xXx Kapitel 8 xXx

204 19 4
                                    


Die Tage zogen dahin. Das Leben im Appartement war alles andere als abwechslungsreich. Ich schaute fern, hielt die Wohnung sauber, las Bücher und doch konnten mich all diese Dinge nicht den ganzen Tag beschäftigen. Sam war dies auch aufgefallen, weshalb er eines Morgens zu mir sagte, dass er eine Arbeit für mich gefunden hätte.

Überrascht schaute ich ihn an.

„Magst du Hunde?", fragte er mich. Sein hellbraunes Haar wirkte zerzaust. Scheinbar hatte er sich an diesem Morgen nicht die Mühe gemacht, es zu zähmen.

Ich legte meine Stirn in Falten und dachte an die Hunde der Wachmänner, die nachts durch die Stadt patrouillierten. Meist waren es belgische Schäferhunde oder Rottweiler, die dazu abgerichtet waren jeden zu zerfleischen, der ihrem Herrchen zu nahe kam.

Sam schüttelte den Kopf, er schien an meinem Gesichtsausdruck abzulesen, woran ich dachte.

„Nein, nicht diese Hunde. Glaub mir, die von denen ich spreche, werden dir gefallen."

Neugierig folgte ich Sam aus der Wohnung. Ich wusste nicht, ob aus Neugier oder aus Freude, endlich diese Wohnung verlassen zu dürfen.

Er führte mich hinüber zum Fahrstuhl und wir fuhren ein paar Stockwerke in die Tiefe. Nachdem wir den Fahrstuhl verlassen hatten, gelangten wir zu einem Durchgang, der ins nächste Gebäude führte. Die Wände des Durchgangs waren aus Glas, weshalb ich auf die verschneite Strasse hinunter blicken konnte, die unter dem Verbindungsgang hindurchführte. Mir wurde klar, dass all diese wichtigen Gebäude durch Gänge miteinander verbunden waren, seien es nun Durchgänge wie dieser oder ein unterirdisches Gangsystem. Ich wusste nicht, wie weit wir gelaufen waren. Inzwischen hatten wir zwei weitere Gebäude durchquert und befanden uns am Rande eines grossen Parks, der wie alles in der Stadt von einer hohen Schicht Schnee bedeckt war.

Sam führte mich eine Treppe hinunter, so dass wir uns nun auf der Höhe des Parks befanden. Er lief einen weiteren Flur entlang und blieb vor einer weissen Tür stehen. In seiner Jackentasche kramte er nach einem Schlüssel und schloss die Tür auf. Kaum war die Tür offen, wurden wir mit lautem Gebell begrüsst. Ich machte instinktiv einen Schritt zurück und warf Sam einen ängstlichen Blick zu. Ich mochte diese Biester nicht und ich konnte mir nicht vorstellen, dass irgendein Hund anders sein konnte.

„Komm schon", Sam streckte seine Hand nach mir aus und zog mich durch die Tür hindurch in einen breiten Flur. Hinter uns fiel die Tür ins Schloss.

An den Seiten dieses Flurs befanden sich lauter Türen. In der oberen Hälfte der Tür befand sich ein kleines rechteckiges Fenster, das mit Gitterstäben versehen war. Ich hörte ein Rumpeln und schon starrten mich zu meiner linken zwei hellblaue Augen durch die Gitterstäbe an. Sie waren gross und rund, machten alles andere als einen bösen Eindruck. Ich machte einen Schritt auf das Gitter zu und konnte den Kopf eines zierlichen Hundes ausmachen. Sam hatte Recht, dieses Geschöpf, das mich durch das Gitterfenster anstarrte, konnte nicht böse sein.

„Glaubst du mir jetzt? Nicht jeder Hund ist aggressiv", Sam grinste spöttisch, während ich noch immer den Hund anstarrte.

„Was ist das für ein Hund und wozu werden die gebraucht?", ich konnte mir nicht vorstellen, dass sie Hunde zum knuddeln züchteten. Irgendeinen Zweck mussten diese Hunde haben.

„Das sind Huskys. Sie wurden dazu gezüchtet, dass sie eisigen Temperaturen trotzen und lange Distanzen zurücklegen. Es sind sehr zähe Hunde, auch wenn man es ihnen auf den ersten Blick nicht anmerkt. Sie sind näher mit den Wölfen verwandt als die meisten anderen Rassen."

In der Tat konnte man im Gesicht des Hundes ganz entfernt einen Wolf erkennen. Ich wusste, dass es ausserhalb der Stadt Wölfe gab und hatte bereits Bilder von ihnen gesehen. Einen echten hatte ich jedoch noch nie zu Gesicht bekommen.

„Diese Hunde kommen zum Einsatz, wenn selbst Schneemobile nicht mehr ausreichen. Man nennt sie auch Schlittenhunde, sie sind darauf trainiert im Gespann einen Schlitten zu ziehen und die Kommandos ihres Mushers zu befolgen", erklärte mir Sam, ihn schienen diese Hunde zu beeindrucken.

Er kam zur Tür, zog einen Riegel beiseite und öffnete sie. Der Hund kam geradewegs auf mich zugeeilt. Reflexartig machte ich einen Schritt zurück, blieb dann aber stehen und streckte dem Hund meine Hand entgegen. Interessiert schnupperte er daran und schmiegte sich dann an mein Bein.

„Wie bist du auf die Hunde gekommen?", fragte ich neugierig, „Ich meine du bist wohl kaum für sie verantwortlich."

„Nein, bin ich nicht", bestätigte Sam, „Aber ich habe mitbekommen, dass sie einen neuen Pfleger brachen und dachte mir diese Arbeit könnte dir gefallen. Normalerweise ist Bastian für die Huskys zuständig. Er ist heute aber nicht anwesend, also habe ich mich dazu bereit erklärt, dir eine kleine Einführung zu geben. Ab morgen wird dir Bastian genau erklären, was deine Aufgaben sind, wie die Hunde heissen und noch vieles mehr."

Sam griff nach dem Halsband des Hundes und bugsierte ihn zurück in seinen Zwinger. Er führte mich ans Ende des Flures und blieb vor der letzten Tür auf der rechten Seite stehen.

„Der gefällt mir am besten", ich trat neben Sam und entdeckte ein Namensschild an der Tür, auf dem Shadow stand. Erst jetzt fiel mir auf, dass an jeder Tür ein solches Schild hing.

Sam öffnete die Tür und ein Hund mit der Färbung eines Wolfes sprang heraus. Ich war mir ziemlich sicher, dass dies der grösste und kräftigste Hund von allen war. Das passte zu Sam, gross und kräftig.

Der nächste Tag brach an und ich lernte Bastian kenne. Bastian war ein kräftig wirkender junger Mann, mit dunkelbraunem Haar. Er passte von seinem Aussehen genauso wenig in diese Stadt wie ich. Vielleicht war dies die Tatsache, die ihn mir von Anfang an sympathisch erscheinen liess.

Mich überraschte es, dass er für die Arbeit mit den Hunden eingeteilt wurde. Seiner Grösse und seinem Körperbau nach zu urteilen hätte er einen guten Wachsoldaten abgegeben.

Als Erstes zeigte er mir, welcher Hund wie viel Fressen bekam, wie man die Zwinger säuberte und wo das Aussengehege der Hunde war, in dem sie tagsüber herumtollen durften. Während unserer Arbeit erzählte er mir viele Geschichten, die er zusammen mit den Hunden draussen in der eiskalten Einöde erlebt hatte. Einmal musste er ein Paket in einer kleinen Siedlung weit abseits der Stadt abzuliefern. Bei minus vierzig Grad klang es alles andere als gemütlich. Er erzählte von Wölfen und Bären, die seinen Hunden und ihm auf der Spur waren. Die im ewigen Eis nach etwas essbarem suchten, um nicht zu verhungern. Es schien auch diverse Pannen zu geben. Zum Beispiel als sie beim Überqueren eines zugefrorenen Flusses einbrachen und Bastian beinahe erfroren wäre. Er erzählte von den vielen einsamen Nächten, alleine in einem Zelt weit entfernt von jeglicher Zivilisation. Von Nächten unter freiem Himmel, in denen man das Nordlicht ohne den nebelartigen Schleier sah.

Ich wusste nicht, ob ich ihm all dies glauben sollte. Wenn nur die Hälfte der Wahrheit entsprach, wusste ich jetzt, wieso gerade er für diese Aufgabe ausgesucht wurde. Um mit dem Hundeschlitten draussen in der Wildnis zu überleben, musste man stark und zäh sein.

Als er mir die Kammer mit den Hundegeschirren und den Schlitten zeigte, erklärte er mir, dass er seit Jahren mit Sam befreundet sei. Sie hätten zusammen den Wehrdienst absolviert, sich danach aber aus den Augen verloren. Erst vor wenigen Wochen hätten sie sich wieder getroffen, als Sam hier auftauchte, um mit ihm zu plaudern.

Als sich der Nachmittag dem Ende neigte, holten wir die Hunde zurück in die Zwinger. Bei der letzten Hündin setzte ich mich auf den Boden und strich sanft über ihr weiches Fell. Ihre Wärme gab mir Kraft und Geborgenheit, was ich seit einer gefühlten Ewigkeit nicht mehr empfunden hatte. Sie schaute mich treuherzig mit ihren dunklen Augen an. Ihrer Statur nach zu urteilen machte sie nicht den Eindruck, als würde sie einen Schlitten ziehen. Nur die braune Zeichnung liess sie ein klein wenig an eine Wölfin erinnern. Doch Bastian hatte mir erzählt, dass sie eine Kämpferin sei und trotz ihrer anfänglichen Scheu würde sie einem schnell ins Herz schliessen.

Tief in meinem Inneren fühlte ich, dass uns mehr verband als nur meine Hand, die über ihr Fell strich. Dies erstaunte mich, da ich tags zuvor niemals damit gerechnet hätte, jemals einen Hund in meinen Armen zu halten und ihn zu mögen.

Als ich aus dem Zwinger kam, schaute ich auf das Namensschild, auf dem der Name Tikaani stand.

Eissplitter - Kalt wie SchneeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt