51. Kapitel

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Louis POV

Das war es nun. Ich wusste nicht, wo Harry war, doch ich dachte mir, es ist besser, wenn er mich nicht so sieht. Ich wurde aus dem Kerker geholt und nun stand ich vor einer Menschenmenge auf einer Erhöhung. Meine Stunden waren gezählt, das wusste ich. Ich machte mir keine Hoffnungen. Was ich nicht verstand, war, weshalb es so schlimm war zu lieben. Wieso durfte ich nicht mit dem Menschen zusammen sein, den ich mehr als alles andere in dieser Welt liebte? Ich verstand es nicht, aber ich nahm es hin."Louis!", hörte ich jemanden schreien. Voller Angst und Entsetzen drang die Stimme zu mir durch. Ich öffnete meine Augen ein letztes Mal und blickte in das schmerzverzerrte Gesicht von Harry.Wie gern hätte ich meine Hand nach ihm ausgestreckt und meine Finger durch seine weichen Locken gleiten lassen, doch die Fesseln an meinen Händen entsagten mir dies.Aber es reichte mir. Es reichte mir für dieses Leben, noch einmal in das satte Grün seiner Augen zu sehen, diese Augen, die mich unzählige Male mit Liebe und Fürsorge anblickten."Harry", wisperte ich und kurz bevor sich die Schlinge um meinen Hals zuzog, zogen sich meine Mundwinkel nach oben."NEIN! Lou!", schrie Harry und bahnte sich seinen Weg nach vorne. Aber das würde letztendlich nichts an meinem Schicksal ändern, doch es reichte mir, es reichte mir für dieses Leben...

Harry POV

Das passiert nicht, das passiert nicht wirklich. Das kann nicht sein. Bitte, bitte nicht! In meinem Kopf ratterte es, als ich durch das große Tor lief, direkt in eine große Menschenmasse, auf dem Marktplatz vor den Schlosstoren. Meine Gedanken überschlugen sich, als ich die Menschen zur Seite drückte. Wieso meinte es das Leben nur so schlecht mit mir?Warum konnte ich nicht einfach glücklich sein? Warum konnten wir nicht glücklich sein?Und dann sah ich es, die Szenerie, die etwas in mir zerbrechen ließ.Schon fast friedlich stand Louis da, die Schlinge um den Hals, die Hände hinter dem Rücken verbunden und die Augen geschlossen. Er sah aus wie ein Engel, der darauf wartete, aus dem Himmel zu fallen, ein Schicksal, dem er nicht entfliehen kann. Ein Schicksal, an dem ich Schuld war."Louis!", schrie ich heiser, als sich der Kloß in meinem Hals löste. Seine Augen schlugen schlagartig auf und blickten mich an. Dieses Blau, dieses Blau, was immer noch leuchtete wie zwei Sterne am Nachthimmel. Meine Beine setzten sich wieder in Bewegung. Ich drängte mich weiter durch die Menge, jedoch ohne den Blickkontakt zu brechen. Es war nur ein Augenblick, zu kurz, um etwas zu tun. Louis Lippen öffneten sich und formten meinen Namen. Ich hörte ihn nicht, doch in meinem Kopf schallte seine Stimme wieder. Ein Lächeln legte sich auf sein Gesicht. Das gab mir den Rest. Tränen stiegen mir in die Augen und ich schrie."Nein!...Lou!..." Doch die Klappe öffnete sich, das Seil wurde straff und in mir starb etwas. Etwas, was man nicht wiederbeleben konnte."Nein, nein, nein, Nein, NEIN...!"Ich war an der Erhöhung angekommen und stolperte die Treppe hinauf, vorbei an der Wache, die mich versuchte aufzuhalten."Bitte nicht! Gott, nein!"Ich rannte weiter zu Louis. Mechanisch griff ich nach meinem Dolch und schlug ihn in das dicke Seil, an dem Louis hing."Nein, nein, nein...", meine Stimme wurde immer leiser und brüchiger, als das Seil nach dem dritten Schlag endlich nachgab. Louis schlaffer Körper fiel mir entgegen und ich versuchte, ihn aufzufangen.Das kann nicht sein... das darf nicht sein! Vorsichtig bettete ich den Körper auf den Boden und legte seinen Kopf in meinen Schoß. Seine Haut war noch warm, so warm und weich, als würde er schlafen. Ich strich ihm die braunen Haare aus der Stirn, als meine Tränen auf seine Brust tropften. Nun schluchzte ich. Laut. Wut stieg in mir auf. Wut auf meinen Vater und Wut auf mich. Ich weinte und flüsterte seinen Namen immer wieder, in der Hoffnung, er würde durch meine Rufe wieder aufwachen... doch nichts.Nach kurzer Zeit merkte ich, dass mich Hände an meinen Schultern brutal zurückzogen."Nein! Lasst mich!", weinte ich, als ich von Louis Körper weggezogen wurde. Stimmen drangen in meine Blase der Traurigkeit. Es waren mehrere, doch eine stach heraus."Holt ihn da weg!" Mein Vater.Wütend sah ich mich nach ihm um und fand ihn, auf dem großen Thron seitlich des Galgens sitzend. Mürrisch sah er mich an. Ich blieb augenblicklich still stehen. Wieder kamen die Tränen."Du!", schrie ich meinen Vater an. Ich öffnete meine Arme weit, sodass die Wachen ihre Waffen zückten.Die Menge wurde still."Na los!", forderte ich meinen Vater auf. Er sah verwirrt aus - einen Moment - bevor er sich fasste und wartete."Du hast mir soeben mein Leben genommen. Mein Inneres ist tot... bring es zu Ende und lass auch meinen Körper zerstören. Na los, mach schon!" Ich sah den Schmerz meiner Mutter, als ich den Blick abwandte, doch das ließ mich kalt. Ich konnte nicht noch mehr Trauer empfinden als jetzt. Neben ihr saß Kendall mit kalter Miene, ihre Augen glitzerten jedoch vor Freude und Genugtuung."Bringt ihn weg", sagte mein Vater bestimmend mit erhobenem Kopf. "In den Kerker mit ihm. Er soll zur Vernunft kommen."Kerker. Mein eigener Vater ließ mich in den Kerker werfen, doch das konnte mich nicht mehr erschüttern.Wieder die Hände zweier Wachen auf mir, die mich von der Erhöhung zogen. Mein Blick lag auf Louis, wie er dort lag. Allein und verlassen, ohne mich. Ich hatte das Gefühl, ihn verraten zu haben, als mein Blick von ihm getrennt wurde und ich nach drinnen geführt wurde.Ich wurde kurz darauf in eine Zelle geworfen und eingeschlossen. Der kalte Steinboden kam mir nun ziemlich komfortabel vor. Wahrscheinlich würde sich sowieso alles gleich anfühlen, egal ob ein Federbett oder eins aus Nadeln...Jetzt... ohne ihn.Nach einer gefühlten Ewigkeit, in der ich die Sonne zweimal runter und einmal aufgehen sah, lag ich nun in der Dunkelheit, immer noch auf dem Boden. Mein Körper hatte wahrscheinlich die gleiche Temperatur, doch ich spürte nichts. Mit jeder Stunde die verstrich, wurde mein Kopf kälter, mein Herz schwerer, meine Ohren tauber und abgesehen von dem dumpfen Pochen meines Pulses hatte ich das Gefühl, mich aufzulösen. In einer Wolke voller Schmerz.Irgendwann wurde die Zellentür geöffnet und jemand kam in die Zelle. Dann merkte ich, wie mich jemand mehrfach trat und schlug. Doch nicht mal diese Schmerzen im Bauch und Rücken kamen an den Schmerz in meinem Herzen heran. Verschwommen von den Tränen, die noch immer aus meinen Augen liefen, sah ich die Gestalt meines Vaters.„- eine Schande bist du!" Ich bekam nur Bruchteile mit."- du bist gottlos, Harold." Ja, das glaub ich auch."- ich weiß nicht, welcher Dämon in dich gefahren ist Sohn, doch ich habe das geklärt. Das Volk hat sich beruhigt-"„-Jetzt bist du dran. Du wirst so lange hier bleiben, bis du klar im Kopf bist. Bis du einsiehst, dass es falsch war! Falsch ist! Ich will nie wieder ein Wort über diese Sache hören!"Damit verschwand er und ich blieb noch eine Nacht. Der Kopf in Watte gepackt, damit der Schmerz nicht zu sehr durchsickerte. Doch letztendlich war er da. Wie der Teufel saß er auf meiner Schulter und piesackte mich.Langsam schlich sich ein Gedanke in den Vordergrund. Ich musste ihn sehen. Ein letztes Mal!Wie gesteuert setzte ich mich auf und ignorierte den Schmerz in meinen Gliedern. Er war sowieso irrelevant.Ich rief nach einer Wache, die sofort kann.„Bringt mir Zayn", forderte ich.„Wie Sie wünschen, Sir Harold", sagte die Wache widerwillig und zog ab. Doch ich überhörte nicht, dass er Schwuchtel flüsterte.Zayn kam sehr bald.„Harry", sagte er traurig. Ich wusste nicht, ob ich wütend auf ihn war. Hat er gewusst, was mein Vater vorhatte?"Zayn, lass mich hier raus und richte meinem Vater aus..." Ich schluckte, „ich sei zur Vernunft gekommen."Zayn drehte sich zur nächsten Wache. „Ihr hört ihn! Lauft und richtet dem Fürsten aus, sein Sohn will ihn sehen."Zayn schloss meine Zelle auf und lief mit mir durch die Kellergewölbe Richtung Fürstenhaus."Harry... Ich wusste es nicht...", meint Zayn.„Schon okay", sagte ich, wieder den Tränen nah.„Wo, wo ist er gerade...? Hat man ihn schon...?"„Nein. Er ist heute zu seiner Familie gekommen. Die werden sich um alles kümmern." Ich nickte nur.Als wir vor der großen Tür zum Fürstensaal standen, zog ich scharf die Luft ein und schluckte all das herunter, was ich meinem Vater eigentlich vorwerfen wollte. Ich betrat den Raum, Zayn an meiner Seite.„Sohn!", rief mein Vater auf. Meine Mutter saß etwas entfernt auf einem Futon. Sie sah müde und alt aus. Ganz anders als sonst. Sie blickte mir nicht in die Augen, sie musterte nur mit traurigem Gesicht meine schmutzige Kleidung.„Vater..."„Ich hoffe, du bist zur Vernunft gekommen."Ich senke den Kopf und versuchte, die Tränen zurückzuhalten.„Ja Vater", sagte ich mit brüchiger Stimme, „euer Sohn ist wieder klaren Kopfes. Der Teufel, der auf ihm saß, ist nun verschwunden."Er sagte nichts. Er erhob sich nur langsam und kam auf mich zu. Als er vor mir stehen blieb, wusste ich nicht, ob er mir Glauben schenkte. Er legte eine Hand auf meine Schulter. Sie fühlte sich unendlich schwer an. Als wollte sie mich geradewegs durch den Marmorboden in die Hölle drücken.„Mein Sohn ist zurück!" Er umarmte mich.„Gott sei dank!" Es fühlte sich so falsch an, seine Arme um mich, nicht wie ein Segen, sondern wie die Lüge meines Lebens.Als er von mir abließ, um in meine Augen zu sehen, wusste ich nicht, was er in mir sah. Ein zurückgekehrter Sohn? Ich bezweifelte, dass ich so aussah. Doch er schien meine gebrochene Seele nicht zu erkennen... Wie auch, das konnte er noch nie.Als ich weggeschickt wurde, um mich zu waschen und umzuziehen, ließ man mir ausrichten, dass ich zum Abendessen kommen sollte. Die Familie wollte zusammen sein.Lächerlich.Das Essen verlief still. Mutter sagte mir, dass sie mich erst einmal im Haus behalten wollte, bevor ich wieder im Dorf herum lief. Ich nickte dies nur ab, meine Flucht schon planend.

Time Against Us • Book IDonde viven las historias. Descúbrelo ahora