Jungs

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Elli - „Wenn Nutztiere alt oder krank sind, werden sie nun mal geschlachtet", erklärte ich Aaros, der noch immer der festen Überzeugung war, dem Spinnhund helfen zu können. „Er hat ein Trauma erlitten, da wird er sich nicht von erholen."
„Und woher willst du das wissen?"
„Bei uns auf dem Dorf...-"
„Ja, du kommst vom Dorf und hast schon alles erlebt. Ich weiß, ich weiß", sagte er und wühlte sich durch einen Stapel von Büchern.
Ich verschränkte die Arme. „Was suchst du da überhaupt?" Wir waren im Büroraum des Spinnhundzwingers, wo die Dokumente über die Chimären aufbewahrt wurden. Aaros hatte es sich an einem Schreibtisch bequem gemacht und überflog in die Buchseiten in einem atemberaubenden Tempo.
„Einfach alles. Aufzeichnungen über die Physis und die Psyche der Spinnhunde, ihre alchemistische Zusammensetzung, ihre Verhaltensmuster."
„Aha", erwiderte ich. Im Gegensatz zu Aaros hatte ich keine großen Hoffnungen, dass seine Nachforschungen Ergebnisse zutage fördern würden.
„Wenn wir die richtige Therapie finden, können wir ihm bestimmt helfen!"
„Ich sag dir, was die richtige Therapie ist: Eine Kugel zwischen die Augen."
Aaros entsetzter Gesichtsausdruck verriet mir, dass er nicht meiner Meinung war. Ich zuckte mit den Schultern und ließ ihn mit seinem Helfersyndrom alleine.
Zwar war der Tagesdienst in der Kompanie bereits vorbei, doch noch immer huschten einige Soldaten über den Hof. Gill hatte uns erklärt, dass sie sich im Schichtdienst befanden, da die Chimären auch nachts umsorgt werden wollten. Eine wirklich nervenaufreibende Arbeit, doch immerhin waren die meisten Aufgaben körperlich nicht zu anstrengend. Es stimmte wohl tatsächlich, was alle sagten: Nach der Grundausbildung wurde das Leben entspannter.
Trotzdem hatte ich nicht vor, meine körperliche Ertüchtigung schleifen zu lassen. Zum einen hatte ich inzwischen eine Menge Muskeln aufgebaut und ich wollte diese Mühen ungern verkommen lassen, zum anderen genoss ich den Sport und freute mich auf jede neue Einheit.
Heute lass ich es etwas entspannter angehen, beschloss ich. Ein bisschen laufen und ein paar Kraftübungen sollten genügen.
Ich öffnete die Tür zu unserer Stube. Qen war bereits da und döste auf seiner Pritsche.
„Wo ist Aaros?", fragte er gähnend.
„Noch im Zwinger. Sucht nach irgendwas. Ich glaube, er hat einen Gottkomplex. Als ob er irgendwas ausrichten kann."
„Er ist klug", stellte Qen fest.
„Er ist außerdem siebzehn Jahre alt und hat keine Ahnung von nichts!"
„Warum sollte er es nicht trotzdem probieren?", er richtete sich auf. „Mehr als versagen kann er nicht."
„Schon..."
„Also. Lass ihn doch."
„Ich kann es ihm eh nicht ausreden. Da hat er seinen eigenen Dickkopf."
Ich knöpfte mein Uniformhemd aus und warf es auf mein Bett. Dann schlüpfte ich aus meiner Hose und warf sie direkt daneben. Rasch zog ich meine lange Sportkleidung an, dann die sportlichen Halbschuhe, die die Armee uns zur Verfügung gestellt hatte.
„Willst du laufen gehen?", erkundigte sich Qen. „Wozu?"
„Was meinst du? Ich will fit bleiben, was denn sonst?"
„Du musst dich nicht mehr jeden Tag abmühen. Wir sollen uns hier um ein paar Tiere kümmern, mehr nicht."
Ein paar Tiere? Es sind Chimären, keine Hamster. Was mich angeht, so würde ich gerne noch in der Lage sein auszuweichen, wenn dieses Panzernashorn auf mich zustürmt."
Er schnipste mit den Fingern. „Ein guter Einwand!"
„Vielleicht solltest du mich auf meiner Kasernenrunde begleiten. Bevor du noch mehr Fett ansetzt", ich deutete auf seinen Bauch.
Qen machte große Augen. „Wovon redest du?"
Ich antwortete nicht und verließ mit einem schelmischen Grinsen den Raum. Sollte er doch ein bisschen grübeln.
Ich lief gemütlich los und hielt mein Tempo bis ich den Außenzaun der Kaserne erreicht hatte. Dort dehnte ich meine Glieder und rannte dann mit etwas mehr Geschwindigkeit weiter. Ich kam an unserer alten Kompanie vorbei, wo Feldwebel Stark seine neuen Rekruten gerade gehörig rund machte. Hinter der Kompanie lag der kleine See, in dem ich schon so viele Male gebadet hatte, dann kamen der Sportplatz, die Truppenküche und die Freizeithalle. Nach etwa fünf Kilometern hatte ich meinen Ausgangspunkt wieder erreicht.
Gerade wollte ich mit meinen Kraftübungen beginnen, da vernahm ich eine mir wohl bekannte Stimme.
„Hey, Elmar", es war Rayk, der in Uniform und mit umgehängtem Gewehr auf mich zu geschlendert kam.
„Hallo, Rayk", sagte ich freundlich. „Wie geht's?"
„Alles gut. Und bei dir? Wie gefällt dir die 3. Kompanie?"
„Es ist alles... entspannter."
Rayk lachte. „Das kannst du wohl laut sagen! Und ich kann dir versichern, dass das genauso bleiben wird!"
„Da bin ich ja beruhigt!"
„Übrigens: Hat dein Freund dir meine Nachricht übermittelt?"
Ich runzelte die Stirn. „Wer soll mir etwas übermittelt haben?"
„Oh? Na, dein Stubenkamerad. Der schwarzhaarige Junge mit den schmalen Augen."
Das konnte nur einer sein. „Qen? Du kennst ihn?"
„Ich wollte dich besuchen, aber er meinte, du seist nicht da. Das war ziemlich komisch, weil ich Sekunden zuvor noch deine Stimme gehört habe", er sah mich verschwörerisch an. „Aber wahrscheinlich hatte das einen guten Grund, oder?"
„Also...", ich schluckte. Das muss gewesen sein, als ich mich gewaschen habe. Verdammt!
„Schon gut, schon gut", er winkte ab. „Es geht mich eigentlich auch gar nichts an. Allerdings wüsste ich trotzdem gerne, was du zu meinem Angebot sagst. Morgen Abend planen wir wieder ein kleines Spielchen. Du bist herzlich eingeladen. Qen kann natürlich auch mitkommen, wenn er mag. Er schien sehr interessiert."
„Ach, wirklich?", so interessiert konnte er nicht gewesen sein, wenn er Rayks Besuch mir gegenüber verschwiegen hatte. Darüber muss ich nachher noch ein ernstes Wörtchen mit ihm reden.
„Ja. Ich denke, dass er eine gute Ergänzung für unsere Runde wäre. Er schien mir sehr... kompetitiv", sein Lächeln wurde breiter.
Reden wir von dem selben Qen?, hätte ich beinahe gefragt. Bisher hatte ich derartiges Verhalten nie bei ihm beobachten können. Vielleicht wird er einfach zum Mann. Die buhlen ja immer um irgendwas.
„Klar kommen wir vorbei", antwortete ich diplomatisch. „Wenn Qen so interessiert ist, kann ich ihm das ja schlecht verwehren."
„Sehr gut!", Rayk klatschte in die Hände.
„Aber ich komme nur unter einer Voraussetzung."
„Die da wäre?"
„Ich möchte beim Spiel der Offiziere mitmachen."
Zuerst war er verwirrt, dann machte es Klick und alsbald kehrte die übliche undurchschaubare Maske auf sein Gesicht zurück. „Ich hätte es wissen müssen. Du hast uns also erwischt. Nun, eigentlich ist es kein großes Geheimnis, die Offiziere treffen sich regelmäßig abends in der Freizeithalle. Wie viel hast du gesehen?"
„Alles", antwortete ich.
„Dann hast du also auch gesehen, wie ich verloren habe", sagte er mit gespielter Ehrverletzung.
„Es war ein außerordentlicher Kampf", meinte ich, ohne auf sein vermeintlich gekränktes Ego einzugehen.
„Ja, das war es", stimmte er mir zu. „Hauptmann Aigner ist wirklich ein geschickter Feldherr. Wer weiß, vielleicht ist er eines Tages selbst ein General."
„Wie heißt dieses Spiel?"
„Es hat keinen Namen. Jedenfalls keinen offiziellen. Alle Offiziere kennen es und müssen ständig zu einer Partie bereit sein. Wenn jemand unvorbereitet erwischt wird, oder die Regeln nicht kennt, zieht er den Spott des ganzen Korps auf sich."
„Das klingt mir ein wenig überzogen", fand ich.
„So? Aber sollte es nicht so sein? Als Führer müssen sie immer bereit sein, egal zu welcher Zeit. Im Krieg wird auch nicht gespielt."
Das war wahr.
„Außerdem schadet es auch nicht, mit den Taktiken der Kriegsführung vertraut zu sein, wenn man selber einen führen will", fügte er noch hinzu.
„Das mag ja auf die Offiziere zutreffen. Aber wie kommst du zu der Ehre, bei ihrem Klassenspiel mitmischen zu dürfen? Du bist ein Gefreiter genau wie ich."
Genau wie du?", sagte er lachend. „Nein, Elmar, das glaube ich nicht. Und du glaubst das auch nicht."
Der plötzliche Ausbruch seiner Arroganz überraschte mich. Ich hatte ja schon geahnt, dass mit Rayk etwas nicht stimmte und diese Reaktion stärkte mich in meiner Vermutung. Wieso willst du dann trotzdem noch was mit ihm zu tun haben? Du solltest dich von ihm fernhalten. „Willst du von mir hören, dass du was ganz Besonderes bist? Tut mir Leid, aber das kann deine Mama machen. Ich will nur bei eurem Spiel mitmischen."
Er funkelte mich an, doch ich hielt seinem Blick stand.
„Schön", meinte er nach einer kurzen Weile. Der arrogante Junge war verschwunden. An seine Stelle war wieder der charmante Soldat getreten. „Ich kann allerdings nicht einfach jemanden mitbringen, so läuft das nicht. Wie du schon gesagt hast, bin ich kein Offizier. Meine Anwesenheit bei dem Spiel wird geduldet, weil Hauptmann Aigner ein gutes Wort für mich eingelegt hat und ich einer ihrer besten Strategen bin. Wenn du mitspielen willst, musst du dich beweisen."
„Und wie mache ich das?", fragte ich neugierig.
„Besieg mich."
„Was soll ich?", gerade noch hatte er sich als einen der besten Spieler bezeichnet, ich hingegen war ein völliger Neuling. Nein, noch weniger als ein Neuling.
„Mich besiegen im Beisein der anderen. Du bekommst einen kleinen Vorsprung, das macht es fair. Wenn du mich schlagen kannst, hast du gute Chancen, Teil des Spiels zu werden."
Ob ein kleiner Vorsprung reicht?, fragte ich mich. Andererseits, warum sollte ich es nicht versuchen? „Also gut, ich will es probieren."
„Ich habe nichts anderes erwartet", er lächelte warm. „Okay, ich sag dir, wie wir es machen. Heute habe ich Wache, da hab ich keine Zeit. Aber morgen nach Dienst hole ich dich auf deiner Stube ab und dann bring ich dir vor dem Kartenspielen ein paar Regeln bei. Wir können uns danach von mir aus jeden Tag nach Dienst treffen. Ich zeig dir alle wichtigen Kniffe und grundsätzliche Strategien. Wenn das nächste Mal dann ein Spiel stattfindet, informiere ich Aigner, dass du mitspielen willst. Bis dahin musst du bereit sein, kriegst du das hin?"
„Aber klar", antwortete ich entschlossen.
„Wunderbar."
„Ja, wunderbar."
„Einen Gefallen musst du mir allerdings noch tun: Richte Qen doch bitte aus, wie sehr ich mich auf morgen freue."
„Soll ich dabei genauso feindselig gucken, wie du jetzt?", grinste ich. Dass Jungs immer gleichen zeigen müssen, wer den längsten hat...
„Ich weiß nicht mal, wie feindselig geschrieben wird", Rayk schenkte mir noch ein letztes Lächeln, dann ging er wieder seinen Aufgaben als Wachsoldat nach.
Und ich hatte vollkommen vergessen, dass ich noch meinen Bizeps trainieren wollte.

Carcan - Die WinterkriegeWhere stories live. Discover now