Ein Spinnhund namens Krocket

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Aaros - Wir lebten uns ganz fabelhaft in unserer neuen Kompanie ein. Zwar zeigte mir ein Besuch bei den Kameraden vom Forschungszug, dass ich dort wahrlich besser aufgehoben wäre, doch auch der Ausbildungszug bot mir genug Gelegenheiten, mein Wissen täglich zu erweitern.
„Das ist Mathilde", sagte Stabsunteroffizier Gill, der die Teileinheit führte, und deutete auf einen Pudel mit Vogelspinnenkörper, der sich gerade mit einem wesentlich kleineren Artgenossen kabbelte."Mathilde! Lass Jo in Ruhe!"
Mathildes Kopf zuckte kurz in unsere Richtung, sie schnaubte verächtlich und schubste dann ihren Gegner zu Boden.
„Sie hört nicht auf dich!", lachte sein Stellvertreter, Hauptgefreiter Praatsche. „Ganz genau wie deine Alte!"
Ein paar von uns Neulingen kicherten leise, noch wussten wir nicht, was wir uns bei den beiden erlauben konnten, auch wenn sie auf den ersten Blick ganz locker wirkten.
„Pah!", winkte Gill ab, dem keine schlagfertige Antwort mehr einzufallen schien.
„Es ist eigentlich ganz einfach", Praatsche hob einen Finger. „Wir teilen euch in Zweiergrüppchen auf und weisen euch dann einen Spinnhund zu. Das ist dann euer Projekt für die nächsten Monate. Quasi eure Feuerprobe in dieser Kompanie. Je nachdem, wie gut ihr euch anstellt, dürft ihr danach vielleicht sogar mit den Kriegsfalken arbeiten."
Mit den Kriegsfalken zu arbeiten stand nun wirklich nicht oben auf meiner Liste, trotzdem wollte ich meine Aufgabe so gut wie möglich machen.
Die Gruppen waren schnell eingeteilt. Da wir insgesamt eine ungerade Zahl waren, durften Qen, Elmar und ich auch dieses Mal zusammenbleiben. Die Einweisung hingegen dauerte schon ein bisschen länger. Gill und Praatsche lehrten uns die Grundsätze im Umgang mit unseren künftigen Weggefährten, zeigten uns ihr Futter und erklärten uns, dass alles in dieser Abteilung nach einem strikten Plan ablief.
„Wenn wir keine klaren Vorgaben einhalten, verlieren wir am Ende die Kontrolle über die Tiere. Kontrolle ist das A und O. Auch ein vermeintlich zahmer Hund kann einen Unterarmknochen mit Leichtigkeit brechen", sagte Gill.
Auch die Fütterung der Tiere war kein Kinderspiel. Bedingt durch ihren Jagdtrieb verlangten die Chimären stets nach lebendigem Futter. Somit hielt sich die Kompanie neben den Kriegsbestien noch eine halbe Farm voller Futtertiere. Die Spinnhunde fraßen vornehmlich Kaninchen, Hühner und seltener Fasane. Bei unserer ersten Fütterung staunten wir nicht schlecht als der ganze Zwinger in dem Geschrei der Kleintiere unterging. Noch ein bisschen gruseliger wurde es, als die Chimären ihre Beute in kleine Kokons wickelten, nachdem sie sie zur Hälfte vertilgt hatten.
„Blutig aber notwendig", sagte Praatsche ausdruckslos.
„Ja... Trotzdem nichts, was ich mir jeden Tag angucken muss", raunte ich leise und schluckte ein bisschen Galle runter.
Elmar schien das Ganze kalt zu lassen. „Das ist doch natürlich. Tiere essen Tiere."
„Wie kannst du da so ruhig bleiben?", wunderte sich auch Qen.
Er zuckte mit den Schultern. „Ich komm vom Land. Mit acht hab ich erlebt wie ein Rudel Berglöwen die Schafherde eines benachbarten Bauern ausgeweidet hat. Mit zehn hab ich meinen ersten Fuchs getötet. Er wollte unser kleines Lamm reißen. Man gewöhnt sich dran."
„Wenn ich die Wahl hab, will ich mich lieber nicht dran gewöhnen", merkte ich an und Qen stimmte mir mit einem schwachen Lächeln zu.
Was uns alle dann wieder ein bisschen aufbaute, war das Training der Spinnhunde. Obwohl die Tiere primär für die Rettung von verschütteten Menschen ausgebildet wurden, so war auch ihre Kampfkraft nicht zu verachten. Um uns diese zu demonstrieren, steckten die beiden einen unserer Kameraden in einen gut gepolsterten Ganzkörperanzug. Der Junge zitterte am ganzen Leib als die Chimäre auf ihn zu stürmte und ihn ohne Umschweife zu Boden warf. Durch den Anzug drangen seine Klauen und Zähne zwar nicht hindurch, aber ich vermutete, dass unser Kamerad seelisch nicht unbeschadet aus dem Anzug raus kommen würde.
Nach dieser Demonstration begaben wir uns zu einem Kletterfelsen hinter dem Zwinger, an dem die Spinnhunde ausgelassen ihre Kletterfertigkeiten entwickeln konnten. Ich war überrascht, wie viel Mühe die Ausbilder sich gaben, um den Tieren die bestmöglichen Voraussetzungen zu geben.
„Ab einem gewissen Punkt gehen wir auch mit ihnen ins Gebirge. Aber der Hund in den Tieren empfindet das Klettern als nicht natürlich und deshalb müssen sie erst einmal ihre eigenen Grenzen überwinden. Bei dem richtigen Training geht das aber meist schnell."
Gerade wollte der Hauptgefreite dem noch etwas hinzufügen als aus den Zwinger ein lautes Scheppern zu uns drang. Unsere beiden Vorgesetzten sahen sich wissend an.
„Krocket", meinte Praatsche zu Gill.
„Mal wieder", dieser schüttelte den Kopf.
„Sollten wir das Dellbrück melden?"
„Ich weiß nicht... Du weißt doch, was er gesagt hat."
„Ja", ein düsterer Ausdruck legte sich auf sein Gesicht.
Das Scheppernd ertönte indes erneut.
Gill seufzte. „Es nützt ja nichts. Mach die Spritze fertig", dann wandte er sich an uns. „Ihr kommt mit. Es wird Zeit, dass ich euch unseren Problemfall vorstelle."
Dem Problemfall waren wir bereits begegnet. Krocket hatte uns bei unserem ersten Besuch mit einem lauten Fauchen begrüßt. Dieses Mal jedoch begnügte er sich nicht damit. Aufgekratzt rannte er in seinem Käfig hin und her und prallte dabei immer wieder gegen die Gitterstäbe. Zischend stürzte er zu Boden als sich eines seiner Beine zwischen den Stangen verhedderte und brüllte einen unsichtbaren Feind an.
Langsam ging Gill auf ihn zu. „Ist ja gut."
Vorsichtig umfasste er das Bein des Spinnhundes und löste es aus dem Gitter. Krocket schien das gar nicht zu gefallen, denn er schnappte nach seinem Aufseher und nur Gills schnelle Reaktion bewahrte ihn vor dem zuvor angekündigten Armbruch. Mit wutschäumendem Maul schlug der Spinnhund seine Zangen gegen den harten Stahl. Den Stabsunteroffizier beeindruckte sein Gehabe kein bisschen, in seinem Blick schwang nur Enttäuschung mit.
Kurze Zeit später betrat auch schon Hauptgefreiter Praatsche in dem gepolsterten Ganzkörperanzug das Gehege. In seinem Fäustling hielt er eine Spritze, die er der Chimäre in die Schulter rammte, als sie ihm an die Kehle gehen wollte. Es dauerte keine Sekunde, da jaulte Krocket noch einmal auf und ging dann reglos zu Boden.
„Ist er tot?", fragte ich nach einem verschwiegenen Augenblick.
„Nein, nur betäubt", sagte Gill. „Die einzige Möglichkeit, ihn ruhig zu stellen, wenn er einen seiner Anfälle hat."
„Was sind das für Anfälle?", wollte jemand wissen.
„Nun. Krocket hat eine bewegte Vergangenheit hinter sich. Als er noch ein Welpe war, ist jemand hier eingedrungen und hat ihn entführt. Wir vermuten, dass es sich um einen risischen Spion handelte, doch niemand hat je handfeste Beweise sammeln können. Nach einigen Jahren dann ist er wieder aufgetaucht. Ein Trupp hat ihn halb verhungert in den Bergen gefunden, er war völlig verängstigt und verstört. Sie haben ihn in die Kompanie mitgenommen und wieder aufgepäppelt, doch er hat sich nie ganz von seinen Erlebnissen erholt."
„Warum wurde er nicht eingeschläfert?", fragte Elmar beinahe emotionslos.
„Das hätten wir schon längst. Krocket hatte einfach Glück, dass Dellbrück an ihm Gefallen gefunden hat. Außerdem hat er gute Gene, die ihn sehr wertvoll machen. Doch mittlerweile ist er einfach nicht mehr haltbar. Hauptmann Aigner pocht darauf, dass wir ihn... aussortieren, wenn sich sein Zustand nicht bessert. Und wir können einfach keine Erfolge erzielen."
„Also soll er einfach eingeschläfert werden?", ich war fassungslos.
„Das hier sind keine Haustiere. Sie haben eine Aufgabe und wenn sie diese nicht mehr erfüllen können müssen sie halt gehen."
Elmar nickte verständnisvoll.
„Und wenn wir ihm helfen könnten? Wenn wir ihn wieder nützlich machen?"
Gill hob eine Augenbraue. „Ich sagte doch schon, dass wir alles versucht haben."
„Vielleicht noch nicht alles!", rief ich aufgeregt. Dies war meine Chance! Wenn ich diesem Wesen helfen konnte, würde ich vielleicht endlich meinen Platz beim Militär finden.
„Und was meinst du, der erst seit einem Tag in dieser Kompanie ist, tun zu können, was wir mit jahrelanger Erfahrung nicht geschafft haben?"
Das war in der Tat eine gute Frage. Ich hatte keine Ahnung. „Ich werde mir etwas ausdenken! Ich muss mich nur ein bisschen einlesen!"
„Du hast bis Ende der Woche", sagte der Stabsunteroffizier. „Dann können wir Aigner nicht mehr hinhalten."
„Oh", das war nun wirklich nicht lange.
„Und während der Dienstzeit wirst du deinen normalen Dienst tun."
Ich schluckte. Dieses Vorhaben wurde immer unmöglicher. Ich hatte kaum Ahnung von Chimären, geschweige denn von Spinnhunden. Das ist eine unlösbare Aufgabe.
Aber dann sah ich in die Augen meines Vorgesetzten und erblickte dort Hoffnung. Die Hoffnung, dass ich, der ich noch nie mit diesen Tieren gearbeitet hatte, auf wundersame Weise tatsächlich einen Weg finden würde, seinen Schützling zu retten. Und mehr brauchte ich nicht, um mich zu motivieren.

Carcan - Die WinterkriegeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt