Carcan - Die Winterkriege

By LePing

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In dem Binnenland Carcan herrscht der härteste Winter seit über fünfzig Jahren, da sind sich alle einig. Zud... More

Elli
Qen
Aaros
In Verdun
Knast oder Krieg
Der Sohn des Stabsfeldwebels
Das Provinzmädchen und die Alchemie
Carcanische Tugenden
Abschiede
Ein schöner Mann
Hügel der Schmach
Eilmarsch
Willkommen beim 11. Alchemiebataillon
Freunde und Kameraden
Gruppe 1
Eine undankbare Aufgabe
Unteroffizier Hauser und die illustre Truppe
Mühsam ernährt sich das Eichhörnchen
Dienst an der Waffe
Grauenvolle Kriegsbestie
Wer wir sind
Aaros' Entscheidung
Zurück zur Normalität
Der Geschmack der Heimat
Der Traum
Naturgewalt
Niederlage auf ganzer Linie
In einer lauen Winternacht
Der Berglöwe
Mein Name ist Eleonore
Nur Soldaten
Stumme Worte
Abschied und Wiederkehr
Familie Stark
Ein hungriger Geist
Die Spielhölle
Mütter
Chimären und Homunkuli
Gehängter Esel
Friedrich Desmond von Lilienthal
Das Spiel der Offiziere
Ein kurzer Sonntag
Ein denkwürdiger Tag zweier Nationen
Die 3. Kompanie
Der Ausbildungszug
Instinktive Abneigung
Ein Spinnhund namens Krocket
Jungs
Die Zwillinge Hauser
Die Katakomben
Der verrückte Professor
Vorprogrammierter Ärger
Das Genie des Sergej Asmov
Ein Haufen Mist
Ehre dem großen Löwen
Schüler und Meister

Panorama

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By LePing

Elli - Trupp für Trupp wurden wir am Straßenrand ausgesetzt.

Die Kompanie hatte sich extra einen Lastkraftwagen besorgt, um alle Rekruten möglichst weit von der Kaserne entfernt rauszuschmeißen. Zusammen mit zwanzig Jungs und deren kompletten Marschausrüstungen kauerte ich hinten auf der Ladefläche, während wir über die holprigen Landstraßen bretterten.

Mädchen riechen besser, stellte ich zum wiederholten Male fest. Ob ich auch so müffel wie die?

Es war mir inzwischen fast unmöglich, mich in der Woche zum Waschen raus zu schleichen und dass noch niemandem mein seltsames Waschverhalten aufgefallen war, war allein der Tatsache geschuldet, dass wir einfach viel zu viel um die Ohren hatten, um auf solche Dinge zu achten.

Aber bald sollte es leichter werden. Wenn ich nach der Grundausbildung erst einmal in einer richtigen Einheit war, hatte ich viel mehr Freiraum und Selbstkontrolle und mein Versteckspiel würde sich erheblich erleichtern. Also nicht schlappmachen, Elmar!

Der Laster hielt und die Plane wurde kurz angehoben. Obergefreiter Erich streckte den Kopf rein. „Der Trupp Gerlach steigt jetzt aus."

Klaus und sein Tross kamen auf die Beine und schoben sich durch die Menschenmasse.

„Macht's gut, Leute!", sagte er zu uns. „Mal sehen, wer von uns zuerst ankommt! Wenn ihr es denn überhaupt schafft!"

Er lachte laut auf und Sanguin und Tobias stimmten mit ein. Fitz verdrehte die Augen. „Dass er es aber auch immer übertreiben muss", murmelte er und sprang von der Ladefläche.

„Viel Glück euch!", wünschte Rito ihnen noch, bevor Erich uns wieder die Sicht nach draußen versperrte.

Nach ein paar Minuten tuckerten wir weiter. Nach und nach wurden auch die anderen Trupps losgeschickt bis schließlich nur noch wir am Ende übrig blieben. Als der Obergefreite uns dann nach draußen entließ, war es schon mittags und die Sonne stand hoch am Himmel. Der helle Schnee brannte in den Augen und ich musste sie zukneifen um sie wieder ans Licht zu gewöhnen.

„Nun, da wären wir. Wo genau wir sind, müssen Sie natürlich noch herausfinden, aber dafür haben Sie ja Ihre Karte und Ihren Kompass. Seien Sie achtsam. Die letzten Tage ist es bedeutend wärmer geworden, die Schneeschmelze steht schon vor der Tür."

„Stimmt", fiel mir auf. Der Winter war fast vorbei, bald war es Zeit für den Frühling mit all seiner blumigen Pracht. „Wir werden aufpassen."

„Sehr gut. Wenn doch etwas passiert, feuern Sie einfach die Signalpistole ab, dann kommen wir Sie suchen."

Ich fasste an das Holster mit der Pistole, das an meinem Gürtel befestigt war. Hoffentlich brauchen wir die nicht.

„Ab jetzt haben Sie genau zweiundsiebzig Stunden, um zur Kaserne zurückzukehren und sich bei uns in der Kompanie zu melden. Viel Glück."

Erich kletterte wieder in den Lastkraftwagen und schmiss den Motor an. Dann verschwand er hinter der nächsten Kuppe und wir waren alleine in der Wildnis. Ich inspizierte die Umgebung. Wir standen auf einer schneebedeckten Ebene, die von Bäumen umgeben war, so dass man nicht besonders weit gucken konnte. Einzig ein paar kleinere Bergkuppen stachen hinter den Baumwipfeln hervor.

„Uuuah!", rief Rito begeistert. „Das ist also das Hestermassiv!"

Ich musste unfreiwillig lachen. „Wohl kaum. Das sind bloß die Ausläufer davon. Das Hestermassiv ist viel höher."

Meine drei Kameraden sahen mich ungläubig an. Ich hatte ganz vergessen, dass sie alle aus den südlicheren Gefilden von Carcan stammten, die zwar auch teilweise bergig waren, aber nicht so sehr wie der Norden. Natürlich waren sie von dem Bisschen schon beeindruckt.

„Anhand der Berge kann man gut herausfinden, wo wir uns befinden. Sie sind auf der Karte eingezeichnet", erklärte ich und breitete die Karte auf meinem Rucksack aus.

„Können wir nicht einfach der Straße folgen?", Qen deutete auf die Reifenspuren.

„Glaubst du, sie machen es uns so einfach?", warf Aaros ein. „Das würde ja dem Sinn der Übung total widersprechen."

„Hm... Das stimmt wohl."

„Dann sind wir uns ja einig, dass wir erst einmal unseren Standort ermitteln müssen, um überhaupt auch nur einen Schritt in irgendeine Richtung zu gehen", sagte ich. Die anderen nickten.

Eifrig suchten wir nach markanten Punkten im Gelände, die sich auch auf der Karte wiederfanden. Zwei Gipfel stachen besonders hervor. „Das könnten die hier sein, oder?", Rito zeigte auf die Geierspitze und den Glattbrocken. Ich kontrollierte ihre Höhe, ihren Abstand zu uns und die Himmelrichtungen, in denen sie sich befanden.

„Das könnte wirklich klappen."

Aaros und Qen, die mit Karte und Kompass wenig anfangen konnten, kamen nun auch näher.

„Dann habt ihr herausgefunden, wo wir sind?"

Ich zog einen Kreis. „Irgendwo hier auf dieser Anhöhe."

„Wo ist die Kaserne?", fragte Aaros.

„Warte", ich studierte die Karte. „Hier. Ungefähr fünfundvierzig Kilometer südlich."

„Fünfundvierzig Kilometer?!", seufzte Aaros.

„Was hast du erwartet? Einen kleinen Spaziergang?", meinte Qen.

„Nein, aber... Wenn ich das jetzt so vor mir sehe, ist das doch schon eine ganze Menge. Ob wir das echt schaffen können?"

„Aber klar!", Rito stieß eine Faust in die Höhe. „Das wird das beste Abenteuer der Welt!"

Angesichts seines kindlichen Enthusiasmus mussten wir alle lachen. Doch er hatte natürlich Recht. Trübsal zu blasen und an uns zu zweifeln, brachte uns nicht weiter. Was konnten wir denn tun außer loszugehen? Rito wusste vielleicht noch nicht um seine Fähigkeit, andere zu motivieren, aber er war verdammt gut darin, schlechte Gedanken zu vertreiben. Ich war froh, dass er in unserer Gruppe war.

Guter Dinge marschierten wir los. Die Sonne wärmte uns auf und gab uns zusätzliche Kraft. Auch das Gewicht auf unseren Rücken merkten wir kaum noch, so oft waren wir schon unter dieser Last marschiert. Inzwischen waren Koppel und Tornister ein Teil von uns, auch unsere Stiefel waren so gut eingelaufen, dass wir nur noch selten Blasen zu beklagen hatten.

Wir überquerten einen Höhenzug und folgten einem zugeschneiten Pfad, neben dem ein klarer Bergbach floss. Fasziniert beobachteten wir die kleinen Fische, die dem Strom zu trotzen versuchten. Dass er nicht zugefroren war, zeugte von seiner Kraft. Die Natur war wirklich stark.

Nach einem Kilometer mussten wir uns von dem Bach trennen, denn der Pfad führte uns in einen Nadelwald, an dessen Eingang ein kleiner Schrein stand. Als die Leute früher noch viel mehr auf Reisen waren als heute, hatten sie dort Unterschlupf gefunden und einen Ort zum Beten. Heute war er allerdings ziemlich verfallen. Seitdem es die Leute in die Städte zog, führte es kaum noch jemanden in die Wildnis.

Durch die dichte Nadeldecke, war der Boden frei von Schnee und wir konnten den Pfad gut erkennen. Es ging bergab, was mit der Karte übereinstimmte. Jetzt konnten wir uns zu hundert Prozent sicher sein, wo wir waren und wohin wir mussten. Wir steckten uns ein Tagesziel, etwa fünfzehn Kilometer südlich. So viel mussten wir schaffen, damit wir die nächsten beiden Tage nicht zu sehr hetzen mussten. Zunächst klang das erst einmal nicht nach viel, doch das unwegsame Gelände, die Gefälle und Anstiege und die Bäche, die wir durchqueren mussten, machten diese Aufgabe bedeutend schwieriger.

„Glaubt ihr, wir treffen Berglöwen?", wollte Rito wissen. Berglöwen waren im Hestermassiv mittlerweile ziemlich selten, doch ab und an hörte man mal wieder von einem Jäger, der einem über den Weg gelaufen war. Einst hatte Carcans Wappentier der ländlichen Bevölkerung das Leben gehörig zur Hölle gemacht, was zu einer großen Gegenoffensive geführt hatte, die das Militär mit Waffengewalt unterstützt hatte. Die Jagd hielt so lange an, bis der amtierende Kaiser die Löwen unter Schutz stellte und alle vor Gericht stellen ließ, die sich dieser Anweisung widersetzten.

„Ein Berglöwe kratzt dir die Augen aus, bevor du nur einen Mucks machen kannst", antwortete ich. „Ohne Waffen haben wir da keine Chance."

„Wir haben Messer", schlug Qen vor.

„Um unsere Brote zu schmieren."

Er zuckte mit den Schultern. „Dann machen wir ihm eine schöne Leberwurststulle und halten ihn uns so vom Leib."

„Nach deiner Karriere beim Militär wirst du Komiker, was?"

Qen brachte mindestens eine Viertelstunde damit zu, uns zu erklären, warum das mit dem Brot tatsächlich eine gute Idee war, um uns die Löwen vom Hals zu halten und irgendwann verlor ich das Interesse. Er hatte sich wirklich um hundertachtzig Grad gewandelt. Es war, als hätte er früher nie Freunde gehabt und kostete nun jeden Moment davon in vollen Zügen aus. Nun, schön für ihn. Gönn es ihm doch.

Der Wald endete in einer grauen Steilwand, die fünfzig Meter in den Himmel ragte.

„Da kommen wir nie hoch", verkündete Aaros. „Gibt es noch einen anderen Weg?"

Ich schlug die Karte auf. „Im Norden gibt es eine Ausweichmöglichkeit. Da kommen wir vielleicht den Berg hoch. Rauf müssen wir auf jeden Fall, von dort führt eine Brücke über diese Schlucht hier. Das ist die einzige Möglichkeit, auf die andere Seite zu kommen."

Wir beschlossen, diesen kleinen Umweg auf uns zu nehmen, eine andere Wahl blieb uns ja kaum. Nach zwanzig Minuten kamen wir zu einem weniger steilen Abhang, den wir mit ein bisschen Geschick erklimmen konnten. Wir suchten uns jeder zwei Stöcke zur Unterstützung, die wir für besseren Halt in den Boden rammten. Rito und Aaros gingen voraus, Qen und ich kamen zum Schluss. Es kostete uns einige Mühe, doch schließlich erreichten wir die Spitze des Berges, die völlig kahl war und uns weder vor Schnee noch vor Wind schützte. Dafür war die Aussicht großartig. Selbst mich, die ich in den Bergen aufgewachsen war, beeindruckte das Panorama, das sich mir eröffnete. In der Ferne glaubte ich, die Zwillingsgipfel zu erkennen, wo Magnus I mit seiner Armee die Unabhängigkeit Carcans erkämpft hatte und die auf zahlreichen Briefmarken abgebildet waren. Nein, das kann nicht sein, erinnerte ich mich. Die Zwillingsgipfel kannst du von hier unmöglich sehen, die sind noch viel weiter nördlich.

Aber auch das Vorgebirge des Hestermassivs war eine Schönheit. Hier hatte die Welt noch nicht mitbekommen, dass es langsam Frühling wurde und alles war noch von feinem Schnee bedeckt. Der blaue Himmel ermöglichte eine weite Sicht.

„Das ist wunderschön", bemerkte Aaros. Wir gönnten uns einen Moment, um diesen Anblick auf uns wirken zu lassen.

Erst der Schrei eines Adlers riss mich aus meiner Trance.

„Los, wir haben keine Zeit zu vertrödeln", motivierte ich meinen Trupp. „Seht ihr? Da vorne ist die Brücke!"

Wir bewegten uns zum Rand der Klippe, über die eine wackelige Hängebrücke gespannt war, die wahrscheinlich vor einer halben Ewigkeit gezimmert worden war.

„Die Brücken in meinen Büchern sind in einem wesentlich besseren Zustand als dieses Ding", Aaros schluckte. „Und die stürzen meistens ein."

Ich funkelte ihn an. „Das ist keins deiner Bücher. Die wird schon halten", ich wollte zuversichtlich klingen, doch meine Scharade nahm mir keiner ab. Mir war die Brücke auch keineswegs geheuer.

„Hmm", Qen beugte sich über den Abgrund. „Das sind etwa hundert Meter. Ein sicherer Tod."

„Wir werden nicht einstürzen!", beteuerte ich noch einmal. „Ich geh gerne zuerst."

Da keiner widersprach, schluckte ich meine Angst herunter und stapfte mutig los. Die Brücke war wirklich an einigen Stellen morsch und knarzte bedrohlich als ich mich Schritt für Schritt vor kämpfte. Als uns plötzlich eine gewaltige Windböe erfasste, musste ich mich ganz schön in die Seile legen, um nicht über Bord zu gehen. Wenn diese Seile jetzt reißen, bist du Matsch!

Glücklicherweise erwies sich die Brücke trotz ihres Alters als ziemlich robust und so war mir ein Weiterleben vergönnt. Als sich das Schwanken wieder einigermaßen beruhigt hatte, lief ich weiter. Die letzten Meter legte ich im Laufschritt zurück und landete auf der anderen Seite der Schlucht im Schnee.

„Seht ihr?! Kein Problem!", rief ich meinen Kameraden zu.

„Du hast dich fast eingenässt!", war Qens Antwort, der als nächstes rüber kam. Bei ihm klappte natürlich alles reibungslos. Rito und Aaros gelangten auch unbeschadet auf unsere Seite.

„Das mach ich nie wieder!", meinte Aaros als er keuchend am Boden lag.

„Ganz deiner Meinung", grinste Rito.

„Ist es schon Zeit für eine Pause?", fragte Qen, der wohl an die Leberwurstbrote in seinem Rucksack dachte.

„Vielleicht fünf Minuten", das würde wohl reichen, um meine zitternden Beine wieder ein wenig zu beruhigen. „Aber dann ziehen wir durch bis heute Abend."


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