Kapitel 93

218 20 0
                                    

"Kalyn?"

Tonks' Stimme dringt nur gedämpft durch meine Tür, aber ihr sorgenvoller Ton ist unüberhörbar. Trotzdem kann ich mich nicht dazu aufraffen ihr zu antworten. So wie auch die letzten drei Male, als sie vor meiner Tür gestanden hatte.

Wenige Augenblicke später höre ich eine zweite Stimme, die Steven zu gehören scheint:

"Immer noch nichts? Vielleicht schläft sie ja."

Regungslos bleibe ich weiter in meinem Bett liegen und warte geduldig ab, dass die beiden wieder gehen.

Meine Gedanken schweifen unterdessen zu Severus ab und ich frage mich, wie es ihm wohl geht.

Seit drei Wochen habe ich nichts mehr von ihm gehört. Auch meinen Brief, den ich ihm letzte Woche geschickt habe, ist unbeantwortet geblieben.

Vielleicht ist er immer noch sauer auf mich...

Nach der Trauerfeier hatten wir uns ziemlich heftig gestritten, weil Severus Catherines Tod schon wieder als "unglücklichen Unfall" bezeichnet hatte. Zum Schluss hatte er gemeint, ich sollte endlich damit aufhören mir die Schuld daran zu geben, da mein Selbstmitleid sie nicht wieder zurück bringen würde.

Bei diesen Worten bin ich aus der Haut gefahren und habe etwas Schreckliches zu ihm gesagt. Den verletzten Blick, den er mir daraufhin zugeworfen hatte, verfolgt mich bis heute.

Kein Wunder, dass er keine Lust mehr auf dich hat. Du bist ein Monster, Kalyn, das nur Leid und Tod über andere bringt.

Tränen steigen mir jetzt in die Augen. Ich versuche ein lautes Schluchzen zu unterdrücken und presse mir die Hand auf den Mund.

Plötzlich höre ich wieder Geräusche auf dem Flur. Offenbar haben es die beiden endlich aufgegeben und gehen jetzt wieder die Treppe hinunter.

Erleichtert drehe ich mich im Bett um und schaue zum Fenster. Die schweren Vorhänge sind zugezogen. Aber durch einen kleinen Schlitz kann ich etwas vom Himmel sehen.

Offenbar ist schon der Tag angebrochen, denn draußen ist es inzwischen hell.

Seit Catherines Beerdigung habe ich jedes Gefühl für Zeit verloren. Jeder Tag fühlt sich irgendwie gleich an.

Tränen steigen mir beim Gedanken an meine Schwester und ihr ungeborenes Kind auf und laufen mir heiß über meine Wangen. Ich mache mir nicht die Mühe sie weg zu wischen, denn sie kommen ja eh immer und immer wieder.

Seltsamerweise konnte ich aber auf ihrer Beerdigung gar nicht weinen.

An jenem heißen Juli-Tag hatte es sich angefühlt, als ob mich jedes Fünkchen Kraft verlassen hätte. Und zu weinen hätte mich einiges an Kraft gekostet. Stattdessen habe ich auf dem Friedhof bei Rowle Manor nur eine seltsame Leere gefühlt.

Etwas am Himmel reißt mich jetzt aus meinen Gedanken: Es ist eine schwarze Krähe, die in der Luft ihre Kreise zieht.

Sofort kommt mir Catherines Armband in den Sinn, auf dem auch eine Krähe zu sehen ist. Den Moment, als ich es zu ihrer Urne mit ins Grab gelegt hatte, werde ich nie wieder vergessen.

Er hat mich an den Tag erinnert, an dem wir Abschied von unserer Mutter nehmen mussten. Obwohl ich damals noch ein Kind gewesen war, kann ich mich noch gut daran erinnern. Vor allem wie präsent die Lücke war bzw. ist, die sie in unserem Leben hinterlassen hat.

Nach ihrem Tod gab es nur noch meine Schwester und mein Vater, die eine Einheit waren, und mich, die zur Außenseiterin ihrer eigenen Familie geworden war.

Mein Blick wandert nun vom Fenster zu Catherines Tagebüchern, die aufgetürmt auf dem Schreibtisch gegenüber vom Bett liegen. Seitdem ich sie mit Sirius auf Rowle Manor gefunden habe, habe ich es nicht gewagt sie anzufassen. Es hatte sich... irgendwie immer noch falsch angefühlt.

Erinnere dich, Kalyn (Severus Snape & OC)Where stories live. Discover now