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Langsam und ganz vorsichtig ging ich zu ihrem Bett und setzte mich auf den Stuhl daneben. "Hallo Alex..." hauchte ich und griff nach ihrer Hand, aber sie zog sie weg. Ich musste schlucken und sah sie an. "Wo warst du nur all die Jahre? Was ist damals passiert?" fragte ich und merkte, wie mir Tränen über die Wangen liefen. Alex war tatsächlich am leben! Als sie nicht antwortete wandte ich mich an die Ärztin: "Warum spricht sie nicht mit mir? Mit Ihnen hat sie doch auch geredet..." "Weil sie Sie vermutlich nicht erkennt und Ihnen deshalb noch nicht vertraut. Außerdem ist sie in einem Schockzustand und redet gar nicht über das, was ihr widerfahren ist." "Aber wir... Wir waren doch verheiratet..." "Ja, aber ich denke der Schock sitzt so tief, dass sie eine retrograde Amnesie entwickelt hat und sich an alles vor der vermeintlichen Entführung nicht mehr erinnern kann." "Und was heißt das...?" "Dass Sie sehr viel Geduld mit ihr haben müssen. Sie muss Sie neu kennenlernen, merken, dass sie Ihnen trauen kann." "Kommt ihr Gedächtnis denn eines Tages zurück?" Dr. Peltonen zuckte mit den Schultern. "Das kann ich Ihnen leider nicht beantworten. Einiges kommt vielleicht zurück, anderes ist für immer verloren." Ich nickte leicht und wischte mir kurz die Tränen weg. "Alexandra, weißt du wer ich bin?" Hoffnungsvoll schaute ich zu ihr, aber sie schüttelte nur den Kopf. "Ok... Mein Name ist Samu Haber und... Ich bin... Nein, ich war dein Ehemann." erklärte ich ihr, doch sie sah mich ratlos an. Ich schluckte. "Was weißt du denn? Weißt du was mit dir passiert ist?" Endlich nickte sie. Erleichtert atmete ich aus. "Kannst du es mir sagen?" "Darf nicht..." brachte sie auf einmal hervor. "Wieso darfst du das nicht?" fragte ich verwirrt. "Verboten..." "Verboten? Wer hat dir das verboten?" Wieder war sie still. "Alex wer hat dir verboten zu verraten was passiert ist und vor allem warum hat der derjenige das gemacht?" Ich wollte endlich wissen, was vor sechs Jahren passiert ist und wem wir alle unser Leid zu verdanken haben, jedoch blieb Alex bei ihrem Schweigen. Egal wie oft ich nachfragte, entweder verneinte sie oder sie schwieg und schüttelte den Kopf. "Ok na gut... Vielleicht möchtest du mir das ja ein andermal erklären." meinte ich irgendwann resigniert und wollte mich gerade an die Ärztin wenden, als es plötzlich an der Tür klopfte. "Das wird die Polizei sein. Herein." Die Tür öffnete sich und zwei Polizisten betraten den Raum. "Hallo, wir sind von der Kripo Helsinki. Das ist meine Kollegin Kochs und mein Name ist Toivonen." "Hallo, ich bin Dr. Peltonen, Frau Habers behandelnde Ärztin und das ist Herr Haber, ihr Exmann." Wir begrüßten die Beamten ebenfalls, dann fragte Frau Kochs: "Haben Sie uns gerufen Frau Dr.?" "Nicht direkt, aber ich hab sie rufen lassen." "Ah ok. Es geht um den Fall Alexandra Haber richtig?" "Genau. Diese ist nämlich heute von einem Herrn in die Notaufnahme gebracht worden und wie Sie sehen ist sie echt übel zugerichtet." "Ja... Haben Sie die Personalien von diesem Herrn?" "Die haben wir aufgeschrieben, ich gebe Sie Ihnen gleich." "Ok gut. Wäre es möglich, dass wir mal mit Frau Haber sprechen könnten?" "Sie können es versuchen, aber sie steht unter Schock und redet deshalb nicht viel." "Das werden wir." Er lächelte leicht und trat mit seiner Kollegin näher an das Bett heran. "Hallo Frau Haber, haben Sie gehört, wer wir sind?" Zaghaft nickte Alex. "Gut. Können Sie uns vielleicht verraten, wie Sie hierher gekommen sind?" fragte der Polizist. Es blieb einen Augenblick still und ich dachte schon, dass Alex die Antwort wieder verweigern würde, aber dann sagte sie ganz leise: "Jemand hat... mich hergefahren..." "Ok und kannten Sie diese Person?" Sie schüttelte erneut den Kopf. "Mhm. Wo sind Sie denn bei der Person ins Auto gestiegen?" Gespannt schaute ich Alex an, aber wir warteten alle vergeblich auf eine Antwort. "Wissen Sie den Ort nicht mehr?" Schweigend drehte Alex den Kopf weg. Die beiden Polizisten sahen sich kurz an, dann sagte er: "Sie wollen es nicht verraten, das ist in Ordnung, aber wissen Sie noch was davor passiert ist?" Abermals schwieg Alex. "Wo waren Sie denn überhaupt die letzten sechs Jahre?" Auch auf diese Frage bekamen die Beamten keine Antwort. "Ich kann ja mal alleine mit ihr reden. Natürlich nur, wenn das in Ordnung ist, Dr. Peltonen." schlug Frau Kochs vor. "Ja, aber ich warte draußen auf dem Flur und Sie holen mich sofort, wenn sie unruhig wird." "Klar, vielen Dank." "Herr Haber, kommen Sie." "Ich will sie eigentlich ungern alleine lassen..." meinte ich und sah die Ärztin an. "Das verstehe ich, aber vielleicht ist sie ja gesprächiger, wenn Sie mit einer Frau alleine ist. Vergessen Sie nicht, dass wir immer noch nicht wissen was genau ihr angetan wurde." Ich schaute zu Alex, die einfach nur stur geradeaus schaute. Ich wollte ihr so gern helfen, ihr die physischen sowie psychischen Schmerzen irgendwie abnehmen, aber das konnte ich leider nicht. "Na gut..." gab ich mich letztlich geschlagen und stand auf. "Ich bin gleich wieder da mein Engel." sagte ich zu ihr und strich über ihren Handrücken. In dem Moment nahm sie das erste Mal Augenkontakt zu mir auf und ich konnte sehen, dass ich damit irgendwas in ihr ausgelöst hatte. Die Ärztin, der Polizist und ich verließen das Zimmer und als wir die Tür hinter uns geschlossen hatten fragte ich: "Hab ich mir das gerade eingebildet oder hat das, was ich gemacht und gesagt habe etwas in ihr ausgelöst?" Dr. Peltonen lächelte leicht. "Nein, Sie haben Recht. Haben Sie sie früher auch so genannt?" "Ja..." "Gut. Das ist sehr gut, das hilft nämlich gegen die Amnesie." "Wirklich?" "Ja. Alles vertraute ist bei Amnesie super wichtig. Das kann Erinnerungen zurück holen." Ich lächelte ebenfalls. "Ok, danke." "Gern." "Herr Haber, Sie haben nicht zufällig eine Idee wer das Ihrer Exfrau angetan haben könnte oder?" fragte der Polizist und sah mich an. "Nein, das hab ich aber vor sechs Jahren bereits gesagt, als Ihre Kollegen die Vermisstenanzeige aufgenommen haben. Ich habe keine Ahnung, wer uns sowas antun sollte." "Ja tut mir Leid, ich hab vor kurzem noch in Lappeenranta gearbeitet." "Finden Sie bitte einfach nur den Verantwortlichen dafür... Ich erkenne meine Frau nicht mehr wieder... Sie ist... wie ein anderer Mensch..." "Ich dachte es handelt sich um Ihre Exfrau?" "Ja... Aber nur, weil ihre Eltern sie vor drei Jahren für tot erklärt haben lassen... Demnach wurde unsere Ehe geschieden, aber wenn das alles nicht passiert wäre, wären wir immer noch verheiratet, da bin ich sicher." Dass Isa von dieser Aussage alles andere als begeistert sein wird, fiel mir in dem Moment überhaupt nicht ein. Ich war einfach nur froh, dass Alex, entgegen aller Erwartungen, noch lebte und offensichtlich irgendwie geschafft hatte aus der Hölle zu entfliehen, in der sie all die Jahre gefangen war. "Wir werden unser bestes tun. Vielleicht befindet sich unter ihren Fingernägeln die DNA des Täters oder vielleicht bekommt meine Kollegin auch etwas aus ihr heraus." Ich nickte leicht. "Danke..." Auf einmal klingelte mein Handy. Ich nahm es aus der Hosentasche und schaute aufs Display. "Das ist meine Frau... Ich bin gleich wieder da." sagte ich und verließ das Krankenhaus, während ich dran ging. "Hey..." "Schatz? Was ist los? Ist irgendwas passiert?" Ich war draußen und lehnte mich an die Wand. "Die Ärztin hatte Recht..." hauchte ich und musste lächeln. "Wie? Du meinst Alex lebt?" "Ja...! Ich kann das auch nicht glauben, aber ich hab sie gesehen... Wer auch immer für ihr Verschwinden zuständig ist, hat ihr verdammt wehgetan... Aber sie lebt!" rief ich glücklich und merkte, wie mir schon wieder vor lauter Freude einzelne Tränen über die Wange liefen.

Was sagt ihr dazu? Schreibt's in die Kommentare und bis bald 🤗

Disappeared? Where stories live. Discover now