Kapitel 76

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(Hailys Sicht)

Lynn saß auf ihrer Matratze. Okey, sitzen ist falsch ausgedrückt. Sie kauerte auf ihrer Matratze, auf dem Boden und weinte. Sie schluchzte unaufhaltsam in sich hinein. Ihre Wimperntusche war bereits über das gesamte Gesicht gelaufen.

Lynn hat noch nie geweint. Sie wirkte für mich immer so stark. Doch jeder Mensch hat eine verletzliche Seite und Lynns kam genau jetzt zum Ausdruck.

Sofort ging ich zu ihr und nahm sie in die Arme. Sie legte ihren Kopf auf meine Schulter und erwiderte die Umarmung. Ersteinmal sage ich besser gar nichts. In solchen Momenten, egal was passiert ist, will man nicht sprechen. Zumindest die ersten paar Minuten. Eine Umarmung ist da genau das richtige.

Nach einer gefühlten Ewigkeit löste sie sich aus der Umarmung und wischte sich die Tränen mit dem Handrücken weg. Es tat mir im Herzen weh, Lynn so am Boden zu sehen. Da stiegen mir sogar die Tränen auf. Sie so zu sehen ist einfach eine Qual.

Ich zupfte zeitgleich ein Taschentuch aus der Packung hinter mir und reichte es Lynn. Sie nahm es dankend an und wischte sich wieder die Tränen weg, welche einfach nicht aufhören wollten. „Was ist passiert?" unterbrach ich die Stille schließlich, nachdem ich Lynn einen Moment beobachtet habe.

Sie schniefte kurz auf und schaute mich durch ihre blauen, wässigen Augen an. Sie brachte keinen Ton heraus.

„Hattest du mit Logan Streit?" hakte ich zögerlich nach, wobei ich mir nicht wirklich vorstellen konnte, dass sie und Logan jemals Streit haben werden. Sie schüttelte den Kopf. Was könnte es dann sein? Warte genau, ich habs. „Ist es wegen deiner Familie?"

Jetzt nickte sie kaum merklich und weitere Tränen fanden den Weg über ihre Wangen. „Willst du reden?" beruhigend strich ich ihr über den Rücken.

Und Lynn fing tatsächlich an zu sprechen. Mit einem tiefen Schluchzten in der Stimmlage „Es ist momentan nicht gerade einfach bei uns zuhause" sie nahm das Taschentuch und schnaubte. Dann erzählte sie weiter, während ich ihr zuhörte ohne sie auch nur eine Sekunde zu unterbrechen. „Meine Eltern haben sich in letzter Zeit ziemlich oft gestritten. Und mit oft meine ich tagtäglich mehrmals. Ihre Ehe liegt schon seit zwei Wochen in Scherben. Mich hat das ziemlich fertig gemacht, dass ich bei dem ganzen Geschreie nichtmal schlafen konnte. Durch einen Zufall habe ich mitbekommen, dass mein Vater meine Mutter betrogen hat und das nicht nur einmal. Außerdem schlägt er sie ab und zu. Meine Mutter musste so viele seelische Schmerzen mitmachen und dann auch noch körperliche, da habe ich es einmal nicht mehr ausgehalten ihren Schrei wortlos zu ertragen. Ich bin also zu meinen streitenden Eltern. Mein Vater hat sie gerade geohrfeigt und ich schrie ihm ins Gesicht, dass er soetwas nicht bringen kann. Ich schrie einfach den ganzen Schmerz heraus. Und dann hat er..." sie schluchzte erneut auf und wischte mit zittrigen Händen über ihre Augen.

„Was hat er gemacht?" fragte ich so ruhig wie möglich. „Er... er ... hat mich geschlagen" zum Ende brach ihre Stimme ab und sie fing wieder stärker an zu weinen. Was? Ihr Vater hat sie geschlagen?

Ich fasse es nicht, wie kann ein Vater soetwas tun?

Lynn tat mir in dem Moment unfassbar leid und ich wollte ihr irgendwie helfen. Blöderweiße hatte ich keine Ahnung wie.

Doch sie war noch nicht am Ende. „Danach bin ich halt abgehauen, zu euch" sie lächelte schwach wurde kurz darauf dennoch wieder traurig. Ich kann ihr das nicht verübeln. „Er hat gerade angerufen und mich angeschrien, dass ich nachhause kommen soll. Um ehrlich zu sein habe ich aber furchtbare Angst wieder zu ihm zu gehen. Früher war er nie so aggressiv, seitdem er Trinkt, weil er keinen Job mehr hat, hat er sich aber massiv verändert. Er macht mir und meiner Mutter Angst" Ihre Augen spiegelten die Angst genaustens wieder. „Ich will nicht wieder dahin" sagte sie mit zittriger und leiser Stimme. Wieder nahm ich sie in den Arm. Das Lynns Familie so kaputt ist hätte ich niemals gedacht.

Sie wirkte immer so fröhlich, liebevoll und aufgeschlossen. Woher soll man da ahnen, dass sie aus so einem kaputten Umfeld kommt?

Ihr Handy klingelte wieder. Ich schaute auf das Display. Dad, stand als einkommender Anruf auf dem Bildschirm. Lynn schaute unsicher und unentschlossen auf das erhellte und klingelnde Handy.

Ich sah ihren Blick und wollte ihr dieses Telefonat möglichst ersparen. So ein Mensch, der sein Kind schlägt, ist kein Vater. Und wird auch niemals wieder einer sein.

Meine Hände nahmen Lynns Handy und was ich jetzt tat überraschte mich selbst. Ich ging ran und hielt das Handy an mein Ohr.



Only One Person and your Life is changing! TEIL 3Where stories live. Discover now