Kleiner, einfühlsamer Bruder & extreme Stimmungsschwankungen

1.5K 100 6
                                    

Mein kleiner Bruder betrat leise mein Zimmer. "Was willst du?", motzte ich genervt und zog mir die Bettdecke über den Kopf. "Ich soll dir sagen, dass wir da sind.", meinte er enttäuscht mit seiner noch recht kindlichen Stimme. "Bist du traurig?" Nein, gar nicht. Ich tue nur so. "Ja." "Warum?", hakte er weiter nach. "Manchmal ist man traurig, weil jemand den man kennt, von dem man dachte, dass man ihn gut kennt, eigentlich jemand ganz anderes ist.", erklärte ich ihm ehrlich, warum auch immer ich ihm das erzählte. "Nicht traurig sein.", versuchte er mich zu trösten und umarmte mich ganz plötzlich. Etwas perplex schloss ich Jonas kurz darauf auch in die Arme und drückte ihn an mich. Für einen Fünftklässler war er noch unglaublich unselbstständig, aber meine Eltern wollten es nicht einsehen, sie meinten immer, er bräuchte nur mehr Zeit, als andere. Irgendwann befreite er sich aus meiner Umarmung und sprang aus dem Zimmer, er hüpfte wirklich, wie ein Känguru. Sah etwas seltsam aus, brachte mich aber zum Lächeln.
Ich stand auf, mein einziger Gedanke galt in diesem Moment Sebastian, dem ich ja doch irgendwie unrecht getan hatte.
Mit klopfendem Herzen stieg ich die Treppe hinab und drückte unsicher auf die Klingel. Patrick öffnete die Tür und sah mich kalt an. "Na Kleine?", fragte er neutral, was mir aber durch die Dunkelheit in seinen Augen eine Gänsehaut bescherte. Alles was er sagte, klang falsch aus seinem Munde, seit ich ihn näher kennengelernt hatte. "Ich will zu Sebastian.", meinte ich mit zitternder Stimme. "Du bist dich grade erst gegangen.", bemerkte r mit unglaublich sanfter Stimme, woraufhin mir ein Schauer über den Rücken lief. "Ich muss mit ihm reden.", versuchte ich ein weiteres Mal endlich eingelassen zu werden. "Du bist vor nicht allzu langer Zeit heulend aus dieser Wohnung hier gerannt und jetzt willst du reden?", fragte Patrick mit einem drohenden Unterton in der Stimme. "Ich habe einen Fehler gemacht...", seufzte ich leise und wich ängstlich zurück, als der Mann einen Schritt auf mich zu trat. Er ließ sich davon nicht abbringen und wiedermal kam er mir unglaublich nahe. Diesmal bot sich mir allerdings keine Fluchtmöglichkeit, denn die Wand in meinem Rücken würde wohl kaum verschwinden, egal, wie sehr ich mir das in diesem Moment wünschte. "Du hast einen Fehler gemacht?", fragte er, doch war seine Stimme plötzlich ganz anders. Er klang nicht mehr angsteinflößend, sondern eher neugierig. Tatsächlich, in seinen Augen spiegelte sich reine Neugier und obwohl er mir immernoch so nah war, hatte ich plötzlich keine richtige Angst mehr, eher Respekt. "Ja, habe ich.", antwortete ich Patrick ehrlich und sah ihm direkt in die dunklen Augen. Sie waren tief, natürlich, was auch sonst, aber neben der Neugier, die sich in ihnen zeigte, entdeckte ich noch etwas anderes, etwas viel zu Ungenaues, um es deuten zu können, doch war ich mir ziemlich sicher, dass es ein wichtiges Detail war, auf dem Weg zur Entdeckung seines wahren Charakters. Ich seufzte und rieb mir die Schläfen. "Alles Ok?", fragte er plötzlich wieder so nett, wie er zu Anfang schon war. Völlig verwirrt hob ich den Kopf ein weiteres Mal und starrte ihn an. Was bitte lief bei diesem Menschen falsch? Persönlichkeitsstörungen oder so? Wie konnte man zwei starrte vollkommen verschiedene Menschen in einem Körper sein? Ich schüttelte den Kopf. "Was ist passiert?", fragte er weiter, neugierig. Und nett? "Ich, nein, mir geht es gut. Es ist nichts.", antwortete ich verwirrt, stotterte dumm herum und wusste in diesem Moment überhaupt nicht, wie ich mit der hier gegebenen Situation umgehen hätte können. "Sicher?" "Ja, ich will nur mit Sebastian reden.", erinnerte ich ihn an meinen eigentlichen Beweggrund hier geklingelt zu haben. "Achso, ja, tut mir leid.", meinte Patrick und trat einen Schritt zur Seite. Ich schob mich an ihm vorbei und verschwand so schnell es mir möglich war, ohne auffällig zu wirken in der Wohnung.
Ich hatte ohne zu Klopfen Seb's Zimmer betreten und ihn auf dem Bett mit geschlossenen Augen vor gefunden. "Geh weg, Patrick. Keine Lust auf deine dummen Bemerkungen.", murmelte er und rieb sich, sichtbar frustriert über das Gesicht. Als ich keine Anstalten machte zu gehen, fuhr er wütend hoch. "Junge!", ihm stockte der Atem und Schweigen legte sich über das Zimmer. "Ich bin nicht Patrick.", meinte ich, warum auch immer, es war ja offensichtlich. "Ja, das ist mir klar.", kam es von ihm zurück.
Wir starrten uns gefühlte Ewigkeiten einfach an. Niemand sprach ein Wort.
"Seb ich...", begann ich vorsichtig. "Caro ich...", kam es gleichzeitig von dem blonden Mann auf dem Bett, woraufhin wir beide anfingen zu lächeln. "Du zuerst...", kam es gleich darauf von uns beiden gleichzeitig. Wir mussten einfach lachen.

Change ● Rewinside (Reupload) Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt