| Chapter Eighty-Nine |

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„Aufstehen, Dornröschen", drang etwas an mein Ohr, doch anstatt darauf zu hören, was die Stimme sagte, grummelte ich nur und drehte mich auf die andere Seite.

„Dörnröschen wird aber von ihrem Prinzen wachgeküst", murmelte ich verschlafen und lächelte leicht.
Da ich nun langsam wach wurde, kamen mir die Erinnerungen der letzten Nacht hoch und es war, als wäre ich betrunken.
War das wirklich passiert?!
Scheiße...
Verdammt.
Es war so schön gewesen und ich fragte mich, wieso wir das nicht schon viel früher getan hatten.

„Steh jetzt auf, Quinn. Sonst läufts du", hörte ich Marek sagen, als dieser das Zimmer verließ.
Seine Stimme dabei war kalt und distanziert und mit einem Schlag war ich hell wach.

Hmh?!
Was war passiert?
Wieso verhielt er sich plötzlich wieder wie ein Arsch?!

Ich dachte, dass was gestern passiert war, würde auch ihn verändern, aber... offensichtlich nicht.
Es schien ihm nicht soviel zu bedeuten, wie mir...

Mein schreiendes Herz ignorierend stand ich auf, schnappte mir eine Hose, die Marek mir gegeben hatte, eins seiner alten Oberteile und machte mich schnell im Bad fertig.

Die ganze Zeit über versuchte ich mir einzureden, dass das gerade eben nicht Mareks Absicht war, sondern er einfach nur keine Lust auf die Schule hatte.

Genau.
Das wird es sein.

Mit einem mulmigen Gefühl im Bauch ging ich nach der Badroutine nach unten und fand Marek in der Küche.
Vorsichtig stellte ich mich hinter ihn und verschränkte meine Hände an seinem Bauch, um mich an ihn zu lehnen. Erst reagierte der Dunkelhaarige gar nicht, sondern schmierte weiter Butter auf das Brötchen.
„Alles okay?", fragte ich vorsichtig nach, viel zu viel Angst vor seiner Antwort.

Ich hörte, wie er tief seufzte und spürte, wie sich seine Brust dabei hob und senkte. Dann nahm er meine Hände in seine, drehte sich um und sah mir ins Gesicht. Ich konnte seinen Ausdruck nicht deuten, so hatte ich ihn noch nie gesehen.

Ich sah Zweifel, Wut, Kummer und Angst und wusste nicht, wie ich damit umgehen sollte.

Als er mein Gesicht in seine Hände nahm und mich küsste, fiel ein Teil der Anspannung ab, doch ein kleiner Teil blieb noch da.
Der Kuss hatte etwas verzweifeltes an sich und er schmeckte nach Abschied.
Was sollte das alles?!

„Wir müssen los", entfernte sich der Dunkelhaarige von mir, packte die Sachen zusammen und gemeinsam setzen wir uns in sein Auto.
Ich bemerkte die komischen Seitenblicke seinerseits und versuchte sie zu ignorieren.
Was zum Teufel war nur los mit ihm?

Die ganze Fahrt über schwiegen wir und mein Herz pochte unangenehm laut in meiner Brust.
Um meine zitternden Finger zu verstrecken verschränkte ich diese in meinem Schoß und schickte gleichzeitig noch ein Gebet nach oben.

Ich wusste nicht, wie ich mich verhalten sollte, oder, wie ich Marek auf alles ansprechen sollte.
Ich hatte einfach nur riesige Angst und ein bisschen bereute ich nun die letzte Nacht, auch, wenn es wunderschön gewesen war.
Wäre er dann anders zu mir, wenn es nicht passiert wäre?

Egal, wie oft ich mir Ausreden für ihn einfallen ließ, am Ende kam ich immer zu dieser grenzenlosen Panik zurück und mit aller Kraft drängte ich sie einfach zurück.

Es war kein Fehler.
Es durfte kein Fehler gewesen sein.

Die Angst blieb.

Zwei Straßen vor der Schule hielt Marek plötzlich das Auto an und entriegelte es.
„Das ist, denke ich, nah genug", sagte er nur und sah mich erwartungsvoll an.
Die Sanftheit und Fürsorglichkeit von letzter Nacht war aus seinem Blick verschwunden und hatten einer eisigen Kälte und Unnahbarkeit Platz gemacht.

Ich stockte, starrte zurück und zog verwirrt die Augenbrauen nach oben.
„Ähm... Nah genug an was?", hackte ich nach und verschränkte die Arme vor der Brust, um eine Mauer um mich aufzubauen.
Was hatte der Scheiß zu bedeuten?!
Die Luft wurde mir zu knapp.

Ich sah dabei zu, wie Marek sich kurz sammelte und mich dann wieder ansah.
Sein Blick war aus klirrendem Eis, sodass mir sofort kalt wurde und ich etwas zusammen zuckte.

Da war er wieder.
Der Marek von früher.

Eisern. Egozentrisch. Erbarmungslos.

„Na, an der Schule. Jetzt steig endlich aus!", knurrte er ziemlich angespannt und ich sah, wie er das Lenkrad fester packte.
Es war nicht wie seine normalen Wutanfälle und ich konnte sein Verhalten nicht einordnen.
Wieso...
Wieso tat er das nur?

Etwa, weil...
Weil er mich geknackt hatte?!
Weil er endlich bekommen hatte, was er wollte?

Ich spürte, wie mein Herz aufhörte zu schlagen.

Nein...
Nein.
Bitte nicht.

„Wieso...?", fragte ich ihn und schämte mich dafür, dass meine Stimme so schwach und gebrochen klang. Ich hielt meinen Blick auf meine Hände in meinen Schoß gesenkt, konnte es nicht ertragen ihn anzusehen.
Würde ich da wieder diesen Hass und diese Abscheu erkennen, würde ich in Tränen ausbrechen.

„Es soll uns niemand zusammen sehen. Jetzt steig schon aus, man".
Nein...
Bitte, tu das nicht.
Bitte...
Hör auf mein Herz zu brechen...

„Ist es, weil du bekommen hast, was du wolltest?", schafften es die Worte aus meinem zitternden Mund, während ich meine Augen nun geschlossen hielt, um die Tränen darin zu halten.

„Raus jetzt!", schrie er schon beinah und überrumpelt und ängstlich schnappte ich meine Sachen, öffnete die Türe und rannte davon.

Ich rannte und rannte und rannte und hielt nicht an.
Nicht mal, als mir die Luft ausging.
Nicht mal, als meine Beine vor Anstrengung brannten.
Nicht mal, als der nun beginnende Regen sich mit meinen Tränen vermischte.

Noch nie war ich so schnell und so lange gerannt, doch ich traute mich nicht stehen zu bleiben.
Denn dann würde ich von meinen Gefühlen eingeholt werden und das konnte ich nicht, dass durfte ich nicht zulassen.

Mein Kopf drehte sich, mein Herz schrie und mein Bauch brannte und ich erinnerte mich an die Nacht von der Party, als ich schon mal vor Marek weggelaufen war.
Damals vor meinem Geheimnis, nun vor meinen Gefühlen...

Sein Grab war kahl und leer und es tat mir weh, es so zu sehen.
Mein Dad hatte Blumen geliebt und mental fügte ich auf meine ToDo-Liste hinzu, dass ich für ihn etwas einpflanzen werde, sobald es wärmer war.

„Hey Dad", murmelte ich und musste mich kurz räuspern, da meine Stimme vom Weinen so rau und brüchig klang.
„Du fühlst dich bestimmt auch verarscht, weil ich nur zu dir komme, wenn ich nicht weiter weiß, oder?", grummelte ich schuldbewusst das Bild an und sah in die blauen Augen meines Vaters.
„Ich wünschte so sehr, du wärst noch hier... Ich brauche dich".

Leise und mit roten Augen beichtete ich meinem Dad das Geschehene und schämte mich.
Gerade wünschte ich mir in die Vergangenheit springen zu können und die Dinge ungeschehen zu machen, doch das war unmöglich.

Je länger ich darüber redete, desto mehr wuchsen die Trauer und die Wut.
Auf Marek.
Und auf mich.
Ich war selbst Schuld an all dem hier.

Vor meinem inneren Auge konnte ich meinen Dad sehen.
In meiner Vorstellung war er weder angeekelt, noch sauer auf mich.
Er würde mich in den Arm nehmen und, verdammt, diese Umarmung könnte ich so sehr gebrauchen.

Er würde eines seiner blauen Hemden tragen. So eins, welches seine Augen betonte.
Dazu eine ausgewaschene Jeans.
Die lockigigen, hellen Haare etwas nach hinten gegeelt und auf den Lippen ein verschmitztes Lächeln.
Mal wieder wünschte ich, ich wäre mehr, wie mein Dad. 

Beinah konnte ich seine Stimme hören.
Natürlich wusste ich, was er sagen würde.
Mit dem durchnässten Shirt versuchte ich so gut es ging meine Tränen zu trocknen. 

„Du hast Recht, Dad. Ich werde es ihnen zeigen", murmelte ich zu dem Bild und atmete tief durch.

Ich werde es allen zeigen.
Ich werde es Marek zeigen.
Er wird schon noch sehen, was er davon hat.

„Danke Dad. Hab dich lieb!", verabschiedete ich mich, stand auf und ging mit zielgerichteten Schritten los.

Fragile - Falling like the stars || boyxboyWhere stories live. Discover now