Der Berglöwe

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Aaros - Ich hatte die Weggablung erreicht. Kaum zu glauben, dass ich nun den ganzen Weg noch einmal gehen musste. Aber war das wirklich klug? Immerhin war Qen bestimmt längst bei Rito und Elmar angekommen und wenn er es nicht rechtzeitig geschafft hatte, konnte ich auch nichts tun.

Nein, Qen hat es ganz sicher geschafft, ich vertraute ihm voll und ganz. Dies war etwas, was nur er tun konnte. Ich sollte lieber darüber nachdenken, was ich dazu beitragen konnte, uns alle sicher nach hause zu bringen.

Ich zog die Geländekarte aus meiner Tasche und breitete sie vor mir aus. Es dauerte keine Sekunde, da hatte ich die beiden Schluchten gefunden. Davor war der breite Hang und dann der Wald. Doch was war das da oben? Ich kniff die Augen zusammen, um in dem schwachen Mondlicht etwas erkennen zu können. War das ein Dorf? Da waren doch ein paar kleine Hütten eingezeichnet, oder nicht?

Hoffnung keimte in mir auf. Wer weiß, wo unsere Ausbilder sind. Vielleicht kann ich da Hilfe finden.

Ich beschloss, mir von der Lage ein Bild zu machen. Wenn dort wirklich Menschen lebten, musste ich sie dringend aufspüren. Ich eilte weiter durch die Schlucht und den Hang hinauf, was nach den Millionen Kilometern, die ich heute ohnehin schon gelaufen war, gar nicht so einfach war. Immer wieder musste ich kurze Pausen einlegen, um nach Luft zu schnappen oder meine Muskeln zu entspannen. Ich hätte es nie für möglich gehalten, aber ich sehnte mich tatsächlich nach meinem harten Bett in der Kaserne zurück.

Nun, ein Wunsch blieb ein Wunsch, zunächst wollte die Realität überwunden werden. Nach großer Anstrengung erreichte ich dann endlich die Kuppe des Hügels. Links von mir lag der Wald, in dem sich unser Nachtlager befand, vor mir war ein breites Tal. Wenn die Karte stimmte, musste sich dort irgendwo ein Dorf befinden. Du meinst, wenn du die Karte in der Dunkelheit überhaupt richtig hast lesen können, meldete sich meine skeptische Seite, die ich im Moment gar nicht hören wollte, war ich doch noch voller Hoffnung. Ich schluckte meine Zweifel herunter und suchte intensiv nach einem Lebenszeichen in der Ferne. Komm schon, nur eine kleine Flamme!

Da! War da nicht ein Flackern? Ich kniff die Augen zusammen. Nein, ich hatte mich geirrt.

Aber was erwartest du überhaupt? Um die Uhrzeit ist jeder normale Mensch doch längst im Bett.

Ich zog noch einmal die Karte hervor. Das waren definitiv Gebäude, die ich da sah, dessen war ich mir nun sicher. Von hier waren es vielleicht nochmal zwei Kilometer Luftlinie, die machten den Braten nun auch nicht mehr fett.

Ich wollte gerade los stiefeln, da vernahm ich neben mir ein tiefes Grollen.

Nicht schon wieder eine Lawine!, stieß ich ein kurzes Stoßgebet aus.

Ich neigte meinen Kopf. Die gute Nachricht: Es war keine Lawine. Die schlechte Nachricht: Neben mir stand ein ausgewachsener Berglöwe, der mich interessiert musterte. Sein goldbraunes Fell strahlte im Mondlicht, sein Atem kondensierte an der kalten Winterluft. Die harten Muskeln waren gut zu erkennen, seine kleinen Ohren hatte er gespitzt und das Maul leicht geöffnet, so dass ich seine großen Reißzähne sehen konnte. Das war mein erstes Mal, dass ich ein derart anmutiges Wesen sah. Es war als schwebte er über dem Schnee.

Das kann doch nicht angehen! Haben wir noch nicht genug durchgemacht?

Instinktiv machte ich einen Schritt zurück. Die Raubkatze schien allerdings nicht daran interessiert, unseren Abstand zueinander zu verringern und machte ihrerseits einen Schritt nach vorne. Wenn sie entschied, dass ich ihr kleiner Mitternachtssnack werden sollte, hatte ich ihr kaum was entgegen zu setzen.

Ich blickte in die Augen des Tiers, um seine Stimmung zu deuten. Sie waren tiefbraun, weder bedrohlich, noch friedlich, einfach wachsam.

„Ganz ruhig...", redete ich auf den Löwen ein, der wahrscheinlich wesentlich ruhiger war als ich. „Ich will dir nichts tun."

Carcan - Die WinterkriegeTahanan ng mga kuwento. Tumuklas ngayon