Freiheit & Paradiesvögel auf der Straße

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Lustigerweise schien ich tatsächlich alle Fächer mit Georg gleich zu haben, denn jede Stunde konnten wir zusammen sitzen, er konnte mir die Unterrichtsräume zeigen. Allgemein betrachtet könnte man wohl sagen, ich war glücklich ihn an meiner Seite zu haben. Wir hatten sogar ein und dieselbe Wellenlänge unseres Humors. Er lachte, ich lachte. Die besten Voraussetzungen für eine gute Freundschaft möchte man meinen.
Natürlich konnte ich mit ihm, als meinen Schulkumpel nicht zu den Beliebten zählen, sondern würde auf Ewigkeiten den Ruf als Streber inne haben, doch war es mir wichtiger einen guten Freund zu haben, als einen riesigen Haufen Hühner.
Ich legte meinen Kopf auf den Armen ab, während unser Physiklehrer irgendetwas über Energie redete. Ich konnte und wollte diese Wissenschaft nicht verstehen, da es mich einfach überhaupt nicht interessierte. Ich vernahm meinen Namen und hob ruckartig den Kopf. "Was?", fragte ich verwirrt und einige meiner Mitschüler fingen an zu feixen. "Haben sie gut geschlafen?", fragte der Lehrer, dessen Namen mir nichtmal geläufig war, sarkastisch und sah mich streng an. "Ich habe nicht geschlafen. Nur Nachgedacht.", konterte ich lahm und widerlegte meine Aussagen mithilfe eines ausgiebigen Gähnens. "Unterlassen Sie das bitte in meinem Unterricht." Er drehte sich zurück zur Tafel und fuhr mir seinen Erklärungen fort, während Georg mich anstupste und grinsend einen Zettel in meine Richtung schob. Es war nicht seine Schrift, also musste er von jemandem kommen, den ich nicht kannte. Ich kritzelte schnell und unauffällig die Frage 'Von wem?' auf meinen Block und schob es zu ihm rüber. 'Der Typ ganz hinten in der Ecke. Sieh nicht zu auffällig hin.' Schrieb er zurück und grinste mich weiterhin vielsagend an. Ich faltete den Zettel auseinander, konnte mir aber schon vor dem Lesen denken, was darin steht. Natürlich, was auch sonst. Er hatte mich nach einem Treffen gefragt. Auf der Toilette im obersten Stockwerk und jeder sollte wissen, welche Absichten er da hegte. Ich sah ihn direkt an, wartete bis er mich bemerkte und schüttelte dann kräftig den Kopf. Seine Miene verfinsterte sich sofort und sein Mittelfinger kam in mein Blickfeld. Ich drehte mich einfach zurück zu Tafel und verdrängte jegliche Gedanken an den Jungen dort hinten, der einer dieser typischen Großstadt-Schulmachos war.
Seufzend begann ich das Tafelbild in meinen Hefter zu malen, um mir wenigstens Zuhause nochmal etwas ansehen zu können. Ich hatte wirklich keinen blassen Schimmer, was ich mit diesen Aufzeichnungen jemals anfangen sollte, da man sie so oder so nicht begreifen konnte.

Als endlich das befreiende Klingeln nach der letzten Stunde ertönte, packte ich meine Unterlagen zusammen und folgte Georg vor das Gebäude. "Wollen wir vielleicht heute Abend ins Kino?", fragte er grinsend, "Also nicht als Date. Einfach als beste Freunde." Ich dachte kurz nach, überlegte ob ich viel zu tun hatte und sagte dann zu. Gemeinsam wanderten wir in Richtung Stadtzentrum, da keiner von uns beiden Lust hatte nach Hause zu gehen. Vor einem Friseurgeschäft blieb ich kurz stehen und sah mir die Farbangebote an, er stellte sich neben mich und warf einen Blick auf meine Haare. "Du müsstest mal wieder was an deinen Haaren machen.", lachte er spöttisch, "Am besten blau oder wieder grün." Ich warf ihm einen vielsagenden Blick zu und ein Grinsen stahl sich in mein Gesicht. "Nur, wenn du dir Haare auch färbst. Nur die Spitzen.", konterte ich geschickt. Er fand diese Idee nicht so toll, das konnte ich ihm ansehen. Lange Zeit standen wir uns gegenüber, ich grinste ihn an, während er nachdenklich immer wieder das Farbangebot musterte. "Ok.", gab er letztlich zu und wir betraten den Laden.

Vier Stunden später verließen wir ihn auch schon wieder. Meine Haare waren wieder ordentlich grün und seine hatten einen extrem coolen, dunkelblauen Schimmer. "Ich hasse dich.", behauptete er, doch entschärfte diese Bemerkung mithilfe eines fröhlichen Auflachens.
"Ich gehe jetzt erstmal nach Hause. Treffen wir uns 19 Uhr am Kino?", fragte er lächelnd und umarmte mich, nachdem ich zustimmend genickt hatte. "Ok, bis dann.", gab ich zurück und machte mich auch auf den Heimweg.
Irgendwie war es seltsam zu bemerken, wie sehr einen die Menschen auf der Straße anstarren, wenn man eine alternative Haarfarbe hat. Ich kannte das bisher nur von unserer Kleinstadt und da gewöhnten sich alle schnell daran. Allgemein betrachtet konnte man dort richtige Paradiesvögel sehen, während hier nur die normalen, langweiligen Farben vertreten waren. Ok, Schluss mit diesem Philosophieren.
Ich strich mir eine Strähne aus dem Gesicht und kramte bereits zwei Straßen bevor ich unser Haus überhaupt sehen konnte, in meiner Tasche nach dem Schlüssel.

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