Kapitel 84

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„Belle." Vaughn sah mich einfach nur an und ich erstarrte. Die Bilder in meinem Kopf fuhren Karussell. Mein Herzschlag beschleunigte sich. Eine prickelnde Gänsehaut lief über meinen Rücken und sein Blick wurde intensiver.

Ich schluckte, öffnete den Mund und schloss ihn wieder. Alles, was ich hören wollte, konnte ich in seinem Blick lesen. Ein schiefes Grinsen schlich sich auf seine Lippen und er legte den Kopf zur Seite, während er mich weiter beobachtete.

„Mai Fada". Ich hatte ihn noch nie die uralte Sprache der Fae sprechen hören und es erfüllte mich mit Ehrfurcht, mit Stolz und gleichzeitig legte sich eine ursprüngliche Ruhe über mich, die nicht zu erklären war. Seine Saphiraugen strahlten im Licht der Sonne, das durch die runden Bullenaugen fiel. Mein Puls sank, während ich sein Lächeln erwiderte.

„Bari taurari su kare mu", erwiderte ich und neigte den Kopf. Nicht vor Vaughn, sondern vor der Vergangenheit. Meine Stimme klang fremd, aber die Worte auf natürlichste Weise vertraut.

Er neigte ebenfalls den Kopf. „Mögen uns die Sterne schützen. Es gibt wohl kaum einen besseren Zeitpunkt, diese Worte zu sprechen, als jetzt."

„Dem ist wohl so." Unsere Blicke waren ineinander verkeilt, sprachen eine Sprache, die nur sie verstanden.

„Dein Schutzzauber war niedlich." Er hob eine Augenbraue und mein Puls war prompt wieder auf hundertachzig.

„Es war lediglich eine Warnung. Hätte ich nicht gewollt, dass ihr mich findet, wäre ich nicht so leichtfertig gewesen." Ich sah, wie seine Körper sich unter dem Leder anspannte und kommentierte das mit einem zufriedenen Grinsen.

„Mit wem hast du die Nacht verbracht?" Meine verspielte Leichtigkeit verflog mit einem Mal. Ich spürte seine Anspannung und während ich im ersten Moment, in dem ich ihn gesehen hatte, wusste, dass zwischen Heela und ihm nicht gelaufen war, ging es ihm anscheinend anders. Ich zweigte ein winziges Fünkchen meiner Magie ab und schickte einen einzelnen Windstoß in seine Richtung.

Seine Gesichtszüge entspannten sich. Ich wusste, dass keiner der Gerüche an mir markant genug war und er dadurch erkannte, dass mir niemand besonders nah gekommen war.

„Ein fremdes Bett war es dennoch."

Ich lachte. „Eher ein fremdes Sofa." Er grinste und ich verlor mich einen Moment in dem Funkeln seiner Augen.

„Dank der Unterstützung einiger Fae wird die Küsten Alejandras schon bei Sonnenaufgang in Sicht sein."

Mein Herz wurde augenblicklich schwer. Er kam näher und hob mein Kinn an.

„Du weißt, dass du es schaffen kannst, oder? Dieses Mal ist es anders. Ich bin an deiner Seite, Belle. Da ist eine ganze Armee in deinem Rücken. Er hat die Anderswelt, aber du hast ein ganzes Land, das an dich glaubt.

Was du erlebt hast," sein Blick verdunkelte sich, „ist nicht rückgängig zu machen. Etwas derartiges, vergisst man niemals. Aber du kannst dafür sorgen, dass es niemand anderem geschieht. Dass er niemals wieder jemanden verletzt. Du kannst dein Land retten."

Ich umklammerte mein Handgelenk und sah ihn eindringlich an. „Wenn ich dennoch verliere, musst du mir etwas versprechen." Ich schluckte. „Rette mich nicht."

Vaughn wurde blass. „Das kannst du nicht von mir verlangen."

„Ich brauche nicht nochmal einen König, der auf seinem Bären angeritten kommt, um mich zu retten. Ich werde nicht verlieren, selbst wenn es einen Moment so aussehen sollte, dieses Mal schaffe ich es. Und du darfst nicht eingreifen." Das wäre das Einzige, was mich umbringen könnte.

„Belle." Vaughn klang gequält, während er seine Hände an meine Wangen legte.

„Versprich es mir", forderte ich. „Versprich es mir. Lass uns die Zeit bis zum Sonnenaufgang nicht mit Diskussionen verschwenden."

