Carcan - Die Winterkriege

By LePing

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In dem Binnenland Carcan herrscht der härteste Winter seit über fünfzig Jahren, da sind sich alle einig. Zud... More

Elli
Qen
Aaros
In Verdun
Knast oder Krieg
Der Sohn des Stabsfeldwebels
Das Provinzmädchen und die Alchemie
Carcanische Tugenden
Abschiede
Ein schöner Mann
Hügel der Schmach
Eilmarsch
Willkommen beim 11. Alchemiebataillon
Freunde und Kameraden
Gruppe 1
Eine undankbare Aufgabe
Unteroffizier Hauser und die illustre Truppe
Mühsam ernährt sich das Eichhörnchen
Dienst an der Waffe
Grauenvolle Kriegsbestie
Wer wir sind
Aaros' Entscheidung
Zurück zur Normalität
Der Geschmack der Heimat
Panorama
Der Traum
Naturgewalt
Niederlage auf ganzer Linie
In einer lauen Winternacht
Der Berglöwe
Nur Soldaten
Stumme Worte
Abschied und Wiederkehr
Familie Stark
Ein hungriger Geist
Die Spielhölle
Mütter
Chimären und Homunkuli
Gehängter Esel
Friedrich Desmond von Lilienthal
Das Spiel der Offiziere
Ein kurzer Sonntag
Ein denkwürdiger Tag zweier Nationen
Die 3. Kompanie
Der Ausbildungszug
Instinktive Abneigung
Ein Spinnhund namens Krocket
Jungs
Die Zwillinge Hauser
Die Katakomben
Der verrückte Professor
Vorprogrammierter Ärger
Das Genie des Sergej Asmov
Ein Haufen Mist
Ehre dem großen Löwen
Schüler und Meister

Mein Name ist Eleonore

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By LePing

Elli - Ich war mir sicher, dass die Kälte nie wieder verschwinden würde. Sie war in jedem Zipfel meines Körpers und vergiftete mich. Lange halte ich das nicht mehr aus, ahnte ich. Das einzig Gute an der Kälte war, dass sie meine Schmerzen betäubte. Diese horrenden Kopfschmerzen hatten mich um den Verstand gebracht, doch jetzt waren sie kaum mehr als ein leichtes Pochen, das mich lediglich ein bisschen ärgerte. Die Kälte lullte mich vollkommen ein.

Wahrscheinlich ist es nicht schlimm, so zu sterben. Er hat etwas versöhnliches.

Doch dann nahmen die Schmerzen wieder zu und meine gefrorenen Zehen und Finger tauten allmählich wieder auf.

Was soll denn das? Ich hab mich schon damit abgefunden.

Jemand wollte nicht, dass ich sterbe.

Langsam öffnete die Augen. Ich musste wissen, wer es war, der mir diese Ruhe, diese Gleichgültigkeit nehmen wollte.

Zunächst sah ich nur eine graue Felsdecke, an der dunkle Schatten tanzten. Wo war ich? Ich konnte mich an nichts erinnern.

Ich testete meinen Körper auf seine Funktion. Jede Bewegung tat weh, doch alles schien zu funktionieren. Ich neigte den Kopf nach rechts und das helle Licht eines Feuers brannte sich in meine Netzhaut. Jetzt, wo ich wieder bei Bewusstsein war, hatte ich auch kein Bedürfnis mehr, zu sterben. Ganz im Gegenteil, ich wollte auch meinen restlichen Körper von der Kälte befreien.

Ich reckte meinen Arm, um den Flammen näher zu sein, doch eine starke Hand packte mich. „Das würde ich lassen."

Die Stimme war mir bekannt. „Qen...", brachte ich hervor.

Der Junge rutschte in mein Sichtfeld. „Schön, dass du wieder bei uns bist."

„Wo sind wir?", wollte ich wissen. Langsam kamen die Bilder zu mich zurück. Der Räuber, die Lawine, Rito, der von den Schneemassen gepackt wurde. Rito! „Wo ist Rito?!"

Qen senkte seinen Blick. Ich hätte ein Stein sein können und hätte trotzdem erkannt, dass dies kein gutes Zeichen war.

„Wo ist Rito?", fragte ich noch einmal mit mehr Nachdruck.

„Er ist tot", kam prompt die ungeschönte Wahrheit.

Es war, als wäre ich gegen eine Betonwand geknallt. Das konnte nicht sein. Es war nicht möglich. Trotzdem wusste ich, dass es stimmte.

Und es war meine Schuld.

Ich erinnerte mich wieder genau an die Szene in der Schlucht. Wie ich auf dem Boden liegend die heran nahende Lawine beobachtet hatte, während Rito verzweifelt versuchte, mich aus der Gefahrenzone zu zerren. Der Räuber flehte laut, man möge ihn losbinden, damit er fliehen könne. Der Junge war hin und her gerissen zwischen mir, ihm und sich selbst und als er schließlich eine Entscheidung getroffen hatte, war es schon zu spät.

Wie hatte ich überlebt? Es schien mit nicht fair, dass ich wie durch ein Wunder verschont geblieben war.

„Der Räuber hat es auch nicht geschafft."

Wen interessiert der denn schon?

„Wir haben Hilfe gerufen, bald sind unsere Ausbilder da und holen dich hier raus."

Ich sagte nichts.

„Du musst nur noch ein bisschen durchhalten."

Wenn sich Rito nur in Sicherheit gebracht hätte. Er wollte mir helfen. „Keine Sorge, ich kümmre mich drum!", das waren seine Worte. Ich hätte ihm sagen müssen, dass er es nicht schafft. Warum hab ich nichts gesagt?!

Ich schluchzte. „Warum?! Warum?!"

Qen legte mir die Hand auf Schulter. „Darauf gibt es wohl keine Antwort."

Ich wollte, dass er mich in den Arm nahm, damit ich mich an seiner Schulter ausheulen konnte. Seit dem Tod meiner Eltern hatte ich niemanden mehr verloren und der Verlust dieses jungen Lebens mit der Erinnerung an meine Familie machten es besonders hart. „Er war so gut! Verdammt! Verdammt!", dies waren nicht die letzten Flüche, die ich ausspie, doch alle anderen gingen in unkontrolliertem Schluchzen unter.

Es dauerte nicht lange, da stimmte Qen meinen Klagen mit ein. Ich hatte den großen Jungen noch nie weinen sehen, sonst gab er nach außen hin immer den harten Hund. Aber hier in dieser kleinen Höhle hatten wir uns im Stillen darauf geeinigt, dass wir heute Nacht unser Inneres nach Außen kehren durften.

„Er war erst dreizehn. Das hat er mir verraten", meinte Qen nach einiger Zeit.

„Dreizehn..."

„Er hatte so viele Pläne. Er war noch nie in Inotia, der Heimat seiner Mutter. Er wollte die ganze Welt bereisen. Doch seine Familie hat kein Geld, deshalb hat er sich freiwillig für die Armee gemeldet."

„Ah, das kommt mir bekannt vor."

„Sein kleinster Bruder hat ihn immer an den Haaren gezogen. Und seine Schwestern wollten immer Prinzessin mit ihm spielen. Insgesamt hatte er fünf Geschwister, alle von verschiedenen Vätern. Er hat ihnen immer Spielzeuge aus Schrott und Resten gebaut. Sie waren arm, aber ich glaub, sie waren glücklich", ich konnte erkennen, dass er lächelte. Qen hatte Rito wirklich gemocht. Er war für ihn wie ein kleiner Bruder gewesen.

„Ich kann nicht glauben, dass ich ihn nie wieder sehen werde."

„Ja..."

Und dann versanken wir in Schweigen.

„Fühlst du dich besser?", fragte Qen nach einer Ewigkeit, ohne mich anzusehen.

