38. Kapitel

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Louis POV

Ich wusste nicht, wie ich das überlebte. Ich wusste nicht, wie ich mit ihm einfach so an einem Tisch sitzen konnte. Ich wusste nur, dass ich mein Essen anstarrte. Nachdem ich Eleanor gehört hatte, wie sie sagte, dass ich doch was essen sollte, führte ich irgendwie eine Gabel zu meinem Mund. Ich schmeckte nichts, ich merkte noch nicht mal, welche Konsistenz das Essen hatte, was gerade meine Kehle herunter rutschte.

Als ich die Gabel zurückführte, überlegte ich kurz, ob ich sie mir ins Bein rammen sollte. Vielleicht hätte ich dann irgendetwas gespürt.
Das Schlimmste jedoch war, dass Harry nur wenige Meter neben mir saß.Ich sah nicht auf, sah ihn kein einziges Mal an, doch ich spürte ihn. Ich spürte seine Anwesenheit und ich spürte, dass sein Blick dann und wann auf mir lag.

Lustig. Dieses Gefühl musste ich schon früher gehabt haben. Doch erst jetzt, wo es kein wohlig warmer Schauer mehr war, sonder ein kalter Windzug, bekam ich es wirklich mit.
Es war das einzige, was ich mitbekam und so dachte sich meine masochistische Seite, dass es doch eigentlich ganz schön war, etwas zu fühlen.Ich schob die Gabel, die ich mit aller Kraft umklammerte, nun zum dritten Mal in meinen Mund und würgte das, was auch immer ich da kaute, herunter.Als ich spürte, wie es in meinem Magen ankam, sträubte es sich plötzlich, dort zu bleiben. Mein Herz schlug schneller, als ich mir die Hand vor den Mund hielt und aufsprang.

Ich rannte so schnell es ging in das nächste Badezimmer und übergab mich.Die drei Bissen, die heraus kamen, waren nicht viel, doch auch als nichts mehr in mir war, würgte ich weiter.Langsam spürte ich es. Ich würgte und würgte und würgte keinen Magen Inhalt aus, nein, ich würgte den Schmerz, der tief in mir war hoch. Er wollte raus. Genau jetzt. Er bahnte sich seinen Weg langsam und unangenehm an die Oberfläche.

Als ich aufhörte zu würgen spürte ich es. Und zwar unerwartet und mit aller Kraft.Er liebt mich nicht. Er liebt mich nicht... Er tut es einfach nicht.

Wie konnte ich so dumm sein und glauben, dass er mich auch liebt? Wie konnte ich auch nur im Geringsten denken, dass es sich besser anfühlen würde, wenn ich es endlich ausgesprochen hatte?

Es war nicht besser. Es war schlimmer. So viel schlimmer. Ich krümmte mich auf den kühlen Fliesen zusammen und umklammerte meinen eigenen Körper, als die ersten Tränen kamen.

Es sprudelte nun ganz über. Wie kochendes Wasser, das aus dem Topf entfliehen wollte. Nur, dass aus mir kein Wasser schwappte, sonder dickflüssiger, schwarzer, klebender Schmerz. Es fühlte sich an, als würde mein Inneres nach draußen fließen und alles, was je schön und gut war in meinem Leben überfluten.

Ich weinte. Ich weinte viel und ich weinte laut. Hysterisches Schluchzen kam aus meiner Kehle, als ich mich wie ein kleines Kind auf dem Boden herum rollte. Doch keine Position machte es erträglicher. Egal wie ich lag, egal wie viele Tränen noch aus mir quollen, es hörte nicht auf. Der Topf wurde nicht leer.Irgendwann, nach einer unbestimmten Zeit, hörte ich über mein Schluchzen ein zaghaftes Klopfen an der Tür.

"Louis? Alles in Ordnung bei dir?"
Mein Herz, was ungesund schnell schlug, setzte kurz aus. Doch als ich Eleanors Stimme erkannte, liefen die nächsten Tränen nach draußen.
"Bitte Louis, mach doch die Tür auf. Ich mache mir Sorgen, Harry macht sich Sorgen."

Ha! Er machen sich Sorgen? Wohl eher nicht. Wieso sollte Harry sich Sorgen machen?Andererseits...

Er liebte mich nicht, aber immerhin waren wir Freunde. Freunde sorgen sich umeinander. Vielleicht machte er sich wirklich Sorgen und trotzdem... er liebte mich nicht.

Ich wusste nicht, wie ich es schaffte aufzustehen, doch ich stütze mich an der Wanne ab und stand auf. Meine Beine hatten kein Gefühl mehr. Ich lief ein Stück und merkte, dass sich alles drehte. Als ich am Spiegel angekommen war, holte ich tief Luft. Es tat weh.

Mein Spiegelbild sah mich an und zeigte das, was ich erwartete. Verheulte Augen, bleiche, rot gefleckte Haut, angeschwollene Lippen. Ich schluchzte und fuhr mir mit beiden Händen übers Gesicht.

"Louis! Bitte!", rief Eleanor jetzt lauter. Ich versuchte noch einmal, normal zu atmen, als ich zur Tür ging und aufschloss. El riss sofort die Tür auf und rannte mich fast um, als sie in Bad eintrat.
"Oh mein Gott, Louis!"
Sie legte mir eine Hand auf die Schulter und schob mich zurück. Die Tür schlug zu und wurde abgeschlossen. Eleanor sah mich prüfend an.

"W-was ist nur?", fragte sie beunruhigt und strich mir die verklebten Haare aus der Stirn.
"Du siehst schrecklich aus."
"Ich fühl mich nicht gut. Bestimmt nur eine Erkältung."
Ich erkannte meine eigene Stimme nicht mehr. Sie klang dünn und brüchig. Als wäre alles Leben aus mir.

"Du siehst wirklich nicht gut aus. Wir werden in wenigen Minuten aufbrechen, denkst du, du schaffst die Fahrt?"
Ich nickte schwach.
"Ja. Ja, ich möchte nach Hause."
"Dann lass uns los. Die Kutsche wartet schon."
"Mein Koffer", sagte ich mit dieser schrecklich fremden Stimme, als wir kurz vor der Kutsche standen. Ich wollte gerade umdrehen, als ich schwankte und mich an Eleanor abstützen musste.
"Nicht", sagte sie und stützte mich, "Harry hat ihn für dich gepackt. Er ist schon auf der Kutsche.
"Autsch. Ich schluckte die Tränen runter, als ich seinen Namen hörte. Wo er wohl war? Sicherlich schon in der Kutsche, die vor unserer stand. Ich wagte einen Blick nach vorne und sah die Kutsche fertig mit geschlossenen Türen und Kutscher.

"Na los, komm schon", sagte El und schob mich in unsere Kutsche. Als ich endlich drin saß und die Pferde sich in Bewegung setzten, merkte ich es wieder nach oben brodeln. Neue Tränen bildeten sich in meinen Augen.

"Louis", sagte Eleanor wieder, "was ist los? Bitte, ich kann dich nicht so sehen."
Ich blickte Eleanor nicht an. Ich konnte nicht.
"I-ich kann nicht", flüsterte ich leise und lehnte meinen Kopf an die Seite des Wagens.
"Okay. Okay, du musst es mir nicht sagen. Versuch doch zu schlafen."
Ich nickte schwach und versuchte, es mir gemütlich zu machen. Allerdings war das sowieso zwecklos. Schlafen konnte ich nicht. Ich versuchte, einfach da zu sitzen und nichts zu tun. Der Schmerz war noch immer da und pochte unangenehm in mir.Irgendwie wünschte ich mir die schwarze Leere zurück.

Time Against Us • Book IWhere stories live. Discover now