Aaros' Entscheidung

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Elli - Ich hatte ein verstauchtes Handgelenk, tausend blaue Flecken, mindestens hundert Kratzer und eine Rippenprellung. Zumindest nahm ich an, dass es nur eine Prellung war, denn ich hatte diese Verletzung dem Arzt aus offensichtlichen Gründen verschwiegen. Also gab ich nun mein Bestes, irgendwie eine aufrechte Körperhaltung zu erzwingen.

Mich hatte es damit noch wesentlich besser erwischt als manch anderen.

Aaros' halber Oberkörper war aufgeschlitzt und er hatte eine Menge Blut verloren.

Feldwebel Starks Arm war an mehreren Stellen gebrochen.

Zweiundzwanzig Kameraden lagen schwer verletzt im Lazarett.

Vier Kameraden hatten den Überfall des Kriegsfalken nicht überlebt.

Zwei Tage waren seit dem Schießtag vergangen und wir waren noch immer mit den Gedanken bei jenen, die nicht mehr hier sein konnten.

Auch auf unserer Stube herrschte der Ausnahmezustand. Da die Sanitäter Aaros stationär aufgenommen hatten, waren wir nur noch zu dritt und die Stimmung war schlechter als je zuvor. Ritos Fröhlichkeit war weggeblasen und er weinte nachts immer öfter. Auch Qens Großmaul war zugenäht und er sagte nur noch Ja und Amen zu allem. Ich versuchte mein Bestes, die Stimmung irgendwie aufzuheitern, aber ich war kein großer Motivator und ihre miese Laune war zu ansteckend. Es dauerte nicht lange, da hockten wir alle betreten auf unseren Kojen und starrten Löcher in die Luft.

Besserung kam zum Glück am dritten Tag nach dem Angriff. Beim morgendlichen Antreten begrüßte uns Stark mit einem Gipsarm und seiner üblichen lauten Stimme. „Guten Morgen, Rekruten!"

„Guten Morgen, Herr Feldwebel!", antworteten wir wenig enthusiastisch.

„Lauter!"

„Guten Morgen, Herr Feldwebel!", riefen wir mit mehr Elan.

„Lauter!"

„Guten Morgen, Herr Feldwebel!", wir hatten unsere übliche Lautstärke fast wieder erreicht.

„Lauter!"

„Guten Morgen, Herr Feldwebel!"

„Lauter!"

Diese Konversation ging bestimmt zehn Minuten so weiter bis unserer aller Kehlen rau waren und wir die Worte nur noch krächzen konnten. Zunächst verstand ich denn Sinn nicht, doch nach einiger Zeit realisierte ich, dass dies wohl seine Art war, uns aufzuheitern.

„Ich weiß, dass es nicht einfach für euch ist, aber weiterzumachen, ist der einzige richtige Schritt, um voranzukommen. Alle von euch haben Kameraden verloren, einige von euch Freunde", er machte eine Pause und wir nickten betreten. „Doch das ist kein Grund, die Köpfe hängen zu lassen. Der Carcanische Soldat schaut immer nach vorne, denn dort wartet der Feind. Geht die Wege, die die Toten nicht mehr gehen können und nehmt sie auf eure Reise mit. Nur so können sie Frieden finden."

Wie poetisch, dachte ich. Das sind ja ganz neue Seiten an unserem Bärenfeldwebel.

„Die Beerdigung ist für morgen angesetzt. Natürlich gehen wir alle geschlossen hin. Da trifft es sich gut, dass eure Paradeuniformen fertiggestellt sind. Im Laufe des Tages werdet ihr sie abholen und mit euren Gruppenführern üben, sie richtig anzulegen, damit wir ein gutes Bild abgeben. Zuvor aber bekommt ihr Besuchsmöglichkeiten bei unseren Verwundeten eingeräumt. Wenn ihr jemanden habt, den ihr gerne besuchen möchtet, meldet euch bei Obergefreitem Erich."

Natürlich wollten wir unbedingt nach Aaros sehen. Auch der Rest von Gruppe 1 und Gruppe 2 wollten mitkommen, doch Erich setzte ihrem Vorhaben einen Riegel vor. „Das wird so nichts. Die Stubenkameraden dürfen gehen, die anderen erledigen ihre Aufgaben. Eine Krankenstation ist schließlich kein Vergnügungspark."

Carcan - Die WinterkriegeWhere stories live. Discover now