„Ich denke schon", zwar hatte ich noch immer gehörig Schmerzen, aber mein Körper hatte wieder Betriebstemperatur erreicht. „Wo sind wir eigentlich?"

„In einer Höhle. Über den Schnee bin ich aus der Schlucht raus gekommen. Etwas weiter oben am Berg hab ich dann eine Öffnung im Fels gefunden. Hier lagen Äste und Gestrüpp rum, die trocken genug waren, um damit ein Feuer zu entfachen. Irgendwer hat hier schon vor uns gelagert. Das war unser Glück. Ich hätte die Nacht wahrscheinlich überlebt, aber du wärst bestimmt erfroren."

„Danke", es musste schwer gewesen sein, mich den ganzen Weg alleine zu tragen. Jetzt merkte ich auch, dass er mir seine eigene Jacke übergezogen hatte. Und dass meine eigene Kleidung fehlte... Er hat mich ausgezogen, verstand ich. Ich blickte zu Qen, der noch immer regungslos geradeaus starrte. „Du weißt es", stellte ich fest.

Qen musste nicht erst fragen, wovon ich redete. „Ja", sagte er nur.

„Es tut mir Leid", ich wusste nicht recht, wofür ich mich da eigentlich entschuldigte, doch mir viel auch sonst nichts gescheites ein, das ich hätte sagen können.

„Was? Dass du uns alle hinters Licht geführt hast?", er klang nicht verärgert. Eher enttäuscht.

„Ich hab das nur getan, um meine Familie zu ernähren", erklärte ich.

„Dieser Teil deiner Geschichte stimmt also?", er wagte es wieder, mich anzusehen.

„Alles an meiner Geschichte stimmt. Nur dieses eine Detail nicht."

„Wenn du das sagst...", er wirkte desinteressiert. War dies etwa das Aus für unsere Freundschaft? War es Qen egal, was wir gemeinsam durchgestanden hatten?

„Qen... Ich..."

„Nein! Ich will es nicht hören!", brauste er auf. „Was hast du dir dabei gedacht? Hast du allen Ernstes geglaubt, niemand würde etwas bemerken?! Hast du dir eigentlich mal überlegt, wie gefährlich dein Unterfangen ist? Mann, der Typ hat dich heute zusammengeschlagen! Und wenn irgendwann wirklich der Krieg ausbricht, bekommen wir es noch mit viel schlimmeren Typen zu tun! Was willst du gegen die ausrichten? Da interessiert es keinen, dass du eine Frau bist! Da nimmt keiner Rücksicht auf dich!"

Er pausierte seine Predigt, um kurz Luft zu schnappen.

„Ich will auch nicht, dass jemand Rücksicht auf mich nimmt!", jetzt war ich an der Reihe. „Glaubst du, ich weiß nicht, worauf ich mich hier eingelassen hab?! Meinst du, ich nehm das alles aus einer Laune heraus auf mich?! Dass es mir gefällt, jeden Tag so zu tun als hätte ich die dicksten Eier in der Hose?! Ich mach es, weil ich es muss!"

„Hast du keinen anderen Job gefunden? In einer Kneipe oder so?"

Bitte, was? „Ich komm vom Land, da gibt es nichts außer der Mine. Das weißt du auch. Ich hab oft davon erzählt."

„Ach ja, ich hatte ganz vergessen, dass das keine Lüge war."

„Das ist nicht fair..."

„Weißt du, was nicht fair ist?! Dass mein Kamerad, mit dem ich drei Monate eine Stube geteilt hab, mit dem ich durch dick und dünn gegangen bin, dem ich voll und ganz vertraut hab, dem ich sogar mein Leben anvertraut hätte, sich als Frau entpuppt!", sein Gesicht verzerrte sich. „Du warst mein bester Freund! Der beste Freund, den ich je im Leben hatte!"

