Die Katakomben

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Aaros - Wir sammelten Elmar ein und begaben uns zu dem Treffpunkt, den Leutnant Hauser uns genannt hatte. Der Offizier wartete bereits auf uns und schien erfreut, uns zu sehen.
„Ah, wie ich sehe, sind Sie nun zu dritt. Schön, schön. Je mehr, desto besser."
Elmar warf uns einen unsicheren Blick zu. Er hatte von Anfang an nicht viel von meinem Vorhaben gehalten und war nur mit uns gekommen, nachdem wir ihn praktisch dazu gedrängt hatten.
„Noch einmal vielen Dank, Herr Leutnant, dass Sie uns helfen", sagte ich.
Hauser winkte ab. „Wie ich bereits erwähnte, kann ich nicht viel tun. Sie müssen sich selber helfen. Ich bin nur ihr Führer durch die Katakomben."
„Die Katakomben?", hakte Qen nach.
„So nennen wir die Gemäuer unter der Kompanie. Wo unsere Labore sind."
„Nett", murmelte Elmar so leise, dass der Leutnant ihn nicht hören konnte.
„Aber genug der Worte", er drehte sich um und öffnete eine quadratmetergroße Luke im Boden. „Tretet ein!"
Nacheinander kletterten wir durch das Loch, das ins Nichts zu führen schien. Schmale Treppenstufen gingen steil nach unten, ein modriger Geruch stieg in meine Nase. Hatte man wirklich keinen Eingang bauen können, der ein bisschen einladender gewesen war? Hinter dem Leutnant fiel die Klappe laut scheppernd ins Schloss, jetzt gab es kein Zurück mehr.
„Ein bisschen dunkel, nicht?", man konnte förmlich das Lächeln aus seiner Stimme raus hören. Offensichtlich genoss er es, uns unwissenden Kindern ein bisschen Angst einzujagen. Doch kaum hatte er die Worte gesprochen, erstrahlte auch schon der helle Schein einer Öllampe hinter uns. „Wenn Sie erlauben."
Er zwängte sich an uns vorbei, was auf der engen Treppe sicher problematisch geworden wäre, hätten wir auch nur ein bisschen mehr Fleisch auf den Rippen gehabt. Immer dem Zugführer hinterher, ging es nun in die Tiefen. Um auf dem glatten Stein nicht auszurutschen, hielten wir uns so gut es ging an den Wänden fest, ein Geländer gab es nicht.
„Unsere Räumlichkeiten wurden in einer Tropfsteinhöhle errichtet", teilte uns Hauser mit. „Wundert euch also nicht über die Feuchtigkeit. Man hatte damals in Erwägung gezogen, einen Neubau zu errichten, aber nachdem die Höhle direkt unter der Kompanie entdeckt worden war, hat man diese Pläne schnell überworfen. Warum natürliches Kapital nicht nutzen?"
„Ist es denn sicher da unten?", wollte Elmar wissen. Ich wusste, dass er in seiner Heimat oft in den Minen gearbeitet hatte und somit mit unterirdischen Räumen vertraut sein müsste. Trotzdem wirkte er ängstlicher als Qen und ich zusammen.
„Nun...", Hausers Lächeln schien noch mysteriöser im Lampenschein. „Viele Leute sind bei der Umgestaltung der Höhlen umgekommen. Viele Male war ein Abbruch der Arbeiten im Gespräch. Doch der alte Kommandeur wollte die Opfer dieser Männer nicht in Vergessenheit geraten lassen, also ordnete er eine Fortführung an. Wahrscheinlich hat auch Geld eine Rolle gespielt. Aber diese Geschichte klingt bei Weitem nicht so romantisch, was? Er hat sogar eine Tafel mit den Namen der Verstorbenen anbringen lassen."
„Na, wenn das kein Trost ist", meine Elmar zynisch.
Einige Zeit später endete die Treppe abrupt. Wir waren in der Höhle angekommen. Drei Meter über unseren Köpfen war eine steinerne Decke, von der zahlreiche Stalaktiten hingen. Die Tiefe des Raumes verlief sich in der Ferne. Auch von modernen Alchemie fand ich keine Spur. Einzig ein schmaler Steg, deutete überhaupt auf menschliches Zutun hin.
„Treten Sie nicht daneben. Das Wasser hier ist sehr kalt", warnte uns Hauser.
„Wasser?", sagte Qen.
Ich sah mich um und konnte es nicht glauben. Der Steg führte über einen unterirdischen See!
„Beeindruckend, nicht wahr? Selbst die Militärs wollten dieses Wunderwerk der Natur nicht zuschütten. Moment...", er fummelte an der Öllampe herum, die einen Augenblick später erlosch. „So ist es noch besser, oder?"
Elmar schnappte nach Luft, Qen raunte „Das ist nicht wahr". Auch ich kam aus dem Staunen nicht mehr raus. Um uns herum leuchtete die Höhle in blauem und grünen Licht. An den Wänden wucherte eine Vielzahl von fluoreszierenden Moosen und Flechten, selbst unter Wasser schienen sie zu wachsen. Ich konnte verstehen, warum niemand diesen Ort hatte anrühren wollen.
„Ein passender Eingang in die Katakomben", sagte Hauser nach einem Moment der Andacht. „Immerhin vollbringen wir auch dort Wunder."
Der Steg war bestimmt über hundert Meter lang und auch als wir das Ende erreicht hatten, war ich immer noch schwer beeindruckt. Das sollte auch im nächsten Raum nicht aufhören. Das Atrium hatten wir hinter uns gelassen, jetzt waren wir im wahren Herzstück der Höhle. Ein riesiges Gewölbe erstreckte sich vor uns. Selbst die Trainingshalle für die Chimären konnte mit der schieren Größe dieses unterirdischen Gemäuers nicht ansatzweise mithalten. Den natürlichen Tropfstein hatte man mit von Menschenhand geschaffenen Bögen ergänzt, vermutlich um die Stabilität zu erhöhen. Zu meiner Überraschung waren selbst diese nicht nur zweckmäßig. Steinhauer hatten besonders schöne Gargoyles und Ornamente in den Stein gearbeitet, die dem ohnehin schon surrealen Raum noch eine besondere Note verliehen. Direkt vor uns begrüßten uns zwei Löwen aus weißem Stein. Der eine hatte seine Pfote auf einem Schwertknauf abgestellt, der andere auf einem riesigen Buch. Hier findet eine Vermählung von Militär und Wissen statt, interpretierte ich das Werk.
Und das Wissen war nur allzu präsent. Hunderte Schreibtische mit tausenden Büchern, Schriftrollen und sonstigen Dokumenten waren ordentlich unter der Kuppel verteilt. Auf ihnen dampften Kessel, blubberten Reagenzgläser und unheimlich anmutende Apparaturen taten Dinge, die ich nicht einmal ansatzweise nachvollziehen konnte. Zwischen den Tischen verteilt waren Tanks in allen Größen und Formen. Darin befanden sich Chimären in sämtlichen Lebensstadien, die mit Schläuchen am Leben gehalten wurden. Einige von ihnen bestanden aus zwei halben Tieren, die gerade dabei waren, zusammen zu wachsen, andere waren offensichtlich gescheiterte Experimente, die so grotesk aussahen, dass ich sofort meinen Blick von ihnen abwenden musste. Trotz der späten Stunde waren noch immer Soldaten und zivile Wissenschaftler anwesend, die uns keines Blickes würdigten und ganz in ihre Arbeit vertieft waren.
„Tja", meinte Hauser. „Dieser Ort versäumt es nie, zu beeindrucken."
„Hier arbeiten Sie?", fragte Qen unnötiger Weise.
„Dies ist die Haupthöhle. Wir haben noch einige kleinere Räume, wo wir ebenfalls forschen, aber hier findet die meiste Magie statt."
„Magie?", Elmar hob eine Augenbraue. „Das ist doch keine Magie."
„Oh, glauben Sie mir, das ist es", meinte Hauser wissend und Elmar verstummte. Er wollte wohl keine Diskussion mit einem Offizier beginnen.
„Warum die ganzen Dekorationen?", fragte ich und deutete auf die Statuen.
Hauser grinste. „Nun. Wie Sie wissen, bin ich der Zugführer. Formal habe ich also das Sagen. Inoffiziell zieht hier aber jemand ganz anders die Strippen und auch wenn es mich beschämt, es zu sagen, kann ich mit dessen Genie nicht mithalten. Diese Person liebt die Wissenschaft, aber seine Liebe gilt auch der Kunst. Er war es, der die Bildhauer beauftragt hat."
„Von wem reden Sie?"
„Das, mein Lieber, werden Sie gleich selbst sehen."
Wir durchquerten eingeschüchtert den Raum. Ich gaffte die ganze Zeit mit offenem Mund und mindestens tausend Fragen lagen mir auf der Zunge, die ich den Forschern am liebsten sofort gestellt hätte. Wenn alles gut läuft, dachte ich, kann ich ja eventuell zurückkehren. Ich muss nur Leutnant Hauser davon überzeugen!
Bald betraten wir einen der kleineren Räume, von denen der Offizier gesprochen hatte. Und dort wartete jemand auf uns, mit dem ich beim besten Willen nicht gerechnet hatte.

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Mal wieder ein etwas kürzeres Kapitel.
Auf das nächste müsst ihr wohl ein bisschen warten, denn am morgen bin ich für eine Woche im Urlaub. Aber dann geht's weiter stetig voran, versprochen.
Und auch zu dem titelgebenden Krieg kommen wir sicher irgendwann... :D
Vielen Dank fürs Lesen und eure Treue.

Carcan - Die WinterkriegeWhere stories live. Discover now