Gehängter Esel

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Elli - Die Regeln von Gehängter Esel waren einfach zu verstehen und doch gehörte eine ganze Menge mehr dazu, das Spiel wirklich zu beherrschen. Es wurde mit einem gewöhnlichen Kartendeck gespielt und es galt, Reih um Karten abzulegen und den Vordermann zu überbieten. Der Haken war, dass man die Karten verdeckt ablegte und immer nur ansagte, was sich unter ihnen verbarg. Hatte man also keine hohen Zahlen oder Bilder auf der Hand, konnte man immer noch so tun als ob. Man durfte sich nur nicht erwischen lassen, denn dann war man raus. Dies öffnete natürlich die Tür für Schwindler und Kartenzähler, die mit ihren Fähigkeiten hier besonders leicht abräumen konnten.

Ich war nichts von beidem. Zu meiner Verteidigung sei gesagt, dass ich mich noch nie wirklich mit dem Kartenspielen beschäftigt oder versucht hatte, jemanden zu betrügen. Es sei denn, man zählte meine nun schon seit drei Monaten anhaltende Dauerverkleidung dazu.

Glücklicherweise waren meine Spielkameraden allesamt ein wenig beschwipst und stellten sich fast noch mieser an als ich. Alle außer Rayk.

Rayk war für mich ein Buch mit sieben Siegeln. Anfänglich hatte ich ihn nur für einen netten Kerl gehalten, doch ich hatte schnell gemerkt, dass er wesentlich intelligenter war als er auf seine Umwelt wirken wollte. Ab und an stellte er sich dumm an, aber ich vermutete, dass das Absicht war, um die Leute auf eine falsche Fährte zu locken. Seine Blicke schienen durch die Rückseiten der Karten zu dringen und deckten jede Lüge auf. Es war faszinierend und beängstigend zugleich.

In einer kurzen Spielunterbrechung nahm ich ihn beiseite. „Wissen deine Kumpels, dass in deinem Glas nur Apfelsaft ist?"

„Wie? Woher...", dann verstand er. „Du mieses Stück..."

„Selbst ich kann ein bisschen bluffen", ich grinste.

„Elmar, Elmar", er schnalzte ein paar mal mit der Zunge. „In dir steckt wirklich einiges mehr, als man auf den ersten Blick vermuten würde."

„Das gleiche könnte ich über dich sagen."

Er zuckte mit den Schultern. „Und über jeden anderen Menschen auf diesem Planeten. Zeig mir nur einen, dessen Natur man gleicht beim ersten Treffen ergründen kann."

„Wie philosophisch", spottete ich. „Warum verkaufst du dich unter Wert? Doch ganz sicher nicht, um in einem dummen Spiel ein paar Mark zu gewinnen."

Ein dunkler Schatten huschte über sein Gesicht, dann war er wieder der nette Junge. „Ob du es glaubst oder nicht, die meisten Leute mögen es nicht, nicht der Klügste im Raum zu sein. Wenn ich ihnen Unterlegenheit vorgaukle, gebe ich ihnen ein Gefühl der Sicherheit."

„Ist das dein Ernst?", fragte ich verblüfft. „Was hast du davon?"

„Meine Ruhe. Und einen gewissen Spielraum."

„Wofür...?", weiter kam ich nicht, denn Frank brüllte uns etwas unverständliches zu.

Rayk zwinkerte mir zu. „Sieht so aus, als wäre unser Plausch vorbei."

Gelassen schlenderte er zum Spieltisch zurück und tat so als sei nichts gewesen. Was ist denn mit dem los?, fragte ich mich und folgte ihm dann. Er hatte sich mit seinen Aussagen nur noch geheimnisvoller gemacht. Und interessanter.

Auch die nächsten Runden konnte ich nicht gewinnen. Immerhin schaffte ich es nach der Zeit, nicht letzter zu werden und meine Emotionen ein bisschen besser zu verbergen. Irgendwann merkte ich, wenn die Leute flunkerten. Je mehr Alkohol floss, desto schneller erkannte ich ihre Ticks, die mir so einiges verrieten. Franks linke Augenbraue krümmte sich leicht bei einer Lüge, Varus, ein anderer Spieler, wackelte hingegen mit den Ohren. Vielleicht war ich doch nicht so schlecht in diesem Spiel, wie ich anfangs vermutet hatte. Nur Rayk will sich nicht von mir aufklären lassen.

Carcan - Die WinterkriegeWhere stories live. Discover now