Mein Name ist Eleonore

96 17 1
                                    

Elli - Ich war mir sicher, dass die Kälte nie wieder verschwinden würde. Sie war in jedem Zipfel meines Körpers und vergiftete mich. Lange halte ich das nicht mehr aus, ahnte ich. Das einzig Gute an der Kälte war, dass sie meine Schmerzen betäubte. Diese horrenden Kopfschmerzen hatten mich um den Verstand gebracht, doch jetzt waren sie kaum mehr als ein leichtes Pochen, das mich lediglich ein bisschen ärgerte. Die Kälte lullte mich vollkommen ein.

Wahrscheinlich ist es nicht schlimm, so zu sterben. Er hat etwas versöhnliches.

Doch dann nahmen die Schmerzen wieder zu und meine gefrorenen Zehen und Finger tauten allmählich wieder auf.

Was soll denn das? Ich hab mich schon damit abgefunden.

Jemand wollte nicht, dass ich sterbe.

Langsam öffnete die Augen. Ich musste wissen, wer es war, der mir diese Ruhe, diese Gleichgültigkeit nehmen wollte.

Zunächst sah ich nur eine graue Felsdecke, an der dunkle Schatten tanzten. Wo war ich? Ich konnte mich an nichts erinnern.

Ich testete meinen Körper auf seine Funktion. Jede Bewegung tat weh, doch alles schien zu funktionieren. Ich neigte den Kopf nach rechts und das helle Licht eines Feuers brannte sich in meine Netzhaut. Jetzt, wo ich wieder bei Bewusstsein war, hatte ich auch kein Bedürfnis mehr, zu sterben. Ganz im Gegenteil, ich wollte auch meinen restlichen Körper von der Kälte befreien.

Ich reckte meinen Arm, um den Flammen näher zu sein, doch eine starke Hand packte mich. „Das würde ich lassen."

Die Stimme war mir bekannt. „Qen...", brachte ich hervor.

Der Junge rutschte in mein Sichtfeld. „Schön, dass du wieder bei uns bist."

„Wo sind wir?", wollte ich wissen. Langsam kamen die Bilder zu mich zurück. Der Räuber, die Lawine, Rito, der von den Schneemassen gepackt wurde. Rito! „Wo ist Rito?!"

Qen senkte seinen Blick. Ich hätte ein Stein sein können und hätte trotzdem erkannt, dass dies kein gutes Zeichen war.

„Wo ist Rito?", fragte ich noch einmal mit mehr Nachdruck.

„Er ist tot", kam prompt die ungeschönte Wahrheit.

Es war, als wäre ich gegen eine Betonwand geknallt. Das konnte nicht sein. Es war nicht möglich. Trotzdem wusste ich, dass es stimmte.

Und es war meine Schuld.

Ich erinnerte mich wieder genau an die Szene in der Schlucht. Wie ich auf dem Boden liegend die heran nahende Lawine beobachtet hatte, während Rito verzweifelt versuchte, mich aus der Gefahrenzone zu zerren. Der Räuber flehte laut, man möge ihn losbinden, damit er fliehen könne. Der Junge war hin und her gerissen zwischen mir, ihm und sich selbst und als er schließlich eine Entscheidung getroffen hatte, war es schon zu spät.

Wie hatte ich überlebt? Es schien mit nicht fair, dass ich wie durch ein Wunder verschont geblieben war.

„Der Räuber hat es auch nicht geschafft."

Wen interessiert der denn schon?

„Wir haben Hilfe gerufen, bald sind unsere Ausbilder da und holen dich hier raus."

Ich sagte nichts.

„Du musst nur noch ein bisschen durchhalten."

Wenn sich Rito nur in Sicherheit gebracht hätte. Er wollte mir helfen. „Keine Sorge, ich kümmre mich drum!", das waren seine Worte. Ich hätte ihm sagen müssen, dass er es nicht schafft. Warum hab ich nichts gesagt?!

Carcan - Die WinterkriegeWhere stories live. Discover now