Streit & Idylle eines Friedhofs

896 54 0
                                    

"Ich mag Budapest.", schwärmte ich, als wir ein letztes Mal mit dem Auto durch die Stadt fuhren. Ich war etwas traurig darüber, dass wir nur diesen einen Vormittag hier hatten und jetzt bereits auf dem Weg in die nächste Stadt waren, aber für mich stand fest, dass ich früher oder später nochmals hierher zurück kehren würde. "Ich nicht.", kam es von Sebastian neben mir. Im ersten Moment wusste ich gar nicht, wovon er sprach, zu tief in Gedanken versunken hatte ich die Stadt betrachtet. Ich schüttelte nur leicht den Kopf, fragte meinen Freund aber nicht nach dem Warum. Felix warf mir einen mitleidigen Blick von seinem Platz neben Sebastian zu, woraufhin ich meinen Blick einfach wieder zum Fenster hinaus wandern ließ und ein letztes Mal die Idylle meiner Lieblingsstadt über mich kommen ließ.
Freddy hatte wieder angefangen zu singen, worauf ich allerdings gar keine Lust hatte. Ich stöpselte mir also meine Kopfhörer ins Ohr, schloss die Augen und ließ den Kopf gegen die Scheibe fallen. Das dumpfe Gefühl meines leeren Magens verdrängte ich einfach, ebenso Sebastians Hand, die auf meinem Bein lag. Er ging mir im Moment so schrecklich auf die Nerven, in Gegenwart seiner Freunde ignorierte er mich weiterhin fast komplett und sobald wir alleine waren, wollte er auch keineswegs darüber reden. Innerlich war ich also auch vollkommen hin und her gerissen, auf der einen Seite stand mein Herz auf der anderen mein Verstand, der mir sagte, dass es nicht so sein sollte und ich ihn nicht brauchte.
Ich schlug meine Augen erst wieder auf, als Patrick uns mitteilte, dass wir noch circa eine halbe Stunde bis Zagreb brauchen würden. Im Schlaf hatte ich mir die Kopfhörer heraus gerissen, die Musik war allerdings weiter gelaufen, sodass der Akku meines Handys nun fast leer war und ich mich selbst verfluchte, weil ich eingeschlafen war.

Ich ließ Sebastian die Koffer in unser Zimmer tragen, verschwand dort sofort im Bad, um zu sehen, ob ich irgendwelche Make-up Spuren im Gesicht hatte und entschied mich sofort in die Stadt zu gehen. Es war zwar mittlerweile recht spät am Nachmittag, aber ich konnte einfach der Versuchung nicht wiederstehen einmal allein etwas zu besichtigen. Sebastian hatte mir von Anfang an klar gemacht, dass er mit mir weder Kirchen noch Friedhöfe ansehen wollte. Daraufhin entschied ich mich, einfach allein zu gehen und insgeheim freute ich mich darüber natürlich auch.
Schnell packte ich ein paar Kleinigkeiten, unter anderem Handy und einen Labello in meine kleine Handtasche und verließ das Hotelzimmer dann ohne ein Wort des Abschieds, da es sowieso verlassen da lag. Wir hatten uns zuvor gestritten, da er mich weder allein gehen lassen wollte, noch mitkommen würde, weshalb er zu Freddy gegangen war. Ich brauchte einfach Abstand und ging schnellen Schrittes auf den Ausgang zu.
Mein erstes Ziel war der Mirogoj-Friedhof im Zentrum der Hauptstadt. Der größte Friedhof Kroatiens hatte mich schon lange Zeit vor dieser Reise interessiert, doch hatte ich nie die Möglichkeit ihn mir wirklich einmal anzusehen.
Als ich direkt vor dem eindrucksvollen Eingangstor stehen blieb, erfasste mich die typische Ruhe, die ich beim Anblick eines Friedhofes, egal wie einfach gestaltet er war, immer überkam. Er sah von außen überhaupt nicht aus wie eine Ruhestätte, eher wie das Tor zum Paradies. Ich lächelte wegen dieses Paradoxon und trat ein. Ich war natürlich nicht die einzige, die sich hier aufhielt, mehrere Besucher wanderten entspannt die Wege entlang, doch die sieben Hektar große Anlage verhinderte, dass ich wirkliche Menschentrauben bilden konnten, sodass ich die meiste Zeit allein umher wanderte und Zeit hatte um intensiv nachzudenken.
Sebastian hatte sich verändert seit Anfang unserer Beziehung, ich wusste nicht, wie ich ihn jemals für jemanden halten konnte, der zu mir passen könnte. Wir waren zu verschieden und keiner war bereit Kompromisse für den anderen einzugehen, sodass wir uns irgendwann nicht mehr sehen können würden, da wir einfach unzufrieden waren.
Ich wusste nicht wirklich, wie mir geschah, weshalb ich mich auf eine der zahlreichen Bänke im Grün fallen ließ. Die letzten Sonnenstrahlen tauchten den Park in ein wundervolles Licht und hätten mich trotz der traurigen Stimmung sicherlich zum Lächeln gebracht, wenn ich nicht ständig an diese Unzufriedenheit in mir denken müsste. Ich wusste, dass ich mit Sebastian nicht glücklich werden konnte, doch wie sollte ich nach Hause kommen, wenn ich unsere Beziehung beendete? Ich würde niemals den Rest der Reise so weitermachen können, aber auch eine Trennung jetzt gerade mittendrin würde es nicht besser machen, da wir dennoch ständig aufeinander hingen und uns nicht aus dem Weg gehen könnten.
Verzweifelt fuhr ich mit über mein Gesicht und bereute es zum ersten Mal überhaupt mitgefahren zu sein. Es kam zu plötzlich, die Freude war zu groß und hatte alle anderen Zweifel überschattet, sodass ich nun in etwas steckte, aus dem es im Moment keinen Ausweg gab.
Ich hatte die Wahl, entweder machte ich auf der Stelle Schluss und musste damit rechnen, dass es böses Blut auf dieser Reise geben würde oder ich zog die Beziehung in die Länge und würde selbst schrecklich unglücklich werden, je länger es andauerte. Die Sonne war vom Himmel verschwunden und es wurde langsam dunkel. Da ich nicht riskieren wollte hier eingeschlossen zu werden, machte ich mich auf den Weg zum Ausgang. Ich achtete nicht wirklich auf meinen Weg, sodass ich letztendlich zugeben musste, dass ich nicht mehr wusste, woher ich gekommen war. Die Gräber hatte ich nie zuvor gesehen und kein Schild wies auf den Eingang, bzw. den Ausgang hin. In meiner Verzweiflung mit allem sank ich zu Boden und schlug die Hände vor mein Gesicht.

Change ● Rewinside (Reupload) Donde viven las historias. Descúbrelo ahora