Dieser Idiot!, dachte ich und rappelte mich auf. Mein Körper ächzte, während ich mich aufrichtete, aber für dieses Gespräch wollte ich Qen auf Augenhöhe gegenüberstehen. „Und was ist jetzt anders?!"

„Was jetzt anders ist?", seine dunklen Augen sahen mich nun direkt an. „Alles ist anders."

„Und wie geht es weiter?", wollte ich von ihm wissen. Seine Worte verletzten mich. War er wirklich der Meinung, dass unsere gemeinsame Zeit nichts mehr bedeutete?

Qen schüttelte den Kopf. „Keine Ahnung...", ganz hatte er wohl noch nicht mit uns abgeschlossen. „Ob du es glaubst oder nicht, diese Situation ist auch mir neu."

„Qen, an unserer Beziehung muss sich dadurch nichts ändern."

„Für dich vielleicht nicht. Für dich bleibt ja auch alles gleich. Aber meinst du, ich kann dich je wieder mit den gleichen Augen sehen wie vorher? Bisher warst du immer der Märchenprinz, doch plötzlich bist du eine Prinzessin. Jedes Mal, wenn ich dich ansehe, werde ich dran denken müssen. Das kannst du doch verstehen, oder, Elli?"

Ich zuckte zusammen als ich zum ersten Mal nach so langer Zeit wieder meinen Namen hörte. Und dann auch noch aus seinem Mund!

„Dann heißt du also wirklich so", stellte er zufrieden fest.

„Eigentlich heiß ich Eleonore, aber so hat mich noch nie jemand genannt."

„Dann bleib ich bei Elli", beschloss Qen. Er schien sich wieder ein bisschen beruhigt zu haben, nachdem er gemerkt hatte, dass man auch mit einem Mädchen normal reden konnte.

„Wirst du mich verraten?"

Er musterte mich eindringlich. „Das würde ich nicht machen", erklärte er und eine Welle der Erleichterung kam über mich. „Aber sieh dich an. Du hast am ganzen Körper Prellungen und Schnittwunden, spätestens bei einem Arzt fliegst du auf."

„Du hast Recht", mir wurde schwindelig und ich legte mich wieder hin. „Vielleicht ist es besser so. Ich mein, wir haben alle gesehen, dass selbst ein hungernder Landstreicher mich fertig machen kann."

Er lächelte. „Oh ja, im Nahkampf bist du wirklich eine Niete", das war der Qen, den ich kannte. „Als Sanitäter bist du nicht zu gebrauchen und deine Schießkünste sind kaum mehr als Durchschnitt."

„Danke. Das baut mich auf."

„Dafür bin ich da."

Seine Worte hatten wirklich geholfen. Allein, dass seine lockere, stichelnde Art zurückgekehrt war, erfüllte mich mit einem wohligen Gefühl.

„Ich muss dir was erzählen", sagte er nach einem Augenblick. „Ich hatte diese Nacht einen Traum. Meine Mutter hat mir viel über Traumdeutung erzählt und ich weiß, dass kein Traum ohne Bedeutung ist. Der Traum, den ich hatte, hat von deinem Tod gehandelt. Aber nun bin ich mir sicher, dass es nur symbolisch war. Elmar habe ich vielleicht in dieser Nacht verloren, aber dafür ist Elli in mein Leben gekommen."

Ich sah in abwartend an.

„Ich habe mich eben geirrt", fuhr er fort. „Es ändert nichts zwischen uns. Naja, zumindest nichts, das ich nicht überwinden könnte. Ich will mit Elli genauso gut befreundet sein, wie mit Elmar. Glaubst du, wir können das schaffen?"

Meine Augen füllten sich mit Tränen vor Rührung. „Klar", ich streckte ihm die Hand hin, man sollte ein Kennenlernen immer mit einem Händedruck beginnen. „Mein Name ist Eleonore, aber du kannst mich ruhig Elli nennen."

Er erwiderte den Händedruck. „Ich bin Qen. Freut mich, dich kennenzulernen."

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