Aaros

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Ich sah seine Orden jeden Tag.

Der goldene stand für Tapferkeit im Angesicht des Feindes.

Der silberne stand für außerordentliche Kameradschaft.

Dann war da noch das Kreuz aus Platin. Überreicht vom Kaiser höchstpersönlich.

Jeden Tag konnte ich sehen, was für ein großer Mann mein Vater war. Und trotzdem erwartete er, dass ich seine Leistungen noch übertraf. Dass ich der Offizier wurde, der er nie werden konnte. Dass ich irgendwann an der Spitze des Carcanischen Heeres stand und diese Nation, die er so abgöttisch liebte, zu einer Weltmacht machen würde.

Keine einfache Aufgabe für einen Siebzehnjährigen, der bisher nur die Schulbank gedrückt hatte. Doch damit war es heute vorbei.

„Was ist das?", fragte ich meine Mutter, eine ernsthafte und verschlossene Frau, die nur in meiner Anwesenheit wirklich aufzutauen schien. Kurz zuvor hatte sie mir mit einem bedrückten Ausdruck einen Briefumschlag mit dem kaiserlichen Siegel ausgehändigt, den ich nun mit Missmut begutachtete.

„Es ist...", sie brach ab. „Sie am besten selbst nach."

Ohne allzu große Vorsicht riss ich den Umschlag auf. Hinaus kam ein einzelner Zettel mit einem eindeutigen Anschreiben:

Sehr geehrter Aaros Batista,

Wir danken Ihnen dafür, dass Sie sich für die Kaiserliche Armee verpflichten möchten, jeder neue Rekrut ist eine Bereicherung für unsere großartige Nation.

Wir freuen uns, Ihnen mitteilen zu können, dass sie bereits zum Ersten des Monats Artikus eingezogen werden.

Bitte melden Sie an diesem Tage bis um vierzehn Uhr bei Feldwebel Bloch in der Stützpunktaußenstelle in Ehresberg. Mitzubringen sind dieses Schreiben, sowie ein Dokument, das ihre Identität beweist.

Von dort werden sie nach Werrich verlegen, um dort ihre Ausbildung beim 11. Alchemiebataillon zu beginnen.

Ihre Verpflichtungszeit beläuft sich auf zwei Jahre mit der Möglichkeit auf Verlängerung.

Kameradschaftliche Grüße,

Unteroffizier Herrlich

Ich las das Schreiben ein zweites Mal, dann ein drittes Mal. Doch auch nach dem viertel Mal lesen konnte ich noch immer nicht fassen, was dort stand.

„Mutter", keuchte ich. „Was hat das zu bedeuten? Warum bekomme ich so ein Schreiben von der Armee? Ich hab mich dort nie beworben!"

Meine Mutter senkte den Kopf. „Aaros... Es tut mir so Leid... Aber dein Vater, er..."

„Mein Vater?!", ich zerknüllte den Zettel in meiner Hand. Mein Vater! Der glorreiche Kriegsheld und alter Stabsfeldwebel, der am liebsten General geworden wäre, es aufgrund seiner niederen Geburt aber nicht geschafft hatte, in den Rängen aufzusteigen. Nun war ich seine Hoffnung. Da er ein dekorierter Veteran war, standen meine Chancen deutlich besser, einen Offiziersrang zu erwerben.

Dies war zumindest seine Vorstellung von meinem Leben.

Ich selbst hingegen hatte keinerlei Ambitionen, dem Militär beizutreten. Ich wollte Arzt werden oder Anwalt, irgendwas, wo ich den Menschen helfen und etwas bewegen konnte. Auf einem Schlachtfeld zu stehen mit einem Gewehr in den Händen, das war nicht, was ich wollte. Aber er wollte es.

Erbost stürmte ich die Treppe unseres kleinen Stadthauses hoch. Mein Vater hatte dort sein Arbeitszimmer, in dem er täglich an seinen Memoiren schrieb, die er hoffte, bald veröffentlichen zu können. Normalerweise verbat er allen den Zutritt, wenn er gerade arbeitete, doch das interessierte mich gerade herzlich wenig. Durch die schwere Tür drang der Klang der Grammophonmusik, natürlich ein Marschlied. Ich riss die Klinke runter und platzte in den Raum.

Wer meinen Vater sah, sah in ihm sofort den Soldaten. Gekleidet in seine alte Paradeuniform mit der schwarzen Jacke und den goldenen Knöpfen, sowie der weißen Hose und den Reiterstiefeln. Seine grauen Haare waren kurz geschoren und sein Blick war streng wie immer. Er arbeitete gerade an seinem Manuskript, als er mein ungestümes Hereinkommen bemerkte, sah er von diesem auf. In seinen Augen sah ich, dass er mich schon für mein Verhalten rügen wollte, doch ich kam ihm zuvor.

„Was ist das hier, Vater?", ich hielt ihm das Anschreiben vors Gesicht. „Ist das auf deinen Mist gewachsen?"

Für einen Moment sah er aus, als wollte er mir eine Backpfeife verpassen. Es war mir egal. Er hatte mich schon früher geschlagen, wenn ich nicht nach seiner Pfeife tanzte, und ich war viel zu aufgebracht, um mich vor ihm zu fürchten. Seine Hand hatte er schon erhoben, doch dann viel sein Blick auf den Zettel und seine Miene hellte auf.

„Ist es endlich gekommen?", fragte er beinahe fröhlich und nahm er mir den Brief aus der Hand und las ihn eifrig durch. „Schon im Artikus... Nach Werrich... Alchemie..."

Als er fertig war umspielte ein schwaches Lächeln seine Lippen. „Aaros. Du glaubst ja nicht, wie lange ich darauf gewartet habe."

„Also hast du meine Bewerbung eingereicht?", stellte ich fest, denn ich hörte von meiner freiwilligen Verpflichtung heute zum ersten Mal.

„Das habe ich, Junge", er klang stolz. „Du wirst in die Fußstapfen deines Vaters treten. Und noch dazu bei den Alchemisten, da habe ich damals auch begonnen. Zwar nicht in Werrich, aber das spielt keine Rolle..."

„Das spielt wirklich keine Rolle!", so langsam regte mich sein gelassenes Verhalten auf. „Warum wusste ich nichts davon?"

„Weil du versucht hättest, mich davon abzuhalten", stellte er nüchtern fest.

„Da hast du allerdings Recht! Ich will nicht zum Militär! Ich will nicht in deine Fußstapfen treten! Ich will studieren!"

„Pah!", spie er aus. „Studieren! Was hast du denn davon? Dort lernst du sicher keine Disziplin und Ordnung! Ich habe alles versucht, dich auf den rechten Pfad zu bringen, doch du bist einfach unbelehrbar! Was blieb mir denn anderes übrig als die Verpflichtungserklärung für dich zu unterzeichnen? Noch bist du siebzehn und ich kann über deinen Werdegang bestimmen. Und wenn du erst einmal in der Truppe bist und das Leben dort kennen gelernt hast, wirst du sehen, dass es dir dort gefällt. Du bist ein Batista, Aaros! Du bist dazu geboren, deinem Land zu dienen!"

Ich konnte gar nicht fassen, was er mir hier an den Kopf warf. Wenn ich zu einem nicht geboren war, dann zum Dienen beim Militär. Ich war schon immer von schmächtiger Statur gewesen, viel eher ein Denker als alles andere. Mein freier Geist hatte mich auch in der Schule schon oft in Schwierigkeiten gebracht und bei der Armee, wo Befehl und Gehorsam das oberste Gebot war, würde ich so wohl auch keine Pluspunkte sammeln.

„Ich bin nicht wie du, Vater. Ich bin kein Soldat."

„Dann wirst du zu einem werden. Oder du wirst zerbrechen."

Warme Worte von einem fürsorglichen Vater klangen anders. Ich spürte, wie sich meine Kehle zusammenzog. Allein die Tatsache, dass mein Vater mich einfach für zwei Jahre abgeschoben hatte, hätte genügt, um mich an seiner Liebe zu mir zweifeln zu lassen, doch die Gleichgültigkeit, die er mir gegenüber an den Tag legte, traf mich noch härter.

„Es sind kaum noch zwanzig Tage bis zum Ersten. Es gibt noch ein paar Dinge zu klären, bevor du deinen Dienst antrittst, wir sollten gleich morgen damit anfangen. Vor allem brauchst du eine Uniform, eine Carcanische Paradeuniform", er sah so froh aus. Als würden bald alle seine Wünsche wahr. Und als wäre ich derjenige, der sie ihm erfüllen würde. Ich wollte und konnte ihn nicht mehr ansehen. Ich stob aus dem Raum und ließ ihn mit seinen Fantasien alleine. Mein Vater hatte soeben mein Leben zerstört und er war sich noch nicht mal dessen bewusst.

Meine Mutter stand mit einem zerknirschten Gesichtsausdruck auf der obersten Stufe der Treppe. Mir war völlig klar, dass sie vom Vorhaben meines Vaters gewusst hatte und er ihr verboten hatte, mir davon erzählen. Ich konnte ihr nicht böse sein, sie fürchtete sich vor ihm und seinen Gefühlsausbrüchen und tat immer das, was er von ihr verlangte.

„Aaros, mein Schatz, es tut mir so Leid", sie nahm meinen Kopf in ihre Hände und streichelte mir über die Wange.

Ich ließ es geschehen, sagte aber nichts. Selbst meine Mutter konnte mich jetzt nicht trösten, niemand konnte das. In knapp drei Wochen würde ich meinen Dienst antreten müssen und nichts konnte das jetzt noch verhindern.


Carcan - Die WinterkriegeWhere stories live. Discover now