Zeugnisausgabe & unbewusste Ignoranz

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Ich schleppte mich also lustlos von Stunde zu Stunde, sprach weder mit Georg noch mit irgendwem anders, nahm mein Zeugnis mit gemischten Gefühlen entgegen und wollte mich gerade auf den Heimweg machen, als mich jemand aufhielt.
"Caro, warte mal.", meinte Samantha bestimmt und zog mich mit sich bis zur Mädchentoilette. "Ich will nach Hause.", maulte ich genervt auf, ließ mich aber von ihr mitschleppen. "Wir haben etwas zu besprechen, denke ich." "Was?", antwortete ich ihr leicht verwirrt und fragte mich, was ich denn verbrochen hatte. Ihr Stimme klang so vorwurfsvoll.
Die Tür der Toilette fiel hinter uns ins Schloss, sie blieb mit dem Rücken zu mir stehen. Ihre Haltung war angespannt. "Wieso ignorierst du Georg?", fragte sie mit derselben Anspannung in der Stimme. Ich fragte mich, was sie bitte für Vorstellungen hatte. "Ich ignoriere ihn doch gar nicht." "Klar! Du hast ihn heute keines Blickes gewürdigt. Er ist am Boden zerstört, weil er nicht weiß, was er falsch gemacht hat.", klärte das Mädchen mich auf und wurde dabei immer lauter. "Reg dich ab, Samantha. Ich habe nichts gegen ihn. Wir hatten uns ausgesprochen. Es ist alles gut." "Du ignorierst ihn aber trotzdem!", kreischte sie mit einem Mal los. "Samantha! Reg dich ab!", blaffte ich sie entnervt an, wollte mich umdrehen, um zu gehen, doch hielt sie mich zurück. "Du bleibst schön hier.", fauchte sie mich an, "Was ist los mit dir?" "Nichts, was dich angeht!", gab ich patzig zurück und verschränkte die Arme vor der Brust. "Ich will es aber wissen. Georg ist ein guter Freund von mir, demnach habe auch ich ein Recht es zu erfahren." "Hast du nicht." Ich drehte mich um, schaffte es diesmal ihren Händen auszuweichen und riss die Tür auf. "Tschüss. Schönen Tag noch.", rief ich im Weglaufen und verschwand endlich aus der Schule.
Erleichtert atmete ich die kalte Luft ein und schloss einen kurzen Moment die Augen, meine Gedanken ordneten sich endlich. Seufzend tat ich drei Schritte und blieb wieder stehen. Am Eingangstor wartete Georg, der Grund für mein abruptes Anhalten. Er lehnte locker gegen die Säule, tippte rhythmisch mit dem Fuß auf kalten Boden herum und stieß kleine Wölkchen beim Atmen aus.
Ich atmete ein weiteres Mal tief ein und zwang meine Beine wieder sich zu bewegen. Mit gesenktem Kopf ging ich auf das Tor zu, die Hände in den Jackentaschen vergraben und versuchte mich so unauffällig zu benehmen wie nur möglich. Alles um sonst, denn er beachtete mich überhaupt nicht, starrte nur unbewegt zur Schule.
Ich wandte mich kopfschüttelnd ab und ging weiter die Straße entlang. Den Kopf gesenkt, zählte ich meine Schritte leise im Kopf, um mich so gut wie möglich zu konzentrieren nicht losweinen zu müssen. Es fühlte sich alles so falsch an.
Zu allem Überfluss musste es natürlich anfangen zu regnen, man konnte ja nicht warten bis ich Zuhause angekommen bin, nein, ich kam in den vollen Regenschauer.
Völlig durchnässt kam ich an dem weißen Wohnhaus an, schloss die untere Haustür auf und stapfte müde und frustriert, vor Kälte zitternd und den Blick auf dem Boden die Treppe nach oben. An Sebastians Tür vorbei, Etage für Etage nach oben bis ich an unsere Wohnungstür kam. Mein Schlüssel fiel mir aus den zitternden Händen, als ich mich aufrichten wollte, um ihn ins Loch zu stecken, stieß ich mir aus unerfindlichen Gründen den Kopf an der Türklinke. "Verdammte scheiße.", fluchte ich leise und rieb mir den Hinterkopf.
Ohne irgendwem zu sagen, dass ich da bin, verschwand ich in mein Zimmer und ließ mich auf das Bett fallen. In einer Woche würden Mia und Nick hier auftauchen und das einzige was sie vorfinden würden, wäre der Scherbenhaufen meiner zerbrochenen Beziehung. Theoretisch gesehen war das alles Patricks Schuld. Er hatte meinen Eltern Lügen über Felix erzählt, in dessen Folge ich ihm nicht mehr vertrauen konnte. Ich dachte nicht darüber nach, dass ich zu feige war um ihn genau danach zu fragen, nein, ich dachte einzig und allein an meine Wut auf Patrick, der es scheinbar darauf anlegte, systematisch mein Leben zu zerstören.
Wütend schlug ich auf mein Kissen ein, bevor ich es gegen die Tür warf.
Scheinbar war niemand Zuhause, kein Geräusch war zu hören, sodass ich mich beinahe dem eben herrschenden Frieden hingab. Natürlich wurde diese Stimmung und auch meine langsam einkehrende Ruhe unterbrochen durch ein lautes, schrilles Klingeln unterbrochen. Genervt rollte ich mich auf die andere Seite des Bettes und vergrub meinen Kopf unter dem Kissen. Ich weigerte mich die Tür zu öffnen und musste leider bemerken, dass mein Zwillingsbruder scheinbar die gesamte Zeit in seinem Zimmer gezockt hatte, denn er ging jetzt an die Tür, woraufhin ich frustriert aufstöhnte. "Caro?", rief er plötzlich von unten, so laut, dass ich mein Gesicht noch tiefer in mein weiches Kissen pressen musste und mir gleichzeitig die Ohren zu hielt.

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