Die Spielhölle

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Elli - Mir war tatsächlich langweilig.

Ich hatte schon geglaubt, vergessen zu haben, wie sich Langeweile anfühlte, doch heute wurde ich eines besseren belehrt. Es war Samstag, Qen war mit Feldwebel Stark auf Reisen und Aaros war in seine Bücher vertieft und nahm mich nicht einmal wahr. Ich lag auf meinem Bett und starrte das Lattenrost über mir an. Es war wirklich öde.

Den Morgen hatte ich mit Sport verbracht. Mein Körper war endlich wieder einigermaßen auf dem Damm und ich konnte es mir nicht erlauben, weiter Muskeln abzubauen. Liegestütze, Klimmzüge, Rumpfbeugen, Ausfallschritte, ein ausgedehnter Lauf, das volle Programm. Verschwitzt und erschöpft hatte ich mich gewaschen. Die Temperaturen waren inzwischen warm genug, dass man bei einem Bad im See nicht augenblicklich erfror. Zu empfehlen war es aber dennoch nicht, wie ich zitternd feststellte als ich mich in mein Handtuch wickelte, doch die Katzenwäsche war ich endgültig Leid. Ich freute mich wirklich auf den nahenden Sommer.

Um mich aufzuwärmen hatte ich mich danach unter meine Bettdecke verkrochen. Dieser Prozess war nun abgeschlossen und ich war bereit für ein bisschen Unterhaltung.

„Ich bin mal unterwegs", verkündete ich, was meinem Kameraden zumindest ein leises Grummeln entlockte. Ich zog meine bequeme Hose und mein kariertes Hemd an und schlüpfte dann in meine Jacke. „Bis später."

Die Kaserne glich einer Geisterstadt. Ich fragte mich, was wohl alle anderen an einem Samstagvormittag trieben, immerhin waren sie in der gleichen Position wie ich. Dann erinnerte ich mich an die Freizeithalle, die uns Unteroffizier Hauser damals beim Kasernenrundgang gezeigt hatte. Wir waren immer so ausgelaugt von der vorherigen Woche gewesen, dass wir uns meist kaum aus dem Bett bewegt hatten, somit war sie für mich unerforschtes Territorium. Was es da wohl so gibt?

Ich hatte die Halle schnell gefunden. Obwohl „Halle" eine überspitzte Bezeichnung war, der Raum war nämlich gar nicht so groß wie seine Bezeichnung vermuten ließ. Hier gab es einen Billardtisch, ein paar Schachbretter, sowie Dame und Mühle, Mensch ärgere dich nicht und weitere Brettspiele, die ich nicht kannte. An einem Tisch spielten einige Soldaten Karten, in der Ecke stand ein Klavier, an dem jemand eine traurige Melodie klimperte. Aus einem Nebenraum vernahm ich das Geräusch eines Tischtennisspiels. Bestimmt fünfzig Soldaten hatten sich hier rein gequetscht und amüsierten sich ausgelassen.

Die Tür fiel geräuschvoll hinter mir ins Schloss und sofort waren alle Blicke auf mich gerichtet. „Hey", sagte ich und hob die Hand.

Ein paar Soldaten murmelten eine Begrüßung, die meisten widmeten sich wieder ihren Beschäftigungen, ohne sonderlich Notiz von mir zu nehmen. Da hätte ich auch im Bett bleiben können, ich verdrehte die Augen.

Ich wollte schon wieder gehen, da erbarmte sich jemand, doch mit mir zu reden.

„Moin!", lächelnd reichte der Soldat mir die Hand. Ich schätzte ihn auf etwa achtzehn, mit blondem Haar, blauen Augen und einem nicht unattraktiven Gesicht. Seine Nase war gerade, sein Kiefer war ausgeprägt und er hatte die kleinsten Ohren, die ich je bei einem Menschen gesehen hatte. In einem anderen Leben wäre er wohl jemand gewesen, für den ich hätte schwärmen können „Dich hab ich hier noch nie gesehen."

„Ah, ja. Ich komm frisch aus der Grundausbildung", gestand ich.

Kleinohr lachte. Es war ein ehrliches Lachen. „Das erklärt es dann! Ich bin auch erst vor drei Monaten fertig geworden und musste mich wieder an so viel Freizeit gewöhnen! Oh, ich bin übrigens Rayk."

„Elmar", stellte ich mich vor.

„Lass dich nicht von den Leuten hier einschüchtern. Setz dich einfach dazu und spiel' mit, dann findest du schnell Anschluss. Ich glaub, ich hab sogar schon welche deiner Kameraden gesehen", er deutete auf eine Gruppe Jungen beim Billardtisch. Es war Klaus mit seinem Tross.

„Ehm... Nein, die kenne ich nicht", beschloss ich kurzerhand.

„Naja, macht ja nichts! Hier lernst du schnell neue Leute kennen!"

„Ich weiß nicht...", skeptisch beäugte ich die Massen. War das wirklich mein Ding? So viel Trubel war ich gar nicht gewohnt. Vielleicht sollte ich wie Aaros mal die Bibliothek besuchen.

Doch Rayk ließ sich so schnell nicht abwimmeln. „Komm schon! Wir spielen eine Runde Karten!", er packte meine Hand. „Was sagst du dazu?"

„Ehm...", Protest war sinnlos. Schon zog er mich wie eine gewichtslose Puppe durch die Halle zu einem der Tische. Hier hockten ein paar düster anmutende Gestalten, die ganz vertieft waren in ihre Partie. Rayk schubste einen von ihnen beiseite und platzierte mich auf dessen Stuhl.

„Hey!", maulte der Verstoßene. Zurecht, wie ich fand. Doch als er Rayk sah, verstummte er augenblicklich. „Oh, du bist es..."

„Wen hast du uns denn da mitgebracht?", grunzte einer der anderen Kerle. Er hatte eine hohe Stirn und eine Schweinenase. Für den könnte ich wohl nicht schwärmen...

„Das ist Elmar!", verkündete Rayk als stellte er gerade eine wirklich wichtige Persönlichkeit vor. „Er spielt heute eine Runde mit uns."

Schweinenase beugte sich vor und grinste hämisch. „Ach ja? Wo hast du den denn ausgegraben? Er ist so süß, ich möchte ihn am liebsten gleich flachlegen!"

Die Kartenspieler grölten laut los und ich verdrehte nur genervt die Augen. Wenn der wüsste...

„Nanana!", warf Rayk ein. „Seid doch nicht so. Wollt ihr ihn etwa sofort wieder vergraulen?"

Schweinenase fixierte mich mit seinen kleinen Augen. „Wenn er das nicht aushält, ist er unserer Runde nicht würdig."

„Nicht würdig"? Was glauben die denn, was das hier ist?

„Was spielt ihr hier?", fragte ich. Stumm wäre ich bestimmt leichte Beute. „Oder bin ich es nicht würdig, in eurer Runde zu sprechen, Schweinekaiser?"

Es war ein wahrer Genuss zu sehen, wie ihm die Röte in die Wangen stieg. „Wie kannst du es wagen?!"

Er sprang über den Tisch auf mich zu, doch ich hatte schon mit einer solchen Attacke gerechnet und wich geschickt aus. Krachend landete Schweinenase mitsamt dem Tisch auf dem Boden, die Spielkarten regneten auf ihn herab.

„Hups", sagte ich dümmlich, was ihn wütend schnauben ließ.

Erst jetzt schaltete sich mein Verstand wieder ein. Ich dachte an die letzten Konflikte zurück, in die ich mich ohne gründliche Überlegung gestürzt hatte. Keiner davon war wirklich gut verlaufen, um nicht zu sagen katastrophal schlecht. Wenn ich mir seine Spielkumpanen so ansah, hatte ich da sicher auch keine Chance. Wo ist Qen, wenn man ihn mal braucht? Er hätte mich bestimmt vor dieser Dummheit bewahrt. Oder zumindest seine Fäuste spielen lassen, wenn nötig...

Um Schweinenase und mich bildete sich eine Traube gaffender Soldaten. Keiner sagte etwas. Ich schluckte. Damit hatte ich wohl mein Todesurteil unterzeichnet.

Doch dann lachte der erste los. Nach und nach stimmten alle mit ein, bis schließlich die halbe Freizeithalle johlte.

„Oh, Frank, guck dich an!", brüllte Rayk. „Hat der Schönling wohl dich flachgelegt!"

Der Schweinekaiser Frank fand dies nicht sehr witzig. Oder? Schmunzelte er nicht auch?

Rayk zog ihn auf die Beine. „Klappe, Rayk!"

„Na, komm schon! Wenn du das nicht aushältst, bist du unserer Runde nicht würdig!"

Das überzeugte dann auch Frank. Sein Gesicht verzog sich zu einem Grinsen und er stimmte in das Gegröle mit ein. Ich stand immer noch sprachlos da, unsicher, wie ich reagieren sollte. Gehörte ich nun dazu? Sollte ich auch lachen?

Mein Fremdenführer erlöste mich schließlich aus der peinlichen Situation. „Also, Elmar, wie es aussieht, hat die Gruppe dich akzeptiert. Wenn wir dann den Tisch wieder aufgestellt haben, spielen wir wie versprochen eine Runde Karten. Wahrscheinlich kennst du das Spiel nicht. Es heißt Gehängter Esel."

Nein, ich kannte das Spiel nicht. Aber der Titel klang schon einmal verlockend.

Carcan - Die WinterkriegeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt