Dienst an der Waffe

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Elli - Wir hatten das Wochenende gut überstanden und waren nun endlich wieder erholt genug, um uns den Strapazen der kommenden Woche zu stellen. Samstag hatten wir erst einmal den halben Tag geschlafen. Als wir mittags wach wurden, verpflegten wir in der Truppenküche und legten uns dann wieder in unsere Betten, um noch ein bisschen zu entspannen. Aaros las ein Buch mit dem Titel Die Große Freiheit und schniefte dabei laut hörbar.

Ich versuchte, einen Blick auf den Inhalt zu erhaschen, doch er war beim Lesen immer der Wand zugeneigt.

„Was liest du da?", fragte ich also.

„Hm?", sagte er geistesabwesend. „Oh, das. Das ist mein Lieblingsbuch. Willst du mal sehen?"

Ich nahm ihm das Buch aus der Hand und las den Einband. Es ging um einen kleinen Jungen, der in seinem Zimmer eingesperrt lebte, von einer Zauberin in einen Vogel verwandelt wurde und dann die weite Welt erkundete. Daraufhin erlebte er schöne aber auch grausame Dinge und musste sich am Ende entscheiden, ob er als Vogel oder als Mensch in der Welt leben will.

„Das klingt interessant", ich gab es Aaros zurück.

„Du kannst es gerne mal lesen, wenn du magst."

„Ich bin nicht so der Bücherfreund", merkte ich an. „Aber vielleicht komm ich mal darauf zurück."

„Klar, jederzeit", er lächelte.

Sein Lächeln war wirklich charmant, das könnte er ruhig öfter machen. Denk doch so was nicht!, mahnte ich. Du bist Elmar und nicht Elli. Jungs beglückwünschen höchstens ihre Rülpser.

Doch die Wirklichkeit ließ sich so leicht nicht belügen. Mehr und mehr stellte ich fest, dass es gar nicht so einfach war, meine wahre Identität zu verbergen, und nach einiger Zeit fragte ich mich bei jeder Anmerkung eines Kameraden, ob er mich durchschaut hatte. Besonders schlimm war das Waschen. Ich hatte tierische Angst, mein Unterhemd auszuziehen, es konnte immer jemand um die Ecke oder ins Zimmer kommen. Also fasste ich einen ziemlich wahnwitzigen Entschluss.

Sonntagmittag als es gerade nicht schneite und die Sonne mal ein bisschen rausgekommen war, begab ich mich zu unserem kleinen See. Ich fand schnell eine nicht einsehbare Stelle, füllte die mitgebrachte Waschschüssel mit dem einkalten Wasser und schrubbte meinen Körper von oben bis unten. Als ich fertig war, bildeten sich bereits Eiskristalle auf meiner Haut und ich zitterte noch volle zwei Stunden und sechs heiße Tees später. Immerhin bist du sauber und riechst wieder gut, sagte ich mir als ich den besorgten Blicken meiner Stubenkameraden auswich, die vermuteten, mich hätte eine ausgewachsene Grippe erwischt.

Ich konnte von Glück sprechen, dass ich mir keine Lungenentzündung einfing, denn auch die zweite Woche war körperlich nicht weniger anspruchsvoll als die erste.


„Die Schießbahn ist zwölf Kilometer weit weg!", donnerte Feldwebel Stark. „Diese Strecke legen wir natürlich zu Fuß zurück, wie es sich für gute Soldaten gehört! Ich will in anderthalb Stunden angekommen sein, also wird nicht getrödelt!"

Es war halb sieben und wir standen komplett aufgerödelt mit Koppel, Tornister und Helm vor dem Kompaniegebäude. Zuvor hatten wir unsere Gewehre empfangen, alte Repetierbüchsen von der Firma Heiter, die das gesamte Carcanische Heer belieferte. Ihr Magazin fasste fünf Patronen und wurde an der Unterseite des Gewehres eingeschoben.

„Ihr hängt sie euch so über die Schulter", der Feldwebel machte es vor. „Keiner spielt an der Waffe rum! Wenn ich einen dabei erwische, erschieße ich ihn höchstpersönlich!"

„Jawohl, Herr Feldwebel!"

„Beim Tragen der Munitionskisten wechselt ihr euch ab! Achtet auf eure Kameraden, es bleibt hier niemand stehen oder trödelt!"

Carcan - Die WinterkriegeWhere stories live. Discover now