Carcan - Die Winterkriege

By LePing

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In dem Binnenland Carcan herrscht der härteste Winter seit über fünfzig Jahren, da sind sich alle einig. Zud... More

Elli
Qen
Aaros
In Verdun
Knast oder Krieg
Der Sohn des Stabsfeldwebels
Das Provinzmädchen und die Alchemie
Carcanische Tugenden
Abschiede
Ein schöner Mann
Hügel der Schmach
Eilmarsch
Willkommen beim 11. Alchemiebataillon
Freunde und Kameraden
Gruppe 1
Eine undankbare Aufgabe
Unteroffizier Hauser und die illustre Truppe
Mühsam ernährt sich das Eichhörnchen
Dienst an der Waffe
Grauenvolle Kriegsbestie
Wer wir sind
Aaros' Entscheidung
Zurück zur Normalität
Der Geschmack der Heimat
Panorama
Der Traum
Naturgewalt
Niederlage auf ganzer Linie
In einer lauen Winternacht
Der Berglöwe
Mein Name ist Eleonore
Nur Soldaten
Abschied und Wiederkehr
Familie Stark
Ein hungriger Geist
Die Spielhölle
Mütter
Chimären und Homunkuli
Gehängter Esel
Friedrich Desmond von Lilienthal
Das Spiel der Offiziere
Ein kurzer Sonntag
Ein denkwürdiger Tag zweier Nationen
Die 3. Kompanie
Der Ausbildungszug
Instinktive Abneigung
Ein Spinnhund namens Krocket
Jungs
Die Zwillinge Hauser
Die Katakomben
Der verrückte Professor
Vorprogrammierter Ärger
Das Genie des Sergej Asmov
Ein Haufen Mist
Ehre dem großen Löwen
Schüler und Meister

Stumme Worte

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By LePing

Aaros - Ich hockte auf dem Boden einer Lkw-Ladefläche und starrte stumm geradeaus.

Vor ein paar Stunden hatte ich meinen Kameraden tot im Schnee gefunden. Zunächst hatte ich es nicht glauben wollen. Ich hatte ihn geschüttelt, ihn angeschrien und ihn am Ende sogar geschlagen, doch Rito war für immer verstummt und taub. Ich weiß nicht, wie lange ich dort verharrte, bis mir jemand eine Hand auf die Schulter legte und mich von der Unfallstelle wegführte. Leute redeten mit mir, wollten mich aufheitern oder beruhigen. Ich bemerkte lächelnde Gesichter, die mir gut zusprachen, dann ihre besorgten Blicke, als ich nicht reagierte. Ich weinte nicht. Warum denn auch? Mein Kopf war leer.

Wir fuhren den Rest der Nacht, bis wir am frühen Morgen die Kaserne erreichten. Jemand geleitete mich von der Ladefläche und brachte mich zu einem Arzt, der mir einige Fragen stellte, die ich nicht beantwortete. Ich hörte Stimmen. Jemand war wütend auf mich, weil ich nichts sagen wollte. Irgendwann gaben sie auf. Man schickte mich auf meine Stube und ich gehorchte. Was sollte ich denn sonst tun?

Ich legte mich auf mein Bett und starrte auf die Matratze über mir. Er hatte dort geschlafen. Jedenfalls manchmal, wenn er nicht zu Qen ins Bett gekrochen war. Ich rief mir Ritos Gesicht ins Gedächtnis, wie es kopfüber von unten runter baumelte und er mich grinsend anstarrte. Doch das war vergangen. Irrte ich mich, oder verschwamm schon die Erinnerung an ihn? Wie lange würde es wohl dauern, bis ich sein Gesicht vergessen hatte?

Die Tür ging auf und wieder zu. Leute kamen herein und gingen wieder, manche setzten sich zu mir auf die Bettkante und erzählten mir irgendwas. Ein paar kannte ich: Feldwebel Stark, Unteroffizier Hauser, Qen. Viele andere waren mir unbekannt. War das ein Hauptmann oder ein Oberleutnant? Ich hatte alles vergessen.

Irgendwann entdeckte ich einen Teller Suppe, der auf unserem Tisch in der Stube stand. Daneben lag ein Laib Brot, viel mehr, als wir sonst bekamen. Wahrscheinlich eine Nettigkeit von irgendwem, doch ich war nicht interessiert. Auch Wasser reichte man mir. Schließlich versuchte man es mit Bier, aber ich bekam nichts runter. Alles wurde wieder weggetragen.

Nach einer gefühlten Ewigkeit wurde es dunkel. Meine Augen blieben trotzdem auf, an Schlaf konnte ich nicht denken. Keiner störte mich mehr, ich war allein mit meinem leeren Kopf. Sein Gesicht tauchte wieder vor meinem inneren Auge auf. Dieses Mal war es schärfer als zuvor, doch er lachte nicht mehr. Sein Mund war offen und sein Blick war leer. Ich versuchte, den Gedanken zu vertreiben, aber die Erinnerung schlich sich immer wieder ein.

Ich spürte wieder die Kälte und den Schnee. Das sanfte Mondlicht, das die Szenerie noch schauriger machte. Einer von Ritos Armen streckte sich in meine Richtung, deutete mir, zu ihm zu kommen. Ich gehorchte. Ich kniete mich in den Schnee, und war einfach an seiner Seite. Sein Mund formte stumme Worte, seine Augen wanderten ziellos umher. Ich konnte ihn nicht verstehen, doch ich wusste, dass er mir Vorwürfe machte. Ich hatte ihn sterben lassen und er hatte mir nicht verziehen.

Plötzlich griff seine Hand nach mir, umklammerte meinen Hals. Er zog den anderen Arm aus dem Schnee und bohrte mir seinen Finger ins Auge. Ich schrie vor Schmerzen, wollte zurückweichen, doch er ließ mich nicht gehen. Immer fester drückte er zu, jetzt auch mit der anderen Hand. Ich litt. Und doch war ich mir sicher, dass er mehr gelitten hatte.

Ich wollte ihm sagen, wie leid es mir tat, wollte ihn irgendwie besänftigen. Aber ich war so stumm wie er.

Sein Mund formte sich zu einem Grinsen. Er verstärkte seinen Griff. Fester. Fester. Fester. Und mein Genick brach.

Schweißgebadet schreckte ich hoch.

Ich war auf meiner Stube, lag auf meinem Bett. Ich war wohl eingeschlafen, ohne es zu merken. Was für ein Alptraum!

Es war wieder hell im Raum, was bedeutete, dass der nächste Tag schon angebrochen war. Ich hatte bestimmt zehn Stunden geschlafen. War ich nun erholter? Ich spürte keine Veränderung.

Dieser Tag verlief ähnlich wie der letzte. Leute betraten das Zimmer und versuchten, mit mir zu reden. Ich blieb stumm. Jemand hielt mir einen Löffel Eintopf direkt vor den Mund und forderte mich auf, zu essen. Als mein Besuch merkte, dass ich noch immer keinen Appetit verspürte, schüttelte er enttäuscht den Kopf und überließ mich wieder meiner Einsamkeit.

Doch einer wollte mich nicht alleine lassen.

Qen blieb den gesamten Vormittag über an meiner Seite und redete auf mich ein. Jedenfalls glaubte ich das, denn sein Mund bewegte sich. Noch mehr stumme Worte.

Trotz meiner Teilnahmslosigkeit hielt er es bis zum Abend bei mir aus. Dann schüttelte er den Kopf und verschwand. Es dauerte nicht lange, da kehrte er zurück. Er hatte Elmar im Schlepptau, der sich stark auf dem dunkelhaarigen Jungen abstützen musste. Ein dicker Verband zierte seine Stirn und er wirkte sehr mitgenommen. Wäre ich nicht so gedankenleer gewesen, hätte ich mich bestimmt um ihn gesorgt, doch so war er nur eine weitere Person, die meine Ruhe störte.

Die beiden unterhielten sich und lachten. Stumm.

Das elektrische Licht wurde pünktlich wie immer abgestellt. Tische und Bänke wurden verrückt, das Bett quietschte als jemand die Leiter hochkletterte. Waren die beiden noch hier? Und wo war Rito? War er bei Qen?

Ich wollte nicht wieder schlafen. Meine Begegnung letzte Nacht hatte mir dies verdorben.

Und doch fielen meine Lider irgendwann zu.

Aber ich kehrte nicht in die Berge zurück. Ich war in Ehresberg, in der Einkaufsstraße. Die carcanische Flagge hing am Mast vor dem Rathaus: Gelb-blaues Schachbrettmuster, darauf die goldenen Zwillingslöwen. Es war hell, doch die Straße war leer. Dann streifte etwas meine Hand. Ich fuhr herum und erblickte den Berglöwen, der mir schon zuvor begegnet war. Er sah mir in die Augen und ging weiter.

Ich folgte ihm durch die leere Stadt. Wo waren all die Menschen? Und wo führte der Löwe mich hin?

Wir liefen auf den Pflastersteinen, bis wir zu einer Kreuzung gelangten. Das Raubtier bog nach links ab, doch als ich ebenfalls diesen Weg einschlagen wollte, hielt mich eine unsichtbare Wand davon ab. Traurig drehte sich die Katze zu mir um. Es hieß Abschied nehmen. Ich war nicht bereit, ihr zu folgen.

Ich legte meine Hand auf die unsichtbare Mauer vor mir und beobachtete das Tier, bis es zwischen den Häusern verschwand.

Als ich erwachte, hatte ich den Traum schon fast wieder vergessen.

Es hatte sich nichts verändert, ich lag noch immer auf meiner Pritsche, trug noch immer die gleichen Kleider. Ich drehte leicht den Kopf und entdeckte Elmar, der ebenfalls auf seinem Bett lag und von Qen etwas zu essen entgegen nahm. Wie konnte er essen? Wie konnte er irgendwas tun?

Dann deutete Elmar auf mich und Qen drehte sich zu mir um. Er kam auf mich zu und sprach dabei stumme Worte, die mich nicht erreichten. Er bemühte sich um ein Lächeln, doch merkte, dass es sinnlos war.

Ich dachte schon, er würde wieder den ganzen Tag etwas erzählen, aber heute hatte er was anderes mit mir vor.

Sein Lächeln wandelte sich zu einem entschlossenen Gesicht. Er packte mich am Kragen und hob mich vom Bett. Er zerrte mich zur Wand und rammte mich dagegen, so dass es mir die Luft aus den Lungen presste. Dann holte er aus verpasste mir eine schallende Ohrfeige.

Seine nächsten Worte waren nicht stumm. „Wach endlich auf, verdammt nochmal!"

Ich antwortete nicht, doch an meinem Gesichtsausdruck musste er erkannt haben, dass ich ihn verstanden hatte.

„Es tut uns allen weh, okay? Wir haben ihn geliebt wie einen Bruder und es ist verdammt schwer! Aber du bist nicht alleine! Wir sind hier! Wir machen uns verdammt nochmal Sorgen um dich! Wenn du schon nicht reden willst, dann gib uns doch wenigstens ein Zeichen!"

Darauf tat ich etwas, das ich schon seit der verheißungsvollen Nacht nicht mehr getan hatte. Ich reagierte und schenkte Qen ein Nicken.

Er ließ von mir ab. „Danke."

„Aaros, du kannst immer zu uns kommen", sagte Elmar.

Ich nickte erneut.

Qen hielt mir ein frisches Brot hin, das angenehm duftete. Erst jetzt spürte ich, wie hungrig ich war. Herzhaft biss ich in den weißen Laib und schlag ihn nach und nach runter. Ich musste aussehen wie eine Bestie, doch es war mir egal. Ich spülte meine Mahlzeit mit einem Glas Wasser runter, dann schleppte ich mich zum Waschraum, der verlassen war. Wo waren alle? Welcher Tag war heute?

Ich zog mich aus und kippte mir eine Schüssel kaltes Wasser über den Kopf. Es war schrecklich, doch es tat unendlich gut.

Ich hätte gerne behauptet, dass von da an wieder alles besser war, doch so leicht wollte meine Trauer nicht überwunden werden. Nach meinem Bad schleppte ich mich zurück ins Bett und widmete mich wieder dem Nichtstun.

Es sollte noch einige Tage dauern, bis ich wieder ein Wort sprach.

----------

Moin, Leute!

Mit diesem Kapitel haben wir die 50.000-Wort-Marke überwunden. Das ist quasi ein halbes Buch!

Vielen Dank an alle, die bis zu diesem Tag die Geschichte verfolgt haben und immer so fleißig voten und Kommentare schreiben.
Auf die nächsten 50.000 Wörter!

Und keine Sorge: Die im Titel versprochenen Winterkriege kommen ganz sicher noch.

Wundert euch bitte nicht, wenn es ab jetzt mit den Updates ein bisschen länger dauert. Bisher hab ich einfach immer drauf los geschrieben, aber jetzt, wo es so richtig losgeht und die Welt von Elli und co noch weiter wächst, wollte ich die Geschichte mal ein bisschen besser plotten, damit es später keine Logiklücken gibt.

Aber nun genug der Worte.

Noch einmal herzlichen Dank und bis bald!

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