis ich mich seufzend ins Kissen zurück sinken ließ.

„Wenn es nur auf Magie ankommen würde, hätten wir keine Chance. Ich habe in den ganzen Jahren nie erlebt, dass er an seine Grenzen gekommen ist." Villain und Coilin wechselten einen beunruhigten Blick.

„Seine Schwäche ist Intoleranz und Überheblichkeit. Die Wege, die er gegangen ist, die Entscheidungen, die er getroffen hat. Irgendwann müssen sie sich einfach gegen ihn wenden. Sein engster Berater steht unter seinem Bann. Der halbe Hof ist bereits seinen Täuschungsmanövern oder Verdrängungszaubern zum Opfer gefallen. Wenn wir die rückgängig machen könnten, würde Chaos ausbrechen. Aber wir müssen damit rechnen, dass er einen Ersatz für mich holen lässt. Denn auch wenn er seine Macht als unendlich ansieht, weiß ich, dass auch sie versiegen wird. Ich würde zu gerne dabei zusehen, wenn es so weit ist." Dunkle Schlieren tanzen in meinen Augenwinkeln. Ja, dafür würde ich alles tun.

„Hast du noch Verbündete im Schloss?"
„Hatte ich mal. Aber im Laufe der letzten Jahre hat er sie alle hinrichten lassen. Jeden mit einer persönlichen Bindung zu mir. Jeden, der Zweifel in Bezug auf meine umstrittene Position am Hof geäußert hat oder Sympathie zu mir hegte." Über Villains Gesicht legte sich ein Schatten. Ich sah ihm an, dass er sich fragte, welcher Anteil der Bestrafungen mir galt.

„Alle außer Jocelyn?"

Meine Augen verdunkelten sich und Coilin und Villain bekamen eine Ahnung davon, wie sie unter dem Schleier ausgesehen hatten. „Sie hat am längsten durchgehalten." Mit zusammen gepressten Zähnen sah ich wie Villain einen Fluch unterdrückte, als ihm die tiefere Bedeutung ihrer Worte aufging. „Sie hat ihm so oft ihre Treue bewiesen. Doch dann hat sie wohl einen Fehler gemacht." Ich zuckte mit den Schultern, doch meine zitternden Finger verrieten, dass meine Lässigkeit nur gespielt war.

„Was ihm am wichtigsten ist, ist Macht. Sie bedeutet ihm alles. Sein Stolz kennt keine Grenzen. Er liebt es, dass er gefürchtet wird, zerrt förmlich von der immer herrschenden Angst. Wenn ich es nicht besser wissen würde, würde ich ihn für einen Dämon aus der Anderswelt halten." Das würde alles etwas erträglicher machen, fügte ich in Gedanken hinzu.

„Wie steht eure Garde zum König? Wer ist ihm treu ergeben und steht nicht unter seinem Bann? Gibt es Wächter, die uns unterstützen würden?" Coilins Fragen nahmen kein Ende und ich versuchte sie möglichst genau zu beantworten. Doch es war ein Kampf in meinem Geist mit Erinnerungen, die nicht alle mir gehörten.

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Teil 3 der Lesenacht ❤️

Was glaubt ihr, wie lange wird es noch dauern, bis sie ihrem Vater gegenüber steht und wie wird die Begegnung verlaufen?

The Lost PrincessWhere stories live. Discover now