xXx Kapitel 3 xXx

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Fest krallten sich Mailins Finger in meinen Oberarm. Ich war mir sicher, dass rote Striemen zurückbleiben würden.

„Komm", ihr ernster Blick traf meinen, „Ich bring dich zum Altar, selbst wenn ich dich auf dem Boden nach vorne ziehen muss. Glaub mir, es macht einen weitaus besseren Eindruck, wenn du dich endlich geschlagen gibst und dich benimmst."

Was hatte ich schon zu verlieren? Finja war eine der wenigen Leute, die sich in diesem Raum befanden, die mich wirklich kannte. Bei allen andern war es mir ziemlich egal, was sie von mir hielten. Dennoch lief ich brav neben Mailin her und ehe ich mich versah, stand ich vor dem Altar. Mailin hatte sich auf ihren Platz in der ersten Sitzreihe gesetzt. An ihrer Stelle stand nun Sam neben mir.

Mir fiel auf, dass er ziemlich mürrisch wirkte. Jedenfalls machte er genauso wenig wie ich den Eindruck, dass dies der schönste Tag seines Lebens war. Er bemerkte meinen Blick und erwiderte ihn ohne auch nur dem Anflug eines Lächelns. Bisher hatte mein Unterbewusstsein vielleicht geglaubt, Sam könnte sich aus unerklärlichen Gründen unsterblich in mich verliebt haben. Seinem Gesichtsausdruck nach zu urteilen empfand er im Moment nicht besonders viel Liebe für mich.

Endlich nach einer gefühlten Ewigkeit versuchte er sich doch noch an einem Lächeln, bevor wir unsere Aufmerksamkeit dem Priester hinter dem Altar widmeten.

Die nächste halbe Stunde war die längste meines Lebens. Noch immer hatte ich nicht wirklich realisiert was geschah. Geistesabwesend gab ich Sam das Ja-Wort und war froh, als ich den Saal endlich fluchtartig verlassen durfte. Leider war dies erst der Beginn der Feierlichkeiten. Draussen vor dem Saal holte Sam mich endlich ein und ermahnte mich, ich solle wenigstens so tun, als würde es mir Spass machen. Ich wollte ihn zur Rede stellen, fand den Ort aber alles andere als geeignet. Nicht zuletzt deshalb, weil die Gäste bereits aus dem Saal strömten.

Finja war die erste, die mich erreichte.

„Falls es irgendein Problem gibt, du weisst wo du mich findest. Ich bin immer für dich da, egal was passiert", dies waren die letzten Worte, die ich von Finja vernahm, bevor Mailin mich am Arm packte und einen langen Flur entlang zerrte. Die offizielle Feier war zu Ende. Für den Rest der Feier schien Finja, meine beste Freundin, zu wenig wichtig um eingeladen zu sein.

In einem festlich geschmückten Saal, der noch grösser war als der Trausaal, lockerte Mailin endlich ihren Griff. Ich schaute mich um. Säulen aus Marmor stützten die hohe Decke. Lange Tische bedeckt mit strahlend weissen Tischtüchern erstreckten sich durch den ganzen Saal. Beim Eingang, also da wo ich gerade stand, befand sich eine grosse leere Fläche. Wahrscheinlich die Tanzfläche. Dabei konnte ich gar nicht tanzen. Ob Sam das wusste? Vielleicht hätte er die Hochzeit verschieben und vorher ein paar Tanzstunden mit mir nehmen sollen. Jetzt würde ich ihn spätestens beim Hochzeitstanz blamieren.

Ein Arm legte sich um meine Schulter. Beinahe wäre ich zusammen gezuckt, bis mir klar wurde, dass es sich um Sam handelte. So nahe war er mir nicht gekommen, seit ich erfahren hatte, dass er mich heiraten würde.

„Lächle", flüsterte er mir leise ins Ohr. Er wirkte im Gegensatz zu vorhin viel entspannter. Vielleicht hatte er nicht damit gerechnet, dass ich ihm das Ja-Wort geben würde oder glaubte ich würde mich nicht kampflos geschlagen geben.

„Es sind wichtige Leute aus der Regierung und dem Verteidigungsministerium hier. Du solltest wenigstens versuchen einen guten Eindruck zu hinterlassen", Sam nahm seinen Arm von meiner Schulter, als Mailin bereits wieder auf uns zueilte.

„Du machst es dir nicht gerade leicht", tadelte sie ihren Bruder, „Warum ausgerechnet Mara?"

Es war der falsche Moment, um darüber zu diskutieren und das machte Sam seiner Schwester mit einem genervten Blick eindeutig klar. Stattdessen kamen die ersten Gäste zu uns, um uns zu gratulieren. Ich wusste nicht warum, doch ich nahm mir Sams Rat zu Herzen und versuchte zu Lächeln. Mein neuer Plan war es, diesen schrecklichen Tag hinter mich zu bringen und alles weitere auf mich zukommen zu lassen. Wenn es sein müsste, wäre es bestimmt nicht unmöglich zu fliehen. Aber vielleicht irrte ich mich in Sam und er war gar nicht so übel oder er meinte es tatsächlich nur gut mit mir... Vielleicht aber auch nicht...

Der Nachmittag zog sich unendlich in die Länge und der Abend war alles andere als entspannt. Ich hatte viel zu viel gegessen, mein Hochzeitskleid fühlte sich an, als würde es jeden Moment aus allen Nähten platzen.

Immerhin beim Tanzen hatte ich mich gar nicht so schlecht angestellt. Ich machte zwar alles andere als eine elegante Figur auf der Tanzfläche, doch immerhin hatte ich uns nicht vollständig blamiert.

Die meiste Zeit hatte ich schweigend neben Sam gesessen und den Unterhaltungen gelauscht, die er mit seinen Bekannten führte. Mir war aufgefallen, dass Sam ziemlich beliebt zu sein schien. Sei es bei seinen Vorgesetzten, bei irgendwelchen Regierungsmitgliedern oder sogar beim König höchstpersönlich. Dessen blosse Anwesenheit grenzte an einem Wunder.

Irgendetwas hatte Sam richtig gemacht. Der Preis, den er dafür bezahlte, erschien mir aber ziemlich hoch. Er musste seine Familie, in Sams Fall war dies nur Mailin und all seine Freunde für lange Zeit verlassen. Obwohl Mailin ihren Bruder mochte und immer so tat, als sei alles in Ordnung, schien ihre Welt doch nicht ganz so heil zu sein. Denn selbst Mailin war es klar, dass es auch für sie niemals mehr so werden würde, wie es früher einmal war.

Endlich war die Feier vorüber. Ich befand mich zusammen mit Sam in Aufzug. Es war ein grosser, heller Aufzug mit einem grossen Spiegel an der Wand gegenüber der Aufzugstür. Ich sah schrecklich aus, stellte ich in dem Moment fest, als ich mein Spiegelbild betrachtete. Meine Haare waren zerzaust, allem Anschein nach sah mein Äusseres genauso kaputt aus, wie ich mich fühlte. In der vergangenen Nacht hatte ich kein Auge zu getan und daher war ich todmüde.

Sam wirkte ähnlich erschöpft. War es für ihn genauso anstrengend gewesen wie für mich, das verliebte Paar zu spielen?

Der Aufzug blieb stehen. Wir verliessen den Aufzug und Sam führte mich einen Flur entlang der zu seinem Appartement führte. Wir befanden und in einem der wenigen Hochhäuser der Stadt und ich war mir sicher, dass wir von hier oben eine wunderbare Aussicht über die Stadt hatten.

Sam schloss die Tür auf und ich folgte ihm in seine Wohnung. Im Flur blieb er stehen und schaute mich vielsagend an. Hatte er mehr Interesse an mir, als ich in den letzten Stunden geglaubt hatte?

„Wir haben gerade geheiratet", meinte er, während sein Blick mich fixierte. Mir fielen seine grünen Augen auf, die geradezu leuchteten.

Er machte einen Schritt auf mich zu, „Jetzt wäre es eigentlich an der Zeit für unsere Hochzeitsnacht."

Ich starrte ihn verblüfft an und wich zur Seite. Daran hatte ich in der ganzen Eile gar nicht gedacht. Panisch schüttelte ich den Kopf. Alles in mir sträubte sich dagegen mit diesem Typen ins Bett zu gehen. Kurzentschlossen machte ich kehrt und eilte zurück zur Tür. Stillschweigend hatte ich die ganze Prozedur über mich ergehen lassen, aber jetzt war es zu viel für mich. Ich wollte einfach nur von hier verschwinden. Deshalb packte ich mir den nächstbesten Mantel der an der Garderobe hing, wahrscheinlich gehörte er Sam und stürmte aus der Wohnung. Ich vernahm Sams Stimme, er rief nach mir. Irgendetwas von wegen er hätte es nicht so gemeint. Da hatte ich bereits den Aufzug erreicht und dachte nicht im Entferntesten daran, zu ihm zurück zu kehren. Kurzentschlossen verschwand ich im Aufzug und Sekunden später war ich bereits auf dem Weg nach unten.

Ich verlangsamte meine Schritte erst, als ich hinaus an die eiskalte Luft trat. Schnell warf ich den Mantel um meine Schultern und stellte fest, dass er den grössten Teil meines schneeweissen Kleides verdeckte. Das war gut, denn sonst wäre ich hier draussen aufgefallen wie ein Schaf im Wolfsrudel.

Eissplitter - Kalt wie SchneeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt