Kapitel 29

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Die Tage vergingen ohne das ich mein Zimmer verließ oder es auch nur versuchte. Ich beobachtete die Welt draußen, ohne auch nur einen Moment zu wünschen, ich wäre ein Teil davon. Ich litt unter Villains Abwesenheit, darunter allein zu sein, aber vor allem unter meinen Erinnerungen. Sie suchten mich heim, zerstörten jeden positiven Gedanken, der sich den harten, langen Weg bis in mein Bewusstsein erkämpft hatten und drängten mich tiefer in die Dunkelheit. 

Es dauerte ich lange, bis es mir klar wurde. Ich hatte es verdient. Jede einzelne dieser unendlichen, unerträglichen Stunden. 

Die Tage waren grausam, aber die Nächte waren schlimmer. In der Stille der schwärzsten Nacht vermischten sich Erinnerungen und Realität. Meine Ängste wuchsen bis ins Unermessliche. Wie ein Geist schlich ich durch mein Zimmer. Drehte eine Runde nach der anderen. Und fühlte mich so gefangen in meinem Körper, dass ich begann ihn zu hassen.

Vaughn betrat alle paar Tage mein Zimmer, quälte mich mit Fragen, deren Antwort ich nicht immer wusste und nie beantwortete. Er hinderte meine Wunde daran zu heilen Aber das war mir nur recht. Ich brauchte diesen Schmerz. Ich musste mir meine Niederlage präsent halten, um nicht wieder übermütig zu werden. Immer wieder durchlebte ich den Moment, in dem mein Vater mir sein Schwert in die Brust rammte. Und manchmal stoppte die Klinge nicht. Dann fragte ich mich, ob es wirklich so schlimm gewesen wäre im Kampf gegen den König zu sterben.

Diese Nacht war besonders schlimm. Ich hielt die Augen panisch aufgerissen, damit sie ja nicht zufielen. Die Geräusche in meinem Kopf waren ohrenbetäubend und so real, dass ich mich auf dem Boden vor meinem Bett zusammenkrümmte und mir die Ohren zuhielt. Ich blieb liegen, obwohl mein Körper protestierte und bewegte mich nicht. Erst als die Sonne die ersten Strahlen auf den Boden des Gemachs warf, atmete ich auf.

Wie jeden Morgen stand wie etwas zu Essen vor der Tür. Noch nie hatte ich gesehen, wer es dahin gestellt hatte oder etwas gehört, wann es geschehen war. Manchmal bildete ich mir ein, dass meine Fae Ohren nichts mehr wahrnehmen konnten, als das Rauschen in meinem Körper und die Qualen in meinem Kopf. 

Ich trug das Tablett aus dunklem massiven Holz in mein Zimmer, stellte es auf den runden Schemel und setzte mich davor. Seit ich hier war aß ich so sporadisch, dass es an ein Wunder grenzte, dass mein Körper noch funktionierte. Ich wusste was ich ihm antat und hörte trotzdem nicht damit auf. Wenn mich der Hunger doch mal überkam, benötigte es nur den Gedanke an diese eine Erinnerung, um ihm im Keim zu ersticken. 

Beim Klang des Lachen eines Kindes hatte ich sofort wieder den Ritt mit Villain vor Augen. Es war verblüffend, was das Unterbewusstsein mit einem anrichtete, wenn man die Kontrolle verlor. Seine erhitzten Wangen und das glückliche unbeschwerten Lächeln, dass allein den Kindern vorbehalten war. 

Als sich meine Tür quietschend öffnete, blieb ich mit dem Rücken zu ihr sitzen und gab nicht zu erkennen, dass ich ihn gehört hatte. Mein Blick war auf die aufgeschnittene Frucht gerichtet, als sich eine Hand auf meine Schulter legte und jemand laut „Buuh" in mein Ohr brüllte. Während ich damit beschäftigt war, mich zu fragen, was Vaughn sich mit dieser neuen Strategie zu erhoffen gedachte, trat ein blonder Jungen mit schelmisch blitzenden grünen Augen in mein Blickfeld.

„Hast du dich erschrocken?", fragte er mit einem frechen Grinsen. Er war genau auf meiner Augenhöhe und musterte mich neugierig und abwartend. Ich nickte und sein Grinsen wurde breiter. Triumph blitzte in seinen Augen auf, während er sich in dem Turmzimmer umsah. Ohne zu fragen stibitze er sich eins der süßen Plätzchen von meinem Teller. 

„Meine Leibspeise", erklärte er mit vollen Backen und seufzte genüsslich. „Hast du Angst vor Hunden?", fragte er schließlich und richtete seine Aufmerksamkeit von den Plätzchen wieder auf mich. Ich schüttelte den Kopf. Ich hatte nicht besonders viel Erfahrung mit den Tieren, glaubte aber nicht, dass ich sie fürchten musste. 

„Gut." Er nickte zufrieden und ging zurück zur Tür. „Komm her, Okku." Kaum hatte er ausgesprochen, kam ein rundliches Wesen herein gewatschelt. Mein ungläubiger Blick wanderte zwischen dem Jungen und dem Tier hin und her. Der Junge fing meinen Blick auf und zuckte mit einer Schultern. 

„Er sieht nicht aus wie ein Hund, aber er benimmt sich wie einer." Die schuppige Haut des Tieres glänzte im Licht der Sonne und sein Schwanz wedelte mitsamt der mattschwarzen Stacheln von einer Seite zur anderen. Ich blieb sitzen und rührte mich nicht. Das Tier knurrte leise als es sich mir näherte und der Junge strich ihm beruhigend über den Kopf. Die Augen bestanden aus schmalen, gelben Schlitzen, die ihm einen raubtierhaften Zug verliehen. Ein Bild von den schuppigen, grünen Flusswesen tauchte vor mir auf.

Ich ließ es keinen Moment aus den Augen, obwohl es keine Anstalten machte, sich mir weiter zu nähern. Der Junge grinste und setzte sich auf die Bank an dem hohen Fenster.

„Ganz ruhig", flüsterte ich atemlos. Das Wesen schnüffelte in meine Richtung, ließ sich dann neben dem Jungen nieder und schloss die Augen. Der Schwanz zuckte wachsam, sodass ich nicht auf die Idee kam, seine Aufmerksamkeit infrage zu stellen.

„Du kannst sprechen?", fragte der Junge beleidigt und kniff die Augen zusammen. 

„Ja." Erst jetzt fiel mir das Kratzen in meinem Hals, der rauchige, ungewohnte Klang meiner Stimme auf und die Tatsache, dass ich seit ich hier war, mit niemanden gesprochen hatte.

„Ich dachte schon, du wärst stumm. Ich kann Zeichensprache, also hätten wir trotzdem miteinander sprechen können." Unbekümmert schaute er sich in meinem Zimmer um. „Hier sind gar keine Spielsachen", stellte er entsetzt fest. „Du hast ja nicht einmal Bücher! Kannst du lesen? Wenn nicht, kann ich es dir beibringen." Und bevor ich etwas erwider konnte, war er eifrig aufgesprungen, flüsterte Okku etwas zu und verließ das Zimmer.

Als er wenig später mit einem ganzen Turm von Büchern auf dem Arm zurückkehrte, fragte ich mich, was dieses warme Gefühl in meiner Brust war und wie lange es bleiben würde.

„Wie heißt du?", fragte er und las die Buchtitel um zu entscheiden, welches als erstes aufgeschlagen wird.

„Arabella und du?"

„Keno. Komm her, Arabella." Er deutete auf den freien Platz auf dem Sofa neben sich. „Okku tut dir ganz sicher nichts. Er ist nur manchmal etwas kuschelbedürfig. Das darfst du nicht falsch verstehen."

„Was genau...", begann ich und stoppte abrupt, als sich ein Gewicht auf mein Oberschenkel legte, sobald ich Platz genommen hatte. Mit angehaltenem Atem sah ich nach unten auf den Kopf des schwerfälligen Wesens, das mich aus seinen ockerfarbenen Augen anblinzelte.

„Am besten kraulst du ihn hinter den Ohren." Keno war sichtlich unbeeindruckt von Okkus Verhalten und hielt mir verschiedene Bücher vor das Gesicht. „Kannst du jetzt lesen, oder nicht? Und womit wollen wir anfangen?"

„Ich kann lesen, aber Zeichensprache kann ich nicht. Die kannst du mir beibringen, wenn du Lust hast."

„Aujaa!" Auf dem Gesicht des Jungens breitete sich ein Strahlen, das mein Herz leichter werden ließ. Als würde seine Zuversicht, seine Unbekümmertheit für uns beide ausreichen.

Als ich später wieder allein war, hatte ich noch genug Kraft um etwas Ordnung in einen Teil meines Kopfes zu kriegen. Und das sogar ohne dabei in lähmende Panik zu verfallen. Als ich ins Land der Träume abzutauchen drohte, spürte ich noch immer Kenos Leichtigkeit und hoffte, dass er bald wieder bei mir auftauchen würde.

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Endlich wieder ein neues Kapitel ♥ entschuldigt, dass es so lange gedauert hat.

The Lost PrincessWhere stories live. Discover now