xXx Kapitel 39 xXx

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Müde rieb ich mir die Augen, während ich neben einer hohen Betonmauer stand und wartete. Mein ganzer Körper zitterte vor Kälte, was wahrscheinlich vor allem am Schlafmangel lag. Die ganze Nacht hatte ich kaum ein Auge zu bekommen und wenn doch, dann fiel ich in einen sehr unruhigen Schlaf. Auch jetzt spürte ich die Anspannung in mir, nervös strich ich mit den Finger durch mein dunkles Haar.

Heute war der Tag gekommen, an dem über Sieg oder Niederlage entschieden wurde. In unserem Falle bedeutete Niederlage den sicheren Tod.

Noch war es stockdunkel zwischen den Häusern und der Mauer. Ich erkannte um mich herum bloß drei düster gekleidete Gestalten, die Schatten ähnelten. Es waren Kian, Helena und Mailin, die genauso unruhig wirkten, wie ich mich fühlte. Helena lief pausenlos im Kreis, Kian hielt die metallene Tür im Auge, die durch die Mauer führte und Mailin saß abseits von uns und machte noch immer einen ziemlich mitgenommenen Eindruck.

Finja hatte uns nicht begleitet. Sie wartete in ihrer Wohnung auf unsere Rückkehr. Ich hatte darauf bestanden, dass sie nicht mit uns mitkam. Es war nicht Finjas Kampf, ihr hatte der König herzlich wenig zuleide getan. Ich wollte nicht, dass ihr unseretwegen etwas zustieß. So bestand ihre Aufgabe also lediglich darin, auf uns zu warten und zu hoffen, dass wir vor der Abenddämmerung mit guten Nachrichten zurückkämen.

In der Ferne wurde der Himmel heller. Der Tag brach an und dann erreichte uns der erste Sonnenstrahl. Neugierig wandte ich meinen Blick zur Tür, die noch immer von meinem Bruder beobachtet wurde. Entweder würde Nils sie jeden Augenblick von innen öffnen, oder unser Plan war fehlgeschlagen.

Ein leises, metallenes Klicken erklang. Mailin sprang von der Treppe auf, auf der sie die ganze Zeit gesessen hatte und taumelte wie benommen auf die Tür zu. Ich näherte mich ihr ebenfalls, im Gegensatz zu Mailin allerdings etwas skeptischer.

Irgendjemand schloss die Tür von innen auf, was einige Minuten in Anspruch nahm, schließlich unterlag diese Tür strengsten Sicherheitsvorschriften. Während wir warteten, schoss mir ein unheimlicher Gedanke durch den Kopf. Was wenn sich nicht Nils an der Tür zu schaffen machte, sondern die Armee des Königs? Was wenn wir längst aufgeflogen waren?

Mit einem lauten quietschen öffnete sich die Tür einen Spalt breit, gerade so weit, dass ich nur die Dunkelheit des dahinter liegenden Ganges erspähen könnte. Sekunden verstrichen, bis sie noch ein Stück aufgeschoben wurde und ich endlich durchatmete als ich Nils erkannte. Überglücklich rannte ich auf ihn zu und schloss ihn in meine Arme.

„Du hast es geschafft!"

Nils nickte stolz, während auch die anderen die Tür passierten.

„Ja, es war für mich ein Leichtes in den Palast zu gelangen. Niemand hat Verdacht geschöpft und wenn wir diesen Notausgang innerhalb von wenigen Minuten wieder verriegelt haben, wird auch weiterhin niemand Alarm schlagen."

Wenig später machten wir uns mit Taschenlampen bewaffnet auf den Weg zur Waffenkammer. Nils und Kian wussten, wo sich diese befand und führten uns düstere Gänge entlang, geradewegs dorthin. Mit einem Schlüssel schloss Nils die Tür auf, allem Anschein nach hatten sie wirklich keinen Verdacht geschöpft, wenn sie ihm sogar einen Schlüssel anvertrauten.

Neugierig betraten wir den Raum, den ich mir etwas grösser vorgestellt hatte. Bald stellte ich fest, dass es hier nur Schwerter gab.

„Meinst du die reichen aus, wenn es hart auf hart kommt?", fragte ich meinen Bruder verunsichert, doch dieser zuckte lediglich mit den Schultern.

„Es gäbe noch eine andere Waffenkammer, aber das Risiko unentdeckt dorthin zu kommen wäre zu groß", meldete sich Nils zu Wort, der sich bereits nach einem geeigneten Schwert umsah.

Auch Mailin inspizierte eines der Schwerter, schlang ihre Finger um den Griff und ließ es durch die Luft gleiten.

„Die reichen vollkommen aus", meinte sie eher zu sich selbst, als zu uns. Ich sah etwas in ihren grünen Augen – die mich erschreckend fest an Sams Augen erinnerten – aufblitzen. Den Wunsch, ihren Bruder zu rächen und dabei allen möglichen Gefahren zu trotzen.

Helena machte derweil einen eher etwas unbeholfenen Eindruck. Sie hatte sich für ein Dolch ähnliches Schwert entschieden, das wahrscheinlich mehr als Abschreckung, als tatsächlich als Waffe dienen sollte. Helenas eigentliche Waffe war Cara und das wusste sie.

Als wir uns mit Schwertern ausgerüstet hatten, war Helena an der Reihe. Sie führte uns durch schmale Gänge zu dem Gebäude, in dem sich die geheimen Gemächer des Königs befanden. Vor einer großen Tür blieb sie stehen. Die Tür erinnerte an einen Tresor, sie würde sich nur öffnen, wenn man die richtige Buchstabenkombination eingab. Ein Problem, das ich bisher nicht bedacht hatte. Natürlich waren die Gemächer des Königs nicht für jedermann zugänglich, sonst wären sie ja nicht geheim.

„Da wären wir", Helena lief auf die Tür zu und betrachtete das Eingabefeld, „Ich habe es noch nie versucht, durch diese Tür zu kommen."

„Gib deinen Namen ein", schlug Mailin vor und Helena gehorchte. Ein rotes Licht blinkte auf und Helena wich einen Schritt zurück.

„Wir haben nur noch zwei Versucht", teilte sie uns erschrocken mit, „Wenn wir das Passwort bis dahin nicht geknackt haben, geht der Alarm los."

Nervosität legte sich über uns. Was könnte der König als Passwort verwenden? Nun war vor allem Helena gefragt.

„Wie hieß deine Mutter?", fragte Kian, doch Nils winkte ab.

„Nein, das wäre zu einfach, ihren Namen kennen zu viele Leute. Es muss etwas sein, das nur der König und vielleicht seine engste Familie – also Helena – weiß."

Nils hatte Recht, wie dumm waren wir, dass wir unsere erste Chance so leichtfertig verschwendet hatten?

„Helena, fällt dir etwas ein?", fragte ich und versuchte dabei nicht angespannt zu klingen. Panik war das Letzte, was wir jetzt gebrauchen konnten.

Nachdenklich begutachtete Helena die Tür. Es schien, als würde sie verschiedene Begriffe gegeneinander abwägen um abzuschätzen, welcher der richtige sein könnte. Minuten später tippte sie das nächste Wort ein, erneut ein rotes Licht.

Mailin schlug die Hände vor ihr Gesicht, als könnte sie nicht hin schauen. Ich wusste, dass sie Helena noch immer nicht vertraute und war überrascht von ihrer Selbstbeherrschung. Vielleicht hatte sie doch mehr Ähnlichkeit mit Sam, als ich bisher geglaubt hatte?

Nils stellte sich neben Helena und legte beruhigend seine Hand auf ihre Schulter.

„Denk nochmals ganz genau nach. Gibt es da irgendetwas, das dich an deinen Vater erinnert, was aber nur du weißt?"

Helena schüttelte verzweifelt den Kopf, sie wollte nicht die Verantwortung dafür tragen, ob unser Plan aufging oder scheiterte. Sie wollte nicht alleine über Leben und Tod entscheiden.

„Nein, mir fällt nichts ein", ihre Stimme versagte, sie war den Tränen nahe, „Vielleicht sollten wir die ganze Sache abbrechen."
Nils schüttelte entschieden den Kopf, „Atme nochmals tief durch. Setz dich nicht zu sehr unter Druck."

Helena befolgte seinen Ratschlag und ich war überrascht, wie gut es funktionierte. Sie schien tatsächlich wieder ruhiger zu werden und ich war mir ziemlich sicher, dass es vor allem an Nils lag.

Sekunden verstrichen bis Helena ganz plötzlich auf die Tür zu eilte. Schnell flogen ihre Finger über das Eingabefeld. Wir alle hatten uns um die Tür versammelt und starrten mit einem mulmigen Gefühl im Magen auf das Lämpchen neben dem Eingabefeld. Wenn es rot aufleuchten würde, wäre dies unser Todesurteil.

Eissplitter - Kalt wie SchneeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt