xXx Kapitel 33 xXx

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Die Nacht war eingebrochen, als ich eine weiße Gestalt entdeckte, die sich dem Lager näherte. Es mussten Cara und Helena sein, die sich endlich dazu entschlossen hatten, zu mir zurück zu kehren.

Am liebsten hätte ich Luftsprünge gemacht als die beiden zwischen den Zelten auftauchten. Cara hatte wieder ihre kleine hundeähnliche Gestalt angenommen und sie tapste neben Helena durch den Schnee.

„Was habe ich dir gesagt?", fuhr ich meinen Bruder schnippisch an, „Helena gibt es wirklich."

Kian antwortete mir nicht, er starrte völlig perplex auf Helena und auch Nils wollte seinen Blick nicht von ihr abwenden. Da ich mich längst an Helenas nahezu perfektes Aussehen gewöhnt hatte, war es mit entfallen, was für eine Wirkung sie vor allem auf Männer hatte.

Sie kam näher, der Schein des Feuers streifte ihr Gesicht. Etwas war anders, sie sah nicht aus wie sonst. Traurigkeit lag in ihren blauen Augen und noch etwas anderes, vielleicht der Wille, endlich etwas zu verändern?

„Das ist Helena", stellte ich sie Kian und Nils vor, die ihr nun freundlich zu lächelten.

„Das ist mein Bruder Kian und das sein Kumpel Nils."

Helena nickte stumm, sie sah erschöpft aus. Wie lange sie wohl durch den Schnee geirrt waren, bevor sie unser Lager gefunden hatte? Und dann überbrachte ich ihr solch schreckliche Nachrichten.

Kian sprang auf und ich tat es ihm gleich.

„Du siehst müde aus", stellte er fest, während er Helena eingehend musterte, „Kommt mit, ich zeige euch euer Zelt."

Er hatte uns eines der Zelte in der Mitte des Platzes zugeteilt. Es war nicht besonders groß und im Innern befand sich lediglich ein Haufen von Decken, in die wir uns einkuscheln könnten. Es gab kein Feuer wie in dem Zelt, in dem sie mich zuvor untergebracht hatten.

„Es ist nicht besonders gemütlich, aber besser als unter freiem Himmel zu schlafen", entschuldigte sich Kian, als wäre es seine Schuld, dass wir uns in dieser verzwickten Lage befanden.

„Es ist perfekt. In den letzten Tagen hatten wir weitaus weniger gemütliche Schlafplätze", versicherte ich meinem Bruder und dann ließ er uns bereits wieder alleine. An diesem Abend wechselte ich kaum ein Wort mit Helena. Sie wickelte sich in ihre Decke ein und Cara schmiegte sich an sie. Helena brauchte Zeit um mit den Dingen klar zu kommen, die ihr Vater getan hatte und ich respektierte dies. Schließlich hatte ich meine eigenen Sorgen. Was würde aus Sam werden? Wie könnte ich ihm bloß helfen?

Als der nächste Morgen anbrach, verließen wir das Zelt. Helena wollte in aller Frühe einen Spaziergang machen und bestand darauf, dass ich sie begleitete.

Während wir gemütlich durch den Schnee stapften, hüpfte Cara neben uns durch den Schnee und hielt Ausschau nach leichter Beute.

„Ist sie nicht süß", stellte Helena fest, während sie das hundeähnliche Wesen beobachtete, wie es manchmal etwas tollpatschige Sprünge machte.

„Ja, das ist sie", bestätigte ich, „Wie lange hast du sie schon?"
„Seit meiner Kindheit, meine Mutter hat sie mir geschenkt. Sie war vernarrt in diese Hunde und besaß selbst zwei von ihnen."

Helena erzählte mir, wie ihre Mutter eines Tages zu ihr kam, mit einem kleinen Fellknäuel in der Hand und zu ihr meinte, dass sie nun genug alt sei, um die Verantwortung für dieses kleine Tier zu übernehmen. Von diesem Tag an war Cara nicht mehr von Helenas Seite gewichen und die beiden schien eine innige Freundschaft zu verbinden.

„Was ist mit deiner Mutter geschehen? Ich weiß, dass sie nicht mehr lebt, aber warum?", fragte ich und hoffte, dass diese Frage nicht zu privat war. Doch inzwischen kannte ich Helena so gut, dass ich glaubte, sie auch nach solchen Themen ausfragen zu dürfen.

Helena schaute mich kurz an, ließ ihren Blick dann aber über den verschneiten Wald schweifen, in dem wir uns befanden. Sie brauchte eine Weile, bis sie antwortete.

„So genau weiß ich das gar nicht mehr. Ich kann mich nur an das erinnern, was mir mein Vater erzählt hat. Es ist Jahre her, seit wir das letzte Mal darüber gesprochen haben. Er redete nie gerne darüber, es machte ihn traurig, also hörte ich irgendwann auf Fragen zu stellen."

Helenas Blick folgte Cara, wie sie an einem Schneebedeckten Tannenzweig schnüffelte und ein paar Schneeflocken auf ihre Nase hinunter rieselten.

„Er war zusammen mit meiner Mutter in der Stadt unterwegs. Sie hatten irgendeinen wichtigen Termin. Damals hatte man mich nicht darüber aufgeklärt, welchen Aufgaben man als Königspaar alles nachzugehen hat. Also saß ich in meinem Zimmer und spielte mit Cara, während meine Eltern weg waren. In der Stadt geschah es dann, irgendjemandem gelang es, meine Mutter anzugreifen. Sofort wurde sie zurück ins Schloss gebracht, leider kam jegliche Hilfe zu spät."

Tränen glänzten in Helenas Augen, als sie sich zu mir umdrehte, „Ich durfte sie nicht einmal mehr sehen. Sie sagten, es wäre kein Anblick für ein so junges Mädchen wie mich. Dabei hätte ich Abschied von ihr nehmen wollen."

Ich ging auf Helena zu, legte meine Arme um sie und drückte sie fest an mich.

„Ich konnte mich nie wirklich von ihr verabschieden", schluchzte sie leise vor sich hin.

Früher hatte ich immer gedacht, dass Helena – das Eisprinzesschen – ein perfektes Leben führte. Schließlich war ihr Vater der König und sie lebte im Palast. Inzwischen wusste ich es besser. Auch sie hatte einen schweren Verlust zu beklagen. Während ich meinen Bruder hatte, hatte Helena ihren Vater, aber uns beiden wurde das Glück verwehrt, in einer glücklichen Familie aufzuwachsen. Kein Wunder, dass ihr Vater sie um jeden Preis zu beschützen versuchte.

Es war, als wären durch Helenas Trauer alle Barrieren durchbrochen worden. Von einem Augenblick zum Nächsten befand ich mich nicht mehr im schneeverhangenen Wald, sondern in einem prunkvoll eingerichteten Zimmer. Helena saß auf ihrem Himmelbett, das mit dunkelroten Stoffbahnen behangen war, auf denen sich goldenen Verzierungen befanden. Sie blicke auf die leise tickende Wanduhr. Es war acht Uhr abends und sie schien auf jemanden zu warten.

Als es an der Tür klopfte, bat Helena den Besucher herein. Es war Sam, der sie mit einem zufriedenen Lächeln begrüßte.

„Tut mir leid, dass ich mich verspäte", entschuldigte er sich, durchquerte das Zimmer und küsste Helena auf den Mund.

Ich zuckte zusammen und verspürte einen Stich in meinem Herzen. Dabei wusste ich, dass dies bloß eine Erinnerung war und die Realität inzwischen ganz anders aussah.

In diesem Moment wirkten die beiden völlig unbeschwert. Dies musste zu der Zeit gewesen sein, als Helenas Vater noch nichts von der Beziehung der beiden wusste.

Die nächste Erinnerung zeigte Helena, wie sie Sam auf dem Flur begegnete. Sie musterte ihn, während er stur geradeaus starrte. Inzwischen war es für mich nicht mehr schwer zu deuten, was in ihm vorging. Dies musste zu der Zeit gewesen sein, als Helenas Vater ihm verboten hatte, sie zu treffen und er sich nur mit Mühe dazu durchringen konnte, seinem Befehl zu gehorchen.

Erneut stand ich in einem Flur. Sam hatte seinen Arm um Helena gelegt, sie wirkte traurig und er versuchte sie zu trösten. Noch immer war die Liebe zwischen den beiden nicht erloschen, doch ich war mir sicher, dass es nicht mehr lange dauerte, bis der König dem endgültig ein Ende setzen würde. Jetzt war es nicht mehr die Tatsache, dass Sam und Helena sich so nahe standen, die mich traurig machte. Wie konnte der König diese Liebe nur so gnadenlos auseinander reißen?

Langsam beruhigte sich Helena wieder. Sie hatte aufgehört zu schluchzen und atmete wieder etwas langsamer. Cara hatte sich zu uns gesellt und stupste mit ihrer Nase sanft Helenas Hand an. Wir lösten uns aus der Umarmung und machten uns auf den Weg zurück zum Lager. Währenddessen wechselten wir kein einziges Wort mehr. Irgendetwas in mir sagte, dass Helena mir diese Erinnerungen absichtlich gezeigt hatte. Sie wollte, dass wir keine Geheimnisse mehr voreinander hatten. Hatte sie in mir endlich jene Freundin gefunden, die sie bisher nie hatte?

Eissplitter - Kalt wie SchneeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt