13. Kapitel

7.4K 639 33
                                    


Harry POV

Die Freude pochte tief in mir, als ich den Stall erreichte. Ich konnte Louis näher sein und das, ohne den ganzen Tag in einem miefigen Stall zu sein! Außerdem wird er es besser haben. So viel besser.
Er verdiente dies so sehr.

In den letzten Tagen, die ich bei ihm verbrachte, erzählte er viel von seine Familie. Wie hart seine Mutter arbeitete, um den kleinen Hof mit den wenigen Tieren zu halten und wie sie sich um seine Schwestern kümmerte. Er liebte sie alle wirklich sehr, das sah man an der Art und Weise, wie seine Augen strahlten, wenn er von ihnen allen sprach. Von seinem Vater hatte er nichts erzählt, doch ich schlussfolgerte, dass er tot sein musste oder zumindest gegangen. Ich fragte nicht nach.

"Lou!", rief ich aufgeregt und rannte in den Stall. Keiner zu sehen. "Louis!" Jetzt versuchte ich es weiter hinten raus, zu den Scheunen, doch auch da war er nicht zu sehen. Vielleicht war er noch gar nicht aus dem Haus zurück... Oder er war in seinem Zimmer! Schnell lief ich wieder aus der Scheune hinaus und rannte zu der kleinen Holztür gleich nebenan. Ohne zu klopfen stieß ich sie auf und trat hinein.
"Lou?" Keiner da. Als ich mich gerade umdrehen wollte, hörte ich jemanden.
"Harry?", fragte Louis. Ich wandte mich blitzschnell um und lief gleichzeitig einen Schritt nach vorne.
"Auuuaaaah!", schrie ich, als ich geradewegs mit meiner linken Seite gegen den einzigen, alten Schrank rannte und nach hinten taumelte. Da der Raum nicht sehr groß war, musste ja bald das nächste Objekt kommen, was zu meinem Glück das Bett war. Unbeholfen fiel ich nach hinten auf die alles andere als weiche Matratze. Sie gab ein dumpfes Geräusch von sich und dazu eine Ladung Staub, der in die Luft wirbelte. Man sah in den Lichtstrahlen, die durch das winzige Fenster fielen, wie die Staubkörner in der Luft miteinander tanzten und ihre Spiralen zogen.

"Harry, oh mein Gott! Ist alles in Ordnung?" Louis kam sofort mit besorgter Miene auf mich zu und hockte sich vor mich hin.
"Hmmpf... ja, ich denke schon", sagte ich und setzte mich halb auf. Die Locken, die mir ins Gesicht gefallen waren, pustete ich schnell weg und sah wieder Louis an, der immer noch besorgt drein schaute.

"Sicher?"
"Jaja, hör mir zu. Ich habe tolle Neuigkeiten!", fing ich ohne Weiteres an und grinste.
"Was, schon wieder? Das ist ja schon die Zweite diese Woche."
Louis grinste nun ebenfalls und richtete sich wieder auf. Er zog sich einen der zwei Stühle von dem nicht weit entfernten Tisch heran und setzte sich damit vor mich.

"Um ehrlich zu sein, die Nachricht mit meinem Vater war letzte Woche", verbesserte ich ihn.
"Wie du meinst. Erzähl schon." Louis lehnte sich zurück und sah mich erwartungsvoll mit seinen blauen, wunderschönen Augen an. Ja, wunderschön. Ich sträubte mich selbst mittlerweile nicht mehr dagegen, dies zu denken. Es war einfach die Wahrheit.
Doch so wie er mich ansah, bekam ich plötzlich Zweifel. Was ist, wenn er gar nicht mein Gefährte sein will. Wenn er nicht mein Freund sein will. Vielleicht mag er mich ja gar nicht und ist nur nett zu mir, weil er für mich arbeitet. Vielleicht bilde ich mir diese Verbundenheit und diese Vertrautheit zwischen uns ja nur ein...

"Was ist, Harry? Du siehst aus, als hättest du ein Schlossgespenst gesehen", scherzte er froh und kicherte leise. Wie süß.

"Hey, keine Witze über Schlossgespensert!"
"Oh, natürlich nicht, Harold!", doch er kicherte immer noch. Es klang so rein, dass ich meine Zweifel einfach bei Seite schob.

"Nun ja, also... ich habe mich in den letzten Tagen sehr an dich gewöhnt und auch… auch an den Gedanken eines F-Freundes. Ich hatte nie wirklich Freunde, da die anderen Kinder immer Respekt vor mir hatten und so… also so hatte ich nie wirklich jemanden außer Gemma. Das heißt nicht... A-also wenn du nicht mein F-Freund... Oh Gott das klingt so, als wären wir noch Kinder! Aber worauf ich hinaus will i-ist, Gemma hatte immer Sophie als Gefährtin und i-i…ich weiß, wir sind nicht mehr klein, aber der Gedanke an jemanden, der mir zu Seite steht, d-da-daran könnte ich mich gewöhnen..."

Okay. Das war bestimmt unverständlich für hin. Das war ja selbst für mich unverständlich! Was tat ich nur? Warum verwirrte dieser Junge mich nur so?

"Sophie ist eine Kammerzofe", stellte Louis als einziges Stirn runzelnd fest. "Du willst, dass ich deine Kammerzofe werde?" Ich überlegte kurz, als mir ein Bild von Louis in Sophies Kleidern in den Sinn kam. Der Gedanke war zu witzig und bewirkte komischer weise noch etwas anderes in mir ..

"Also ja?", hakte Louis nach.
"Nein, nicht direkt. Du wirst im Haus schlafen anstatt hier und..."

"Harry, ich weiß nicht, ob ich dir dienen will", unterbrach er mich kopfschüttelnd und lehnte sich ein Stück auf seinem Stuhl nach vorne, sodass er mir näher war.
"Ich weiß nicht, ob ich dir Essen bringen will und deine Wäsche waschen..."

"Was?", unterbrach ich ihn dieses Mal. "Hör mir doch erst einmal zu. Keiner sagt etwas von Wäsche waschen und Essen kochen. Ich will nicht, dass du meine Zofe wirst. Ich würde dich gern an meiner Seite wissen. Als Gefährten... Als Freund. Du wirst im Haus schlafen und du wirst dich trotzdem noch um die Pferde kümmern. Das war die Bedingung meiner Mutter. Der einzige Unterschied ist, dass ich deine Zeit mehr in Anspruch nehmen werde. Du wirst mich überall dahin begleiten, wo ich nicht alleine hin will. Ich möchte dich gerne öfters um mich haben. Du sollst da sein."

Louis sah mich eine ganze Zeit lang still an. In seinem Kopf sah man, dass er wirklich überlegte.

"...Ich möchte gerne, dass du da bist.", fügte ich leise hinzu, nachdem er immer noch nichts sagte.

"Harry… Ich weiß nicht. Du stellst dir das zu einfach vor. Was möchtest du genau von mir? Jemand, der dich begleitet und dir sagt, was du hören willst? Ein Hündchen, das neben dir her läuft, nur weil du nicht alleine sein willst? Ich glaube nicht, dass..."

"Ja, ich will nicht alleine sein. Ich war so lange alleine!", sagte ich jetzt etwas wütender, "ich habe es satt, niemanden zu haben, mit dem ich reden kann und der mir vor allem zu hört! Ich dachte, du magst mich vielleicht und dass du ... d-da-dass du den Vorschlag gut finden würdest. Denn ich möchte niemanden, der mir hinter her läuft und nichts sagt, ich möchte jemanden, der da für mich ist und mir sagt, wenn etwas falsch läuft. Ich dachte, das wärst vielleicht du..." Meine Stimme wurde wieder leiser und langsam senkte ich meinen Kopf, um den dreckigen Boden anzustarren. "...Ich dachte, wir könnten Freunde sein. Ich dachte, du magst mich auch."

Nichts. Keiner sagte etwas. Und mit jeder Sekunde ging es mir mieser, da ich mich verletzlich und angreifbar fühlte. Langsam schloss sich der Panzer um mich und schien sich zu verriegeln.

"Harry", Louis legte behutsam seine kleine Hand halb auf mein Knie und halb auf meine größere Hand. "Natürlich mag ich dich auch. Sehr sogar. Du warst so nett zu mir, das werde ich dir nie vergessen. Und ich würde nur zu gerne dein Freund sein und an deiner Seite stehen, aber ich habe… ich habe Bedenken."

"Was für Bedenken, Lou?", fragte ich verwirrt und sah ihn an. Nun war Louis der, der seinen Kopf hängen ließ.

"Ich hab Angst, dass du mich fallen lässt. Wenn du irgendwann der Meinung bist, dass ich kein guter Gefährte bin oder wenn ich mich ganz einfach im Ton vergreife... Ich diene dir dann immer noch und du kannst mich ohne weiteres raus werfen, ohne dass ich etwas dagegen machen kann."

"Das denkst du wirklich?", fragte ich erstaunt. Louis nickte leicht und sah mich entschuldigend lächelnd an.
"Louis, mach dir keine Sorgen. Das wird nicht passieren. Ich verspreche es dir."
"Wirklich?" In dem Moment sah er aus wie ein kleiner Junge, mit den großen Augen und dem flehendem Blick. Es löste einfach unbeschreibliche Gefühle in mir aus.

"Versprochen", flüsterte ich und erhob mich. Ich hielt ihm eine Hand hin und zog ihn ebenfalls mit mir nach oben. Wir standen nun dicht voreinander, ich auf ihn herunter sehend und zufrieden lächelnd. Unsere Hände hielten einander noch immer, mehr, als dass wir sie schüttelten.

"Du solltest dein Zeug zusammen packen. Du kannst noch heute wieder mit ins Haus kommen. Diese paar Bretter hier sind ja nicht zum aushalten", sagte ich dicht an seinem Ohr, bevor ich einen Schritt wegtrat.

"Okay", hauchte Louis leise und sah sich um.
"Ich werde Maria mitteilen lassen, dass sie dir ein Zimmer fertig machen soll und dann sehen wir uns dort. Okay?

Time Against Us • Book IWhere stories live. Discover now