xXx Kapitel 16 xXx

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Endlich war Wochenende. Sam, dem aufgefallen war, dass es mir nicht sonderlich gut ging, schlug vor, am Nachmittag einen Spaziergang zu machen. Er führte mich zum höchsten Gebäude der Stadt. In diesem Gebäude war ich bisher noch nie gewesen. Mit dem Aufzug fuhren wir in die oberste Etage. Von hier ging es nochmals eine Treppe hinauf und durch eine Tür hinaus ins Freie. Zwar war der Himmel wie immer bedeckt, doch wenigstens windete oder schneite es nicht.

Hier oben auf dem Dach befand sich ein kleiner Park. Ein ruhiger, schneebedeckter Park, der zum Verweilen einlud, weit über den Dächern der Stadt. Ich lief ans Ende des Daches. Von hier aus konnte ich über die ganze Stadt hinweg blicken. Die Stadt sah so viel grösser und mächtiger aus, als ich sie mir jemals erträumt hätte. All die Häuser erschienen winzig klein, als würden sie von Ameisen bewohnt. Kaum zu glauben, dass ich einst in einem dieser kleinen Ameisenhäuschen gelebt hatte.

„Immer wenn ich ein wenig Ruhe haben möchte, komme ich hier hinauf", erklärte mir Sam, „Ab und zu sind andere Leute hier, die einen Spaziergang machen oder einfach ein wenig frische Luft schnappen wollen. Aber normalerweise hat man hier seine Ruhe. Niemand kommt her, um Krach zu machen."

Er stellte sich neben mich und schien die Aussicht fast genauso sehr zu geniessen wie ich.

Ich hörte das Geräusch einer Tür, die geöffnet wurde und drehte mich neugierig um. Jemand stand im Türrahmen und starrte mich an. Das platinblonde Haar verriet sie auf der Stelle, es war Helena.

Meine gute Laune war wie weggeblasen. Zu meinem Glück schien es Helena nicht besser zu ergehen. Sie war nicht alleine, in ihrer Hand hielt sie eine Leine, an dessen Ende sich ein grosser, weisser Hund mit langem, kuschelig und vor allem weich aussehendem Fell befand. Er schaute mich an, öffnete den Mund und hechelte laut.

Genervt zog Helena an der Leine. Ihr Hund schien Fremden gegenüber sehr offen zu sein und wusste noch nicht, dass ich zu Helenas grössten Feinden gehörte.

Sam seufzte neben mir auf, er schien zu ahnen was jetzt kam. Doch ehe Helena die Tür hinter sich gelassen hatte, ertönte ein lauter Knall. Blitzschnell hatte sich Sam umgedreht und starrte hinüber zu einem anderen Gebäude, aus dem dicke Rauchschwaden aufstiegen. Helena liess ihren Hund los und stürmte neben Sam ans Geländer.

„Was ist passiert?", fragte sie ihn panisch.

Sam schüttelte den Kopf, „Keine Ahnung..."

Sam wirkte nervös, während er in die Ferne starrte. Helenas Gesicht hatte eine noch blassere Farbe angenommen, als es ohne hin schon hatte.

„Ist das nicht das Hochhaus in dem...", Sam nickte, ich brauchte meinen Satz nicht zu Ende zu sagen. Es war das Hochhaus, in dem die Königsfamilie lebte.

„Mara, hör zu", Sam kam auf mich zu und legte seine rechte Hand auf meine Schulter, „Du musst zusammen mit Helena von hier verschwinden."

„Was?", die Verblüffung stand mir ins Gesicht geschrieben. Was glaubte Sam? Dass Helena freiwillig mit mir von hier verschwand? Eher würde sie mich eigenhändig umbringen.

„Ihr müsst von hier verschwinden, alle beide. Zusammen habt ihr eine bessere Chance hier raus zu kommen als alleine. Ich möchte, dass du sie zum alten Güterbahnhof bringst. Dort werde ich wieder zu euch stossen, sobald ich weiss, was hier abläuft", Sam schien die Vorstellung, uns alleine losziehen zu lassen nicht zu behagen. Wie es schien war dies aber die einzige vernünftige Möglichkeit.

Ich wusste, wo sich der Güterbahnhof befand. Alle ärmeren Leute wussten dies. In der Nähe des Bahnhofes gab es einen Markt, auf dem man billiges Gemüse und ganz viele andere nützliche Dinge auftreiben konnte. Helena dürfte kaum wissen, wo dieser Bahnhof lag. Schliesslich war sie in einer geschützten Umgebung aufgewachsen. Da erlaubte man es ihr kaum, sich unters gemeine Fussvolk zu mischen.

Ich starrte Sam verdutzt an. Ich sollte Helena in Sicherheit bringen, ausgerechnet ich. Dabei hatte ich selbst keine Ahnung, wie wir von hier verschwinden sollten. Ganz zu schweigen davon, dass Helena wohl kaum das machen würde, was ich von ihr verlangte.

„Bitte Mara", Sams flehender Blick machte mir den Ernst der Lage bewusst, „Helena kennt sich bestens im Regierungsareal aus und du weisst, wie man sich durch die schäbigeren Gassen der Stadt durchschlägt. Nur zusammen könnt ihr es schaffen."

Seine Argumente waren gut. Tatsächlich hätte ich mich in all den Gängen, die von einem Hochhaus zum nächsten führten wahrscheinlich hoffnungslos verirrt.

„Na gut, ich werde mit Helena von hier verschwinden", versprach ich ihm.

Sam drückte mich für den Bruchteil einer Sekunde an sich. Ob er sich darüber freute, dass ich auf seine Bitte eingegangen war oder ob ihm tatsächlich etwas an mir lag, wusste ich nicht. Es war auch nicht die Zeit, dieses Thema genauer unter die Lupe zu nehmen. Bereits hatte Sam sich Helena zugewandt und schien ihr ähnliches zu erzählen.

„Du gehst mit Mara", machte er ihr unmissverständlich klar, während sie versuchte zu widersprechen, „Ihr bringt euch in Sicherheit, während ich deinen Vater suche."

Helena wirkte noch perplexer als ich.

„Warum ausgerechnet mit Mara?", sie schaute Sam wütend an.

„Siehst du hier irgendwo eine andere Menschenseele, die mit dir fliehen könnte? Glaubt mir, ich würde euch nicht zusammen los schicken, wenn ich einen besseren Plan hätte", Sams Worte waren eindeutig und Helena schien zu begreifen, dass sie keine andere Wahl hatte. Das einzige was sie jetzt noch tun konnte war, mein Leben zur Hölle zu machen, bis wir endlich diesen verflixten Bahnhof erreichten.

Eissplitter - Kalt wie SchneeWhere stories live. Discover now