Ein denkwürdiger Tag zweier Nationen

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Qen - Von der Wohnung des Generals hatte man einen grandiosen Blick auf den Schlossplatz. Bedienstete hatten uns kleine Häppchen und Getränke gebracht, die so edel schmeckten, dass ich mir nicht sicher war, ob mein Magen sie überhaupt würde verdauen können.

„Ich sag ihm schon ewig, dass ein paar Stullen auch ausreichen würden", meinte Stark zu mir als er ein Blätterteiggebäck mit einer Kaviarfüllung hochhielt. „Aber er will einfach nicht auf mich hören. Komisch, oder?"

„Wenn es nach Ihnen ginge, müsste man überall Feldrationen servieren", erwiderte Lilienthal, der natürlich jedes Wort gehört hatte. „Lassen Sie sich von dem verlausten Feldwebel nichts sagen. Es geht nichts über gute Küche."

„Das sind Fischeier, Herr General. Fischeier!"

„Eine Delikatesse!"

Die verstehen sich wirklich gut, dachte ich ohne jegliche Ironie. Zwar schienen sie sich auf den ersten Blick zu streiten, doch man spürte sofort, dass zwischen diesen beiden Männern eine freundschaftliche Atmosphäre herrschte. Es schwang zu jeder Zeit ein Lachen in ihren Stimmen mit. Wie sie sich wohl kennengelernt haben?, wunderte ich mich. So kompetent Feldwebel Stark als Ausbilder auch sein mochte, er war niemand, der sich in Offizierskreisen bewegte. Schon gar nicht unter Generälen!

Ob ich sie einfach fragen kann? Interessieren würde es mich ja schon...

Bevor ich jedoch nur irgendeine Frage stellen konnte, öffnete sich die Tür. Ich drehte mich und entdeckte zwei zierliche Gestalten im Rahmen. Eine vornehme Dame um die fünfzig, gekleidet in ein Seidenkleid und einen Mantel, für den bestimmt einige Füchse hatten sterben müssen. Sie trug eine kleine Brille auf der Nase und wirkte wie eine Frau, die keinen Unfug duldete. Neben ihr stand ein junges Mädchen mit rotem Haar, das zu einem langen Zopf geflochten war. Ihr herzförmiges Gesicht war voller Sommersprossen und ihre smaragdgrünen Augen strahlten fröhlich. Sie trug ein gelbes Kleid und einen ähnlichen Mantel wie ihre Begleitung.

Ich musste nicht lange überlegen, um sie zu identifizieren. Frau und Tochter Lilienthal.

„Doris! Celia!", der General schloss sie in seine Arme. „Ich dachte, ihr wolltet noch ins Café?"

„Das hat sich erledigt. Die Besitzer haben sich kurzerhand entschlossen, die Parade anzusehen und uns vor verschlossenen Türen stehen lassen", erklärte seine Frau ihm naserümpfend.

„Das tut mir Leid!", Lilienthal schüttelte den Kopf.

„Nun, man kann es nicht ändern. Ich werde Oliver auftragen, uns etwas zu servieren."

„Ja, eine gute Entscheidung. Wir sprachen gerade über seine köstlichen Kaviarhäppchen", er deutete auf das Tablett.

„Sie sind ausgezeichnet, gnädige Frau", kommentierte Stark, der neben den General getreten war.

„Herr Feldwebel", offensichtlich kannte sie ihn bereits. „Es ist schön, Sie zu sehen."

„Die Freude ist ganz meinerseits", meinte er und küsste ihre Hand, dann die ihrer Tochter.

Inzwischen hatte ich es auch auf meine Beine geschafft. Dummerweise hatte mich niemand im Vorfeld in der Etikette in vornehmen Häusern unterrichtet, so dass ich wie ein unbeholfener Dorftrottel wirken musste, wie ich den beiden Damen gegenübertrat. Zu meinem Glück übernahm General von Lilienthal das Wort.

„Doris, Celia, das ist Gefreiter Shendong, ein Untergebener von Feldwebel Stark. Er ist heute ebenso unser Gast."

„Willkommen in unserem Zuhause", sagte seine Gattin ohne jegliche Emotion und hielt auch mir die Hand hin. Diesen Wink mit dem Zaunpfahl verstand sogar ich und zeigte ihr die gleiche Ehrerbietung wie der Feldwebel zuvor.

Carcan - Die WinterkriegeWhere stories live. Discover now