Zurück zur Normalität

Start from the beginning
                                    

Zu den Verletzten bei Gruppe 1 gehörten nur Aaros und Marvin, dessen Kiefer gebrochen war. Wir anderen hatten nur kleinere Blessuren. Marvin wurde schon am Donnerstag wieder entlassen, Aaros am Sonntagabend, wie er es prophezeit hatte.

Seine Wunde war gut verheilt, selbst die Fäden waren schon gezogen worden. Wenn ich an meine Verletzungen zurückdachte, die ich mir in meinen Jahren in Harland zugezogen hatte, war ich nie so schnell wieder fit gewesen. Alchemisten sind echte Magier. Die haben überall ihre Finger im Spiel.

Viel mehr als seine körperliche Genesung jedoch, wunderte mich, dass er emotional alles so gut verarbeitet hatte. Ich wachte manche Nacht noch schweißgebadet auf und sah die grässliche Fratze des Kriegsfalken vor mir, seine bedrohlichen Augen, seine kahlen Stellen, die Federfetzen, die an seinem Körper noch übrig waren. Wenn ich darüber nachdachte, dass in zweihundert Meter Luftlinie von hier noch viel mehr von diesen Kreaturen gehalten wurden, wurde mir ganz schlecht. Außerdem wurmte mich meine Untätigkeit. Zwar hatte ich am Ende doch noch gehandelt, aber da war es beinahe schon zu spät gewesen. Im Gegensatz zu mir hatte Aaros sich als überraschend tapfer bewiesen. Von Elmar wusste ich ja schon, dass er suizidal veranlagt war, aber beim Bibliothekar war das eine völlig neue Seite. Im Gegensatz zum Märchenprinzen war sein Vorgehen allerdings viel systematischer gewesen und er hatte tatsächlich Schaden angerichtet. Wer weiß, vielleicht hätte er ohne seine Verletzung den Falken sogar bezwungen. Nach einem Mal Schießen schon so gut zu treffen, das verdiente Anerkennung.

„Bist du ab morgen dann wieder mit vollen Einsatz dabei?", fragte Elmar.

„Klar", Aaros reckte eine Faust in die Höhe. „Unsere Schießausbildung geht schließlich weiter, da darf ich nicht fehlen. Außerdem gehen wir danach auch noch ins Grüne."

„Woher weißt du das alles?", wunderte ich mich. „Ich kann mich nicht erinnern, dass irgendwer uns verraten hat, was kommt."

„Naja, mein Vater hat mir erzählt, was man normalerweise so in einer Grundausbildung macht. Außerdem hat Feldwebel Stark mich besucht, weil er sich informieren wollte, ob ich die Ausbildung durchziehen kann oder nicht."

„Er hat dich besucht?", so viel Fürsorge hatte ich ihm gar nicht zugetraut.

„Ja. Uns alle. Er hat uns zwar nichts mitgebracht oder so, aber schien ehrlich in Sorge."

„Also wieder schießen...", murmelte ich. Ich hätte nie behautet, Angst zu haben, aber an diesen Ort zurückzukehren, stand auch nicht gerade oben auf meiner Wunschliste.

„Kommt schon, das wird gut. Ich mein, so was wie letztes Mal passiert sicher nicht nochmal."

Wie sich herausstellte, lag Aaros mit seiner Prognose goldrichtig. Die Schießausbildung verlief dieses Mal reibungslos und trotz der enormen Kälte hatten wir richtig viel Spaß. Da ich im Umgang mit Gewehren schon geübt war, hatte ich sogar noch ein bisschen mehr Spaß als die anderen. Dass dieses Mal kein blutrünstiges Monster auftauchte und unsere Truppe dezimierte, half zusätzlich.

Nach einer Woche auf der Schießbahn ging es danach auf den Übungsplatz für ein kurzes Biwak. Dort übten wir den Zeltaufbau, Feuer machen, Tarnen und Täuschen, Bewegungsarten im Gelände und natürlich das Orientieren. Rito war überraschend gut mit Karte und Kompass, während Aaros und ich überhaupt keine Orientierung hatten.

Zwei Nächte verbrachten wir draußen in unseren gut gefütterten Schlafsäcken. Unseren Schlaf mussten wir jedoch ständig unterbrechen, da wir auch Aufgaben im Alarmposten, als Feuerwache und als Streife übernehmen mussten. Und einen Nachtalarm gab es auch. Nach den drei Tagen waren wir froh als wir erschöpft in unsere harten Kasernenkojen fallen konnten.

Immerhin hatten das Schießen und das Biwak dazu beigetragen, dass die Launen wieder stiegen und der Kriegsfalke in die letzten Ecken unseres Gedächtnisses verbannt wurde.

Es kam mir mittlerweile so vor als würde ich Elmar, Aaros und Rito schon ewig kennen. Am Ende der vierten Woche waren wir ein eingespieltes Team und ich verstand mich richtig gut mit den Dreien. Auch Gruppe 1 insgesamt funktionierte wie eine geölte Maschine. Neben unserem offiziellen Führer Elmar, der sich auch abseits des zugewiesenen Gruppendienstes bewiesen hatte, wusste nun auch der Rest von uns, wo wir hingehörten. Wir kannten die Stärken und Schwächen der anderen, ihre Vorlieben, was sie rasend machte, wann es ihnen nicht so gut ging, wann man sie besser in Ruhe ließ. Auch an den Sport und das Marschieren hatten wir uns gewöhnt, wir kannten sämtliche Marschlieder und fühlten uns wie echte Soldaten.

Wir überstanden die Sanitätsausbildung, in der wir lernten, Verwundete auf dem Schlachtfeld zu versorgen und für den Abtransport vorzubereiten. Dann kam eine kleine Einweisung in infanteristische Strategien, Stellungsausbau und Schanzen, erweiterte Waffenausbildung und bald blieben uns von unseren drei Monaten nur noch zwei Wochen.

Unsere Abschlussübung stand bevor: Der dreitägige Orientierungsmarsch.

Carcan - Die WinterkriegeWhere stories live. Discover now