Ein kurzer Sonntag

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Elli - Ich hatte Aaros nicht alles erzählt.

Die Wahrheit war, ich wollte dieses kleine nächtliche Abenteuer ganz für mich alleine haben.

Seitdem die Offiziere mit ihrem Spiel begonnen hatten, beobachtete ich sie. Es war faszinierend und ich war voll und ganz von ihrem Wettkampf eingenommen.

Mittlerweile war ich mir sicher, einen Großteil der Regeln begriffen zu haben. Da ihre Worte mich in meinem kleinen Wäldchen nicht erreichten, konnte ich mir den Rest nur zusammen reimen, doch konnte ich definitiv sagen, dass es bei dem Spiel um Landgewinn ging. Jeder Spieler hatte eine eigene Armee und musste sein Territorium vor feindlichen Übergriffen schützen, Ressourcen vermehren und schließlich als letzter Mann auf dem Schlachtfeld bestehen. Dies war nicht an die Realität angelehnt, wo viele Staaten die Welt bevölkerten, hier lief alles auf einen Alleinherrscher hinaus. Ich hatte Spieler Allianzen schließen sehen, nur um sich später in den Rücken zu fallen. Andere hatten dies vorhergesehen und den Moment der Schwäche genutzt, um selbst voranzuschreiten. Städte wurden gebaut und wieder zerstört, Grenzen wurden wieder und wieder neu gezogen. Wo der eine Spieler auf die Macht der Masse setzte und viele Infanteristen kommandierte, setzte ein anderer auf wenige starke Einheiten wie Luftschiffe oder Kriegsbestien. Es gab so viele verschieden Strategien! Und ich wollte sie am liebsten selbst erproben!

Doch für den Moment war ich nur ein stiller Betrachter und das Spiel zwischen dem Hauptmann und Rayk erreichte die heiße Phase.

Die beiden übrigen Armeen standen sich in ihrer gesamten Stärke an vielen Fronten gegenüber. Der Offizier kommandierte die weißen Truppen, während der Mannschafter Herr über die roten Spielsteine war. Spielsteine war vielleicht der falsche Begriff. Die Einheiten waren tatsächlich sehr detaillierte Modelle und ihren realen Vorbildern nachempfunden.

Rayk hatte vornehmlich auf Kriegsbestien und alchemistische Artillerie gesetzt, wohingegen der Hauptmann nur einen einzigen Kriegsfalken in seinen Reihen hatte, dafür aber mit zahlreichen Luftschiffen auftrumpfte. Und das wo Carcans Luftwaffe doch noch in den Kinderschuhen steckt...

Es war ein spannendes Duell. Keiner der Kontrahenten schenkte seinem Gegner auch nur einen minimalen Raumgewinn und beide operierten unter starken Verlusten. Die Artillerie erwies sich als wirksam gegen die Luftschiffe, die wiederum mit ihren Bomben ganze Landstriche vernichteten und die bodengebundenen Kriegsbestien mit einem Schlag ausschaltete.

Die bereits ausgeschiedenen Offiziere schlossen eifrig Wetten auf den Ausgang des Krieges ab und jede Menge Geld wechselte den Besitzer.

Dann, nach zwei weiteren Stunden, war das Spiel vorbei. Der Hauptmann rückte in Rayks Hauptstadt ein und hisste dort seine Flagge. Erst als die Offiziere laut johlten, fiel mir auf, dass ich zuletzt meinen Atem angehalten hatte. Das war intensiv!, stellte ich fest.

Rayk gab einen guten Verlierer ab. Noch immer grinsend machte er entschuldigende Gesten gegenüber jenen, die auf ihn gesetzt hatten und erntete ein paar anerkennende Klapse auf den Rücken. Ob er wohl absichtlich verloren hat?, fragte ich mich. Zwar kannte ich Rayk kaum einen Tag, doch spürte ich, dass eine ganze Menge in ihm steckte. Allerdings wirkte der Hauptmann nicht gerade wie jemand, der es nötig hatte, ihn gewinnen zu lassen. Ich schätzte ihn auf Mitte vierzig mit seinem schütteren hellbraunen Haar und seinem außerordentlichen Schnauzer. Er strahlte eine Aura der Kompetenz aus, wie sie wohl nur ein Mann mit seiner Erfahrung besaß.

Wie auch immer, das war auf jeden Fall ein spannender Kampf!

Die Verlierer räumten den Tisch ab und richteten die Freizeithalle wieder her, während der glorreiche Sieger genüsslich eine Pfeife rauchte. Nach kaum zehn Minuten erinnerte nichts mehr daran, dass hier eben eine epische Schlacht stattgefunden hatte. Die Offiziere schalteten das Licht ab und verließen die Halle. Ich selbst blieb noch einen Moment in meinem Versteck, bevor auch ich mich auf den Rückweg zu meinem Quartier begab. Es war bereits nach drei Uhr nachts und ich war hundemüde. Zum Glück war morgen Sonntag und ich konnte ausschlafen.

Carcan - Die WinterkriegeWhere stories live. Discover now