Eilmarsch

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Aaros - Nachdem ich die letzten Stunden nur auf meinem Hintern gesessen hatte, war diese plötzliche Hetzjagd nicht gut für meinen Körper. Ich pfiff bereits nach einem Kilometer aus allen Löchern und hätte mich am liebsten in den kühlen Schnee geworfen. Elmar lief neben mir. Er sah wesentlich entspannter aus und schaffte es sogar noch, ein Lächeln zu fabrizieren.

„Alles gut?", fragte er mich.

Ich nickte, meine restliche Energie wollte ich nicht für eine sinnlose Konversation aufwenden.

„Dann können wir ja noch einen Zahn zulegen, wir fallen immer mehr ab", er zeigte nach vorn. Ich folgte seinem Finger und sah, was er meinte. Schon jetzt hatte sich eine Spitzengruppe gebildet, die aus dem Obergefreiten und ein paar der athletischeren Jungen bestand. Wir waren noch im Mittelfeld, aber die Vordergruppe entfernte sich zunehmend während die hinter uns immer näher kamen.

Ich schluckte. Ich glaubte nicht, dass ich noch schneller laufen konnte, ich war schon so gut wie an meinem Limit. Auch Elmar schien das zu bemerken. „Wenn es nicht geht, halten wir einfach das Tempo, kein Problem. Ich bleib bei dir", beruhigend legte er mir die Hand auf den Arm.

Ich war dankbar für Elmars Kameradschaft, obwohl er überhaupt keinen Grund hatte, mir zu helfen. Um ihm zu zeigen, dass ich nicht der größte Versager in ganz Carcan war, riss ich mich zusammen und beschleunigte meinen Schritt.

„Genau so!", rief Elmar. „Wir schaffen das!"

Ja!, sagte ich mir selber. Du kannst das durchhalten!

Keuchend brachte ich ein Grinsen und einen hoch gestreckten Daumen zustande, doch als ich sah, dass die Straße nach ihrem Linksschwenk beträchtlich an Steigung zunahm, hätte ich mir gewünscht, meine positiven Gedanken nie zum Ausdruck gebracht zu haben. Selbst Elmar musste schlucken als er den vor uns liegenden Abschnitt sah. „Das wird kein Kinderspiel",murmelte er besorgt.

Bereits zwanzig Meter nachdem der steile Anstieg begonnen hatte, wurden wir langsamer. Nach fünfzig Metern waren meine Beine schwer wie Blei und meine Waden brannten. Das hast du davon, wenn du immer nur in deine Bücherwelten versinkst, rügte ich mich. Ich zwang mich, auf den Füßen zu bleiben, doch nach hundert Metern blieb ich an einem Stein hängen, den ich in der Dunkelheit übersehen hatte, und fiel der Länge nach hin. Ich schrammte über die groben Kieselsteine und wäre am liebsten genau dort liegen geblieben. Doch mein Kamerad gönnte mir keine Pause. Elmar griff mich an meinem linken Arm und zog mich ächzend wieder hoch. „Das kannst du vergessen!", fuhr er mich an. „Wir wollten doch nicht schlappmachen, schon vergessen?"

Ich schluchzte und zog meine Rotzfahne hoch, die mir das Gesicht runter lief.

„Komm, ich nehm deinen Seesack!", bot er an, aber ich schüttelte den Kopf. Meine Sachen wollte ich selber tragen. Wie sollte ich denn erst mit Marschgepäck überleben, wenn mich meine fünf Unterhosen schon fertig machten?

„Wie du meinst", Elmar zog seine Hand zurück. „Aber dafür bleibst du auf den Beinen!"

Wir setzten uns wieder in Bewegung. Mein kleines Missgeschick hatten ein paar andere Rekruten genutzt, um uns zu überholen, doch auch sie waren am Ende ihrer Kräfte und taumelten nur noch den Berg hoch. Ich warf einen Blick zurück und sah einige Jungen, die auf der Strecke geblieben waren. Elmar bemerkte, dass ich langsamer wurde und zog mich voran. „Hey!"

„Wir... wir müssen... helfen", brachte ich hervor.

„Was?", sein Kopf fuhr herum und auch er bemerkte die Rekruten hinter uns. „Ihnen?"

Ich nickte.

„Wir haben keine Zeit zu verlieren!", wandte Elmar ein. „Wir haben grade mal einen Bruchteil der Strecke zurückgelegt und es wird sicher nicht einfacher."

Carcan - Die WinterkriegeWhere stories live. Discover now