xXx Kapitel 5 xXx

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Verblüfft klappte mein Mund auf, als ich seine Stimme erkannte. Mein Herz nahm einen Satz, augenblicklich sprang ich vom Bett auf. Es war Sam. Er war tatsächlich gekommen, um mich aus dieser verzwickten Lage zu befreien.

Eilig schloss ich die Tür auf. Das erste was ich zu Gesicht bekam, war Sams wütender Blick. Natürlich war er wütend. Ich war spätabends völlig überstürzt abgehauen. Es war anzunehmen, dass mich die einen oder anderen Leute auf der Strasse erkannt hatten, dies versetzte Sam in ziemlich schlechtes Licht.

Trotz seines Blickes stürmte ich auf ihn zu und fiel in seine Arme. Ich wollte einfach nur hier weg, selbst wenn dies bedeutete, zurück in Sams Appartement zu gehen.

Sam legte seine Arme schützend um mich, seine Miene lockerte sich ein wenig auf.

Ich entdeckte den Pub Besitzer, der jetzt noch mürrischer aussah als ohnehin schon.

„Sie muss noch bezahlen", meinte er mit kratziger Stimme und deutete in meine Richtung.

Sam zückte seinen Geldbeutel und streckte dem Mann ein paar Geldscheine entgegen. Genervt nahm dieser sie entgegen und verschwand den Flur entlang.

„Alles in Ordnung?", fragte Sam ein wenig verwirrt.

Ich nickte und liess langsam von ihm ab. Er hatte nicht erwartet, dass ich ihn mit offenen Armen empfing. Noch weniger, dass ich freiwillig mit ihm zurückkehre. Wahrscheinlich hatte er mit einem grossen Streit gerechnet.

„Komm, lass uns von diesem elenden Ort verschwinden", er griff nach meiner Hand und zusammen stiegen wir die Treppe hinunter.

Die Kneipe war dunkel und verlassen, was für diese Uhrzeit nicht ungewöhnlich war. Es war noch nicht einmal sieben Uhr morgens.

Sam liess mich nicht lange innehalten sondern zog mich zur Tür hinaus. Ein eiskalter Schauer peitschte mir entgegen. Draussen schneite es, ich schlang Sams Mantel enger um mich. Den hatte ich mir irgendwann mitten in der Nacht umgelegt, als mir kalt geworden war.

Endlich verlangsamte Sam seine Schritte und musterte mich skeptisch. Noch immer trug ich meine hochhackigen Hochzeitsschuhe. Inzwischen fragte ich mich, wie ich es am Abend zuvor fertig gebracht hatte, mit diesen Schuhen so weit zu laufen. Als würde ich auf Eiern laufen, folgte ich Sam die Gasse entlang und wäre ein paarmal beinahe ausgerutscht und gestürzt. Kopfschüttelnd beobachtete Sam mich. Er schien sich zu amüsieren oder sollte dies die Rache für meine Flucht sein? Mich mit diesen unbequemen Schuhen durch die Gegend zu scheuchen?

Als wir schliesslich die Hauptstrasse erreicht hatten, meinte er, „Ich rufe uns ein Taxi. Ansonsten sind wir vor Einbruch der Nacht nicht zu Hause."

Er nahm ein Mobiltelefon hervor, welches nur die reichsten und wichtigsten Leute der Stadt besassen und tippte eine Nummer ein. Bereits Minuten später bog ein schwarzes Taxi um die Ecke und brachte uns zurück zu Sams Appartement. Während wir im Aufzug standen, schwiegen wir einander an. Mir wurde klar, dass Sam noch längst nicht alles zum gestrigen Abend gesagt hatte. Ich spürte, wie ihm etwas auf der Zunge lag, wagte es aber nicht, ihn darauf anzusprechen.

Im Appartement angekommen, zog ich als erstes meine unbequemen Schuhe aus und hängte den Mantel zurück an die Garderobe. Ich lief den hell erleuchteten Flur entlang und kam ins Wohnzimmer. Doch bevor ich mich auf nur kurz umsehen konnte, stellte Sam mich bereits zur Rede.

„Was sollte das?", fragte er mich. Er wirkte ein wenig gereizt, „Was hast du dir dabei gedacht?"

Ich stand da und atmete tief durch. Eigentlich hatte ich mir gar nichts dabei gedacht. Es war eine Kurzschlussreaktion gewesen, da ich vor Sam fliehen wollte.

„Hast du eine Ahnung, was dir alles hätte zustossen können? Spätabends sollte keine Frau alleine draussen um die Häuser ziehen. Vor allem du nicht, es sei denn du bist lebensmüde", Sam schaute mich finster an, „Ganz zu schweigen davon, was jetzt alle von mir denken."

Ich sah ihn verständnislos an, woraufhin er mir erklärte, „Denkst du, keiner hat dich auf der Strasse erkannt? Weshalb glaubst du, dass ich wusste, in welcher Kneipe du dich aufhältst? Es wird sich schnell herum sprechen, dass du kurz nach der Hochzeitsfeier abgehauen und alleine durch die Stadt geirrt bist."

Jetzt war ich diejenige, die ihn wütend anfuhr, „Ich habe dich niemals darum gebeten, mich zu heiraten!"

„Nein hast du nicht", bestätigte Sam, seine Stimme klang angespannt, „Trotzdem solltest du das eine oder andere mal befolgen, was ich dir sage. Jedenfalls wenn dir dein Leben etwas wert ist."

Mit diesen Worten wandte er sich von mir ab, lief den Flur entlang und griff nach seiner Jacke, „Ich muss zur Arbeit. Wenn du nochmals abhauen möchtest, dann geh. Aber denke nicht, dass ich dir nochmals hinterher springe. Falls du es dir anders überlegt hast, bleib im Appartement und mach es dir hier gemütlich."

Mit diesen Worten verabschiedete sich Sam und verliess das Appartement.

Unentschlossen blieb ich im Wohnzimmer stehen. Endlich hatte ich die Gelegenheit mich ein bisschen umzuschauen. Die eine Wand bestand aus einer Fensterfront, durch die man einen grossen Teil der Stadt sehen konnte. Hinter dieser Fensterfront befand sich ein geräumiger Balkon, der vom darüber liegenden Balkon überdeckt wurde und deshalb vom Schnee geschützt war.

Ich wandte mich vom Fenster ab und schaute mich im Raum selbst um. Ein Sofa aus weissem Leder und dunklen Polstern stand mitten im Raum und davor ein Fernseher, der an der Wand hing. Es gab nicht viele Leute in der Stadt, die sich einen Fernseher leisten konnten. Mir war zwar durchaus bewusst, dass Sam nicht arm sein würde, aber sein Reichtum überwältigte mich trotzdem. Des Weiteren stand ein hohes Bücherregal an der rechten Wand und eine kleine Palme daneben lockerte das Ganze ein wenig auf. Wenn man vom Flur nach links abbog, kam man ins Esszimmer, in dem sich gerade mal ein Tisch und Stühle befanden. Links vom Esszimmer war die Küche, die mit relativ modernen Geräten ausgestattet war. Wenn ich daran dachte, dass wir auf dem Schiff noch mit Gas gekocht hatten, war der Elektroherd hier geradezu Luxus. Ich ging zurück in den Wohnraum und entdeckte an der rechten Wand eine Tür, die wohl in Sams Schlafzimmer führte. Daneben war die Tür ins Bad, der ich ebenfalls keine weitere Beachtung schenkte. Stattdessen setzte ich mich aufs Sofa und hing meinen Gedanken nach.

Ich könnte von hier verschwinden. Sam liess mir diese Option offen. Er zwang mich nicht, hier zu bleiben. Doch was würde ich dann tun? Hatte ich irgendeine Perspektive da draussen? Jetzt da Sam mich geheiratet hatte, wäre es beinahe unmöglich einen anderen Mann zu finden, der mit mir zusammen leben wollte. Und alleine? Ich hatte keinen Job, mit dem ich mich über Wasser halten konnte. Mit den Aushilfsjobs, die ich bisher immer angenommen hatte, würde ich wohl kaum über die Runden kommen. Vor allem jetzt nicht, da Kian weg und ich volljährig war. Vom Staat konnte ich kein Geld mehr erwarten. Was gäbe es dann für Optionen? Finja hatte ihre Familie, die ihr eine Ausbildung ermöglichen würde. Kian musste in den Wehrdienst, dort wurde für ihn gesorgt. Sobald er damit fertig wäre, hätte er kein Problem mehr, Arbeit zu finden. Doch was sollte ich machen? Unsere Eltern waren längst tot und es gab keine Verwandte, die freiwillig Geld für mich in die Hand genommen hätten. Die einzigen beiden Möglichkeiten, die mir blieben waren, dass ich mir einen Mann suchte und der hatte jetzt allem Anschein nach mich gesucht oder ich verkaufte mich, um an Geld zu kommen. Beide dieser Optionen widerstrebten mir. Ich wollte nicht mit einem Mann zusammen leben, den ich nicht liebte. Doch wie es schien, gab es ausser Sam keine halbwegs akzeptable Lösung. Das Beste was ich tun konnte war hier zu bleiben und abzuwarten. Vielleicht liebte ich Sam nicht, doch mir hätte es durchaus schlechter ergehen können, wenn ich an den Kneipenbesitzer dachte.

Eissplitter - Kalt wie SchneeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt