| Chapter One-Hundred-Seven |

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„Er hat was?!", krächzte ich, während mir der mittlerweile leere Becher aus den klammen Händen fiel.
Er landete polternd auf dem Boden und füllte die seltsame Stille.

„Nachdem er dich aus dem Wasser gefischt hat, kam schon der Notarzt. Wir sind zu euch gerannt und haben euch am Ufer gefunden. Marek hat dich gerettet, Quinn", erzählte mir mein bester Freund, während er mit verschränkten Armen an meinem Bett saß und mich teils besorgt, teils sauer anblickte.

Mein ganzer Kopf schien zu platzen.
Gedanken, verschwommen, klar.
Es machte Sinn und dann wieder nicht.

Vorsichtig schüttelte ich den Kopf.
Nein.
Er log.

Nie und nimmer würde Marek das für mich tun.
Niemals.
Das konnte nicht sein.

Unsicher, wie ich mich fühlen, unsicher, was ich denken sollte, sah ich hilfesuchend zu Chester.
Er sollte es endlich aufklären.
Er sollte endlich erklären, was hier ab ging.
Ich hielt das alles nicht mehr aus.

Und immer wieder wünschte ich mir, dass ich einfach verschwand.
Dass ich mich auflöste.
Immer wieder zuckten meine Beine, als würden sie am liebsten wieder zurück zur Brücke laufen wollen.

Mein Inneres war so durcheinander, unordentlich, kaputt.
Wie sollte man das denn wieder hin bekommen?!
Wie zum Teufel sollte ich mein Leben wieder auf die Reihe bekommen?!

Sienna hasste mich.
Meine Freunde dachten, dass ich verrückt war.
Meine Mom hatte mich verstoßen.
Die ganze Schule machte sich über mich lustig.

Wieso hat er das getan?
Wieso hatte Marek mich gerettet?
Woher nahm er sich dieses Recht?!

Wie zum Teufel kam er darauf, dass ich dieses Leben wollte?!

„Quinn", riss mich mein bester Freund aus meinen Gedanken und mit müden Augen sah ich zu ihm. „Du bist ein verdammter Idiot".
Chester sagte dies ohne sein übliches Grinsen, ohne Witz, ohne Humor.
Er meinte es Ernst und er hatte ja Recht.

Ich war ein verdammter Idiot.
Ein Idiot, der nicht mal diese eine Sache schaffte.

Erbärmlich...

„Wir bekommen das hin, ok? Wir bekommen das alles wieder hin. Ich verspreche es dir", meinte er nun eindringlich, nahm sogar meine Hand und dückte diese leicht.

Nein.
Nein, das bekamen wir nicht wieder hin.

„Wir schaffen das. Zusammen. Als Brüder".

Brüder.
Als Brüder...
Wieso war er überhaupt noch hier?

Ich war der schlimmste Freund, den es gab.
Wieso zum Teufel war er noch hier?!

„Dürfen wir rein kommen?", hörte ich eine Stimme und als ich Joys blonden Haarschopf entdeckte und auch Isa und Griff hinter ihr sah, konnte ich die Tränen nicht zurück halten.

Im selben Moment, in denen sie mir über die Wange liefen, lange mir meine Freunde auch schon um den Hals.

Joy schluchzte, während sie sich um meinem Hals klammerte und mich an sich drückte.
Isa murmelte beruhigende Worte, als sie meine Hand nahm und Griff sah mich so vorsichtig und liebevoll an, wie er es schon lange nicht mehr getan hatte.

Ja, ich war ein verdammter Idiot...

Nachdem sich Joy, Isa, Griff und Ches nach längeren Gesprächen, Tränen und Entschuldigen verabschiedeten war es bereits dunkel geworden.

Die Stille, die auf ihren Besuch hin folgte machte mich verdammt nervös und unruhig schloss ich meine Augen.

Erst, als es an der Tür klopfte, schreckte ich aus diesem leichten, unerholsamen Schlaf.

„Hallo Quinn", lächte mich eine rechte junge, blonde Frau an.
Ihre Haare waren zu einem Zopf hochgesteckt und ihre grünen Augen funkelten mich freundlich durch eine große, dunkle Brille an.

„Meine Name ist Kelly Lewis. Ich werde dir helfen, wieder auf die Beine zu kommen", erklärte die Frau, während sie meine Hand nahm und sie leicht drückte.

Da ich bereits mit einer Psychologin gerechnet hatte, drückte ich einfach ihre Hand zurück und lächelte leicht.
Das Grinsen war so ungewohnt und falsch, dass es mir in den Wangen weh tat.

Frau Lewis setzte sich auf einen Stuhl an meinem Bett und wir begannen zu reden.

Während des ganzen Gespräches konnte ich jedoch nicht vergessen, wie ich mir gewünscht hatte, dass es nicht Frau Lewis gewesen wäre, die durch die Türe gekommen war...
Sondern Marek.

Ich schluf sehr unruhig und erst ein paar Tabletten, die mir Schwester Sophie gaben, halfen mir dabei, richtig einzuschlafen.
Ich träumte nichts und das war wohl auch besser so.

Mein Inneres war zerrissen und ich hatte Angst, dass selbst mein Traum-Ich es beenden wollte.

Wo war der Quinn hin, der wegen jeder Scheiße lachte?
Der Quinn, der sich nie hatte aufhalten lassen?
Der mutig war?
Und stolz?
Und glücklich?

Wo war er hin?
War er an dieser Brücke gestorben?

Am nächsten Tag war es Sienna, die mich weckte.
Sie weinte und weinte, drückte mich an sich und wollte mich gar nicht wieder los lassen.
Erst, als ich meine Schwester so sah, begann ich darüber nachzudenken, ob es falsch gewesen wäre, wenn ich es geschafft hätte.

Ich war ein egoistischer Bruder...
Egoistisch und feige.

Wie konnte ich es nur zulassen und sie alleine lassen wollen?!

Wir lagen uns in den Armen und hielten uns eine Weile lang einfach nur fest.
Selbst Siennas Vater war mit gekommen und drückte einmal kurz meine Schulter.

Den Tag über blieb Sienna bei mir und wir redeten und redeten.
Es war, als wäre alles so, wie früher.
Wäre da nicht dieser Geruch nach Krankenhaus und dieses stechende Weiß überall...

Erst nach Siennas Besuch fühlte ich mich soweit.
Erst danach hatte ich langsam verstanden, dass Aufgeben doch keine Option war.
Doch ich wusste nicht, wie lange ich noch nicht aufgeben konnte.

Drei Tage.
Es vergingen drei verdammte Tage, in denen ich nichts tat, als im Bett zu liegen, zu essen, zu lesen, zu schlafen.

Ab und zu besuchten mich Ches, Joy, Isa oder Griff und selbst Silas und Timba begleiteten sie.
Dann war es hier laut und Lachen schalte durch den Raum.

Doch, wenn ich alleine war, kamen die Gedanken zurück und ich war zu schwach, um alleine mit ihnen fertig zu werden.
Dann brauchte ich Frau Lewis.

Am vierten Tag war es dann soweit.

Ich hatte schon nicht mehr damit gerechnet, doch als ich die Türe hörte und ich meine Augen öffnete, blieb mein Herz kurz stehen, nur um dann aus meiner Brust zu springen.

Die helle See traf auf einen dunklen Wald.

Er hatte kürzere Haare, als bei unserem letzten Treffen und da er nur ein kurzes Shirt trug, sah ich einige Schrammen an seinen Armen und sogar in seinem Gesicht.

Ich konnte kaum atmen und überfordert klammerte ich meine Finger in das Bettlacken.

Marek stand im Raum und sah mich einfach nur an.
Und das war genug.
Es war genug für den Moment, dass ich leben wollte.

Fragile - Falling like the stars || boyxboyWhere stories live. Discover now