Das Genie des Sergej Asmov

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Aaros - Professor Asmov war unglaublich. Er war so viel klüger als sein Buch je hätte vermuten lassen und allein die paar Minuten, die ich bisher mit ihm verbracht hatte, ließen mich hoffen, dass wir tatsächlich ein Heilmittel für Krocket finden konnten.
„Professor", sagte ich. „Sie sind kein Soldat. Wie kommt es, dass sie für das Militär tätig sind?"
„In einer Nation wie Carcan?", er schnaubte. „Sind wir hier nicht alle für das Militär tätig?"
„Naja..."
„Der Krieg interessiert mich nicht. Sollen diese Narren doch zu Felde ziehen und sich gegenseitig eliminieren. Was mich interessiert, ist meine Forschung. Und wo, glaubst du, hat man die besten Möglichkeiten, seine Theorien zu testen und Weiterzuentwickeln? Genau, beim Militär. Die Gelder, die sie mir geben, sind unglaublich. Alles, was ihnen nützlich erscheint, fördern sie. Für mich sind diese Halunken ein Segen, verstehst du?"
Ich verstand.
„Komm, Junge, sieh dir das an", er deutete auf sein Mikroskop. Durch die Linse konnte ich den Träger mit dem Präparat in vielfacher Vergrößerung sehen. Ein grauer Fleck, der sich im Wasser leicht bewegte.
„Was ist das?", fragte ich.
„Hirnmasse", kam prompt die Antwort.
Ich wich zurück. „Hirnmasse?", brabbelte ich ungläubig.
Asmov rümpfte die Nase. „Nun hab dich nicht so. Es ist für die Wissenschaft. Sieh hin!"
Ich beugte mich wieder über das Mikroskop. In der Oberschule hatten wir immer nur pflanzliche Präparate betrachtet, weshalb ich mit der Hirnmasse absolut nichts anfangen konnte. „Von welchem Tier stammt das Hirn?", fragte ich, während ich noch immer nach etwas Außergewöhnlichem suchte.
Asmov kicherte. „Von einem Menschen."
„Was?!", entfuhr es mir.
„Der alte Robert Guggendorff war immer ein fortgeschrittener Geist. Er hat alles für unser Vorankommen gegeben. Am Ende sogar seinen Körper."
„Wie ist er gestorben?", misstrauisch beäugte ich das Messer auf dem Tisch.
„Herzinfarkt", der Professor zuckte mit den Achseln. „Er war immerhin schon siebenundsiebzig. Es war Zeit für ihn, von uns zu gehen."
„Das ist tragisch", warum war ich so angeekelt? War es nicht normal für Naturwissenschaftler, die Beschaffenheit von Mensch und Tier zu ergründen? Und wollte ich nicht auch ein Forscher sein? Ein Wissenschaftler? Ich zwang mich, noch einmal in das Mikroskop zu schauen. Wie zuvor dominierte grau das Bild. Doch was war das? Da, am Rand! Das war doch ein schwarzer Punkt, oder?
Ich teilte Asmov meine Entdeckung mit. Er grinste fast kindlich. „Ja, genau! Ich wusste es!", er klopfte mir auf die Schulter. „Ich wusste es!"
Was genau er wusste, sollte ich jedoch nicht erfahren. Stattdessen packte er mich am Arm und zog mich aus seiner Kammer. Wir kehrten in die Haupthöhle zurück und durchquerten diese. Eine Schar steinerner Spatzen beäugte uns von einer Säule aus.
„Weißt du", begann Asmov als wir etwa fünfzig Meter zurückgelegt hatten. „Meine Augen sind nicht mehr die besten. Der kleine Marius war einmal mein Assistent. Er hat für mich gesehen, wenn ich es nicht konnte. Doch dann ist er gegangen! Zur Offiziersschule wollte er! Pah! Groß rauskommen und Ruhm erlangen! Jetzt soll er meine Katakomben leiten? Dieser Bengel? Er war ein guter Schüler, ja. Aber er ist noch weit davon entfernt, ein Meister zu sein."
Ich hatte keine Ahnung, was ich darauf erwidern sollte. Also sagte ich nichts.
„Aber dich!", seine manischen Augen zuckten in meine Richtung. „Dich schickt der Himmel!"
Eigentlich schickte mich ein gewisser Spinnhund, der kurz davor war, erschossen oder eingeschläfert zu werden, aber das erwähnte ich nicht.
„Professor, wohin gehen wir?"
„Ah. Ja. Keine gute Frage. Nicht wissenschaftlich. Warte auf das Ergebnis."
Das tat ich. Schweigend betraten wir einen weiten Gang, in dessen Wände Reliefs von fliegenden Pferden gehauen waren. Wer auch immer all diese Steinmetzarbeiten hier unten verrichtet hatte, ich beneidete ihn um sein Talent. Der Gang mündete, wie sollte es anders sein, in einen weiteren großzügigen Raum, der ein weiteres Laboratorium beherbergte. Ein einsamer Forscher in einem weißen Kittel rührte gerade eine mysteriöse Flüssigkeit in einem Kessel zusammen.
„Ah, Professor!", sagte er zu Asmov als er diesen erspähte. „Wie geht es Ihnen heute?"
„Erspare dir deine Nettigkeiten, Hans!", gab er zurück. „Ich bin nicht gekommen, um mit dir ein Pläuschchen zu halten."
„Weshalb die Feindseligkeiten? Was habe ich Ihnen getan?"
„Mir?", Asmov lachte. „Mir hast du nichts getan. Aber dem armen Robert! Den hast du umgebracht!"
„Was?!", machten Hans und ich wie aus einem Munde.
„Ich habe ihn untersucht. Seine Leiche. Alles deutete auf einen Herzinfarkt hin. Er war ein alter Mann, ja. Es machte einen Sinn."
„Sehen Sie! Wie können Sie dann solche Dinge behaupten?"
„Nun...", meinte Asmov geheimnisvoll. „In Kurarebe gibt es einen Eingeborenenstamm. Primitive Menschen, das. Aber sie sind ausgefuchst. Wenn sie in der Steppe auf Jagd gehen, bestreichen sie ihre Pfeilspitzen mit einem speziellen Gift. Gelangt dieses in die Blutlaufbahn, löst es bei den Getroffenen einen Herzinfarkt aus. Bei Tieren funktioniert das. Genauso wie bei Menschen."
„Und nun denken Sie, ich hätte den alten Guggendorff damit vergiftet?"
„Genau das denke ich. Hinter seinem Ohr habe ich eine kleine Einstichstelle gefunden wie von einer Nadel. Es hätte auch ein Mückenstich sein können, doch dieses kleine Loch findet sich auch noch in seinem Hirn wieder."
Hans schluckte. Ich machte große Augen. Deckten wir hier gerade einen Mordfall auf?
„Warst du nicht letztes Jahr in Kurarebe auf Forschungsreise? Ja, ich denke, du hast uns ein paar Elefanten mitgebracht. Auch einen Steppenlöwen, wenn ich mich nicht irre."
„Das hat doch nichts zu bedeuten", in Hans' Stimme bemerkte ich ein leichtes Krächzen.
„Stimmt. Allein das wird dich nicht überführen. Aber wenn ich daran denke, wie sehr ihr euch gehasst habt, wie neidisch du warst, dass er die Leitung der Abteilung übernehmen durfte. Wusstest du übrigens, dass das Kurarebegift auch nach Monaten noch nachweisbar ist? Und bei der bürokratischen Ordnung, die in dieser Kaserne herrscht, finden wir bestimmt noch die Nadel, die du benutzt hast. Ich schätze... Eine Spritze, ja?", Asmov sah zu einem Haufen Laborinstrumenten und auch Hans' Augen gingen kurz in diese Richtung.
Dann geschah alles ganz schnell. Der Laborant griff nach einem Kolben und stürmte auf Asmov zu. Doch noch bevor er diesen erreichte, rammte ich ihn von der Seite. Wir taumelten in einen Labortisch und gingen inmitten von Glas, Holz und Metall zu Boden.
„Runter von mir! Runter!", brüllte der Beschuldigte.
„Ich denk nicht dran!", mühsam entriss ich dem Mann den Kolben. Ich war größer als er und die Monate der körperlichen Ausbildung hatten mich stärker gemacht. Mit den Knien hielt ich seine Arme am Boden, holte aus und zog ihm den Kolben über den Kopf.
„Applaus! Applaus!", rief Asmov und klatschte in die Hände.
„Was das nötig?", fragte ich keuchend und sah auf den Bewusstlosen herab. „Mussten Sie ihn wirklich direkt konfrontieren?"
„Sonst hätte mein Bluff doch nicht funktioniert, Junge!"
„Welcher Bluff denn?"
„Der mit dem Gift natürlich. Das ist so gut wie gar nicht nachweisbar!", ein hohes Lachen erfüllte den Raum. Asmovs Lachen. Es war gespenstisch. „Aber sieh es doch positiv! Ich habe einen neuen Assistenten! Und unser erstes Projekt beginnt gleich, wenn wir diesen Mann weggesperrt haben. Wie lange, sagtest du, hat dieser Spinnhund noch zu leben?"

Carcan - Die WinterkriegeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt