10. Kapitel

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Harry POV

Das euphorische Gefühl von Freiheit wollte einfach nicht aufhören! Voller Freude und voller Alkohol hüpfte ich lachend die Treppen nach oben. Ich fühlte mich wie ein kleines Kind, doch es war mir egal. Die Sonne war gerade unter gegangen und das Fest noch voll im Gange. Den ganzen Nachmittag hab ich mich mit Wein voll gekippt, da ich so viel zu überdenken hatte und einfach mein Kopf etwas klarer bekommen wollte. Tja Geschafft. Oder so was in der Art. Er war, nach dem ich die Neuigkeit - dass mein Vater für ein paar Wochen weggehen würde - unzählige Male durchdachte hatte, nun endlich frei und doch war mein Geist vernebelt und wirr. Das einzige, was ich wusste und was klar war, war die Tatsache, dass ich Louis sehen wollte, um ihm die tollen Neuigkeiten zu erzählen. Ich war gerade vor seiner Tür angekommen und schaute mich nach Maria um, die jedoch nicht zu sehen war. Also öffnete ich die Tür zu Louis Zimmer und verschwand darin. Das Zimmer war dunkel. Nur durch die letzten Strahlen der Sonne leicht erhellt.

"Louwis!", sagte ich und hüpfte weiter auf das Bett zu. Keine Antwort. Vorsichtig - zumindest dachte ich das - stützte ich mich neben Louis Körper und beobachtete sein schlafendes Gesicht. Jedoch war ich wirklich nicht so vorsichtig und Louis bewegte sich leicht, als er aus der Traumwelt ins Hier und Jetzt glitt.

"Was weckst du mich so grob?", fragte er verschlafen und wandte sich ab, sodass ich nur seinen Rücken und seinen zerzausten Hinterkopf sehen konnte. Da fiel mir ein, dass er eigentlich Ruhe brauchte und Maria mir gesagt hatte, dass ich nicht so egoistisch sein sollte und... Ich kicherte. Louis war ja noch sauer. Warum gleich noch mal?

"Louwis! Ich musch dir wasch erschääääählen!" Ich kicherte wieder und ließ mich kurzerhand neben ihm auf Bett fallen.

"Es ist mir eg- sag mal, hast du getrunken?" Daraufhin drehte Louis sich wieder um. Sein Gesicht verzog sich auf einmal zu einer witzigen Grimasse, als er seinen Körper vorsichtig umdrehte. Sein Körper... Hmm...

"Hast du getrunken?", wiederholte Louis seine Frage und blickte mich streng an. Ich kicherte wieder und hielt mir diesmal eine Hand vor den Mund. Seine wunderschönen blauen Augen waren leicht verhängt. Sie erinnerten mich an einen seltenen Edelstein... An etwas, was meine Mutter früher besaß, nur dass seine Augen noch mehr zu Strahlen schienen.

"Ein bisccchhhen..." Gestand ich lallend. "Louis, ich musch dir wasch erzählen!"

Louis verdrehte genervt die Augen. "Harry, ich bin noch sauer auf dich. Ich will es nicht hören."

"Aber Lou.. Lou, Lou ... Boo, LouBoo Boo", reimte ich seinen Namen und fing wieder an zu lachen. 
Louis sollte nicht sauer sein.

"Boo, sei nicht sauer." Ich legte ihm vorsichtig, und diesmal wirklich vorsichtig, eine Hand auf die Wange und drehte sein Kopf so, dass er mich ansah.

"Ich soll nicht sauer sein?" Louis Stimme wurde lauter und er schlug meine Hand weg. "Du warst der, der meinte, dass das noch nicht geklärt ist und der sauer auf mich war.

Und nein, ich werde nicht aufhören, auf dich wütend zu sein, um ehrlich zu sein, hast du es sogar schlimmer gemacht! Du bist so egoistisch und so verwöhnt, unglaublich. Und schreist Leute an, die dir helfen wollen und die nichts falsch gemacht haben, nur weil der kleine Harry seinen Willen nicht schnell genug bekommt! Und dann... Dann tust du so, als wäre nichts gewesen, nur weil dir der Kopf gerade danach steht, aber wenn du sauer bist, muss man dir zuhören! Was soll das? Auch wenn man der Fürstensohn ist und sich wahrscheinlich alles rausnehmen kann, heißt das nicht, dass man das auch tun sollte und dass man andere Menschen so behandeln soll,  als wären sie weniger gut! Es heißt nicht, dass man ein schlechter und egoistischer und verwöhnter Mensch sein muss..."

Ich schluckte. Nicht mal meine Mutter oder Maria hatten mich je so angeschrien. Wahrscheinlich war auch das der Grund dafür, dass Louis genau das zum Thema machte. Er hatte mit allem Recht, so Recht und ich wusste das. Ich wusste das schon sehr lange, doch es machte mir nie etwas aus. Bis jetzt.

Was sollte ich jetzt machen? Ihn anschreien, dass er so nicht mit mir reden darf? Nein, das wollte ich nicht. 
Ehe ich etwas anderes sagen konnte, kam ein brüchiges Flüstern aus meinem Mund. "Es tut mir leid."

Oh, wie wahr. Doch ich wusste nicht, was ich sonst tun oder sagen sollte. Ich schaute weg, weg von seinen blauen Augen, die sich in meine bohrten. Ich könnte sie nicht ertragen, denn ich schämte mich. Also richtete ich meinen Blick an die beige Zimmerdecke. Mein Kopf war immer noch total vernebelt und alles schien verdreht.

"Harry", flüsterte Louis neben mir und strich mir leicht über die nasse Wange. "Versteh mich, ich bin einer von ihnen. Wie Sophie. Ein Diener, wenn du es so haben willst. Und ich habe die Möglichkeit, dir zu zeigen, wie du mit uns umgehst. Ich weiß nicht, ob ich eine Grenze überschritten habe und ob du mich zurück in den Stall schickst, weil du mich nicht mehr sehen willst. Aber ich kann es einfach nicht mit ansehen, wenn jemand so schlecht gemacht wird..."

Und da war der Fehler. Louis war kein Angestellter. Nicht für mich. Er war mein Freund. Er bedeutete mir so viel mehr als jeder andere Diener hier, doch er hatte Recht. Nur weil ich einen höheren Rang hatte, musste ich sie nicht wie Dreck behandeln. Vorsichtig drehte ich mein Kopf wieder zu ihm und sah, dass sich auch in seinen Augen Tränen gebildet hatten. Das Blau verschwommen ein wenig durch die Spiegelung, bis sich zwei kleine Tropfen aus seinem Augenwinkel stahlen und über seine Wange rollten. Seine Wangen und seine Lippen waren rosarot und sahen so zart aus wie die Blätter einer Rose.

Leise wimmerte er: "Schick mich nicht weg." Etwas erschrocken über seine eigenen Worte zog er die Luft ein.

Dann wurde mir langsam etwas klar. Verdammt!

"Kann ich nicht", gestand ich, leicht mit dem Kopf schüttelnd. Und wieder fiel mein Blick auf seine Lippen. 
Ich wollte ihn küssen. Ganz eindeutig. 
Doch ich tat es nicht. Es war falsch, was dachte ich da? Man soll das gleiche Geschlecht nicht begehren. Doch ich begehrte ihn, Louis. Und das war mir in dem Moment klarer als je zuvor.

"Louis?" Schluckte ich schwer. "Du hast Recht, mit allem was du gesagt hast... Und es tut mir leid."

"Ich werde versuchen, nicht so egoistisch zu sein und das alles. Ich kann mich jetzt besser konzentrieren. Mein Vater wird für eine Weile weggehen. Irland. Das wollte ich dir sagen. Du glaubst nicht, welcher Druck von mir fällt und... Und ich werde versuchen, ein besserer Mensch zu sein."

Mein Kopf fing an zu schmerzen, als ich Louis leicht lächeln sah. Mit diesen wunderschönen, rosa Lippen. Schnell schaute ich weg und blickte wieder die Decke an, die nicht mal halb so interessant wie er war. Was machte ich nur? Ich versprach einem Jungen, den ich seit ein paar Wochen kannte und mit dem ich so was wie befreundet war, dass ich ein bessere Mensch werden wollte. Früher hat es mich doch auch nicht interessiert, welche Auswirkungen mein Verhalten auf andere Menschen hatte und jetzt? Und zu allem Überfluss machte mich dieser Junge auch noch unglaublich an. Ich wollte ihn küssen. Mein vernebeltes Gehirn wollte ihn und ich musste sogar meine Augen zusammen kneifen, um mich nicht wieder zu ihm zu wenden. Ich ließ sie einfach geschlossen und wartete.

Ich wartete solange, bis ich Louis neben mir ruhig atmen hörte und diesen Rhythmus mich auch langsam einschläferte. Ich berührte ihn nicht. Zu groß war die Angst, was ich dann tun würde. Darum blieb ich einfach auf dem Rücken liegend und wartete, bis mich ein süßer Schlaf überwältigte und ich als letztes spürte, wie mein Kopf zur Seite rollte und meine Wange leicht gegen Louis weichen Haarschopf stieß. Friedlich lächelnd schlief ich so ein.

Time Against Us • Book IWhere stories live. Discover now