„Ich...", begann er und ich trat seufzend einen Schritt zurück, erstickte seinen Widerspruch.

„Vaughn, wir sind keine..." Mir fehlte der Mut es zu sagen. „Wir sind nichts", sagte ich stattdessen. „Uns verbindet Leidenschaft, Verlangen, aber vor allem eine Mission, ein Ziel. Wenn wir gewonnen haben, verbindet uns vielleicht nichts mehr. Dass was uns zusammenhält, gibt es dann nicht mehr."

Kälte kroch durch meinen Körper und ich presste meine Kiefer hart aufeinander. Das Funkeln in seinen Augen veränderte sich.

Er nickte abgehackt. „Ich muss noch was erledigen. Wir treffen uns dann wieder hier." Ohne ein weiteres Wort verließ er den Raum.

Ich sank in mich zusammen, presste mir den Handballen vor den Mund und zählte bis zehn. Dann richtete ich mich auf und verließ die Kajüte ebenfalls.

Osmium lag noch immer auf der Chaiselongue, als wären nur wenige Augenblicke vergangen, seit ich gegangen war. Er sah mich aufmerksam an, während ich mich auf dem Boden niederließ und dem Kopf neben seinen auf den dunkelgrünen Stoff bettete.

Er stupste mich mit seiner schnurrbeharrten Nase an und eine gemütliche Wärme legte sich um mich, wie eine dicke Decke. „Danke, Os", murmelte ich und schloss für einen Moment die Augen.

Als ich wenig später in Vaughns Zimmer zurückkehrte, war es noch immer verlassen. Ich setzte mich an den Schreibtisch vor einem der großen Bullaugen und entzündete eine der Lichtkugeln. Ein warmes goldenes Licht fiel auf die Karte von Alejandra. Wie gebannt folgte ich den Linien der Flüsse, den Rändern der Gebirge und Wälder und dann, ganz plötzlich, wurde mir etwas klar.

Ich wirbelte herum, als Vaughn den Raum betrat. Ich sah den Kampf in seinen Augen und den Moment, in dem er ihn verlor, auf mich zukam und mich küsste. Ich erwiderte den Kuss, so heftig, dass er überrascht auf keuchte. Alles, was wir gesagt hatten, alles, was morgen geschehen würde, vergaßen wir unter der Dringlichkeit, die dieser Kuss in uns entfachte.

Sein Mund wurde weicher, als ich meine Arme um ihn schlang und er mich rücklings auf das Bett fallen ließ. Sein Körper schmiegte sich an mich und sein Geruch hüllte mich ein. Neckend fuhr seine Zunge an meiner Unterlippe entlang und er seufzte tief, als ich die Spitzen meiner Zähne über seine Lippe streichen ließ.

In meinem Bauch sammelte sich ein ganzes Knäuel voll unbändiger Hitze, dass mit jedem Atemzug anschwoll. Er drehte uns, sodass ich auf ihm lag und seine Hände wanderten von meinen Schultern zu meinem unteren Rücken. Er küsste mich, bis mir schwindlig wurde, bis alles in mir sich um ihn drehte und alles andere an Bedeutung verlor. Ich küsste ihn, bis seine Bewegungen fahrig wurden und sein Herzschlag wie wild in seiner Brust pochte.

Ein verzweifelter Laut entfloh meiner Kehle, einem Wimmern sehr nah und ich vergrub mein Gesicht an seinem Hals. Tränen brannten in meinen Augen, schnürten mir die Kehle zu, nahmen mir den Atem.

Vaughn umarmte mich fester und ich drückte mich an ihn, als würde alles davon abhängen.

Das Mondlicht fiel auf uns und das Verlangen den Nachthimmel anzuschauen war übermächtig. Ich stand auf und trat ans Fenster. Vaughn folgte mir und ich drehte mich in dem Moment zu ihm um, in dem er die Arme um meine Taille legte. Ich lehnte mich gegen ihn und hob den Blick. Das Funkeln der Sterne am Nachthimmel erschien heller als gewöhnlich. Das Meer erstreckte sich in endloser Dunkelheit vor uns. Nur dem Mond gelang es einen hellen Schimmer auf seine Oberfläche zu werfen.

„Belle." Ich erstarrte in seinen Armen. „Ich kann es nicht. Ich kann dich nicht allein gehen lassen."

The Lost PrincessWo Geschichten leben. Entdecke jetzt