xXx Kapitel 31 xXx

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Ich trieb im eiskalten Wasser und hatte die Hoffnung längst aufgegeben. Das Jaulen der Hunde war verstummt. Wahrscheinlich hatten auch sie längst eingesehen, dass man seinem Schicksal nicht entkommen konnte. Wenn es uns vorherbestimmt war, heute in dieser verzwickten Lage zu sterben, dann war es nun mal so.

Ich wusste nicht, ob dies meine klaren Gedanken waren – immerhin war ich gerade dabei zu erfrieren. Jedenfalls schweiften meine Gedanken ab zum Schneeleoparden. Er hatte mich hereingelegt, mich absichtlich in eine Falle geführt. Nun musste ich für die Konsequenzen für meine Dummheit gerade stehen. Wir würden alle sterben, hätte ich bloss nicht auf ihn gehört.

Meine Gedanken brachen ab, gellende Leere umgab mich. Noch nie in meinem Leben war ich dem Tode so nahe, wie in diesem Moment. Ich glaubte Stimmen zu hören, die aus diesem Nichts erklangen – besorgte Stimmen. Würde jetzt mein ganzes Leben an mit vorbei ziehen? War ich so kurz davor zu sterben?

Ich schlug meine Augen auf. Mein erster Gedanke war, dass ich nicht Tod sein konnte. Dazu fühlte ich mich viel zu schlecht.

Der Geruch von Rauch lag in der Luft und eine angenehme Wärme umgab mich. Ich lag in eine Decke eingekuschelt auf einem weichen Fell. Neben mir in der Mitte des Zeltes brannte ein Feuer. Über dem Feuer befand sich ein grosses Loch im Zelt, durch das der Rauch entweichen konnte.

Vorsichtig befreite ich mich aus der Decke und stellte fest, dass ich nur in Unterwäsche gekleidet da lag. Schnell schlang ich die Decke wieder um meinen blossen Körper. Wahrscheinlich würde genau in dem Moment, wenn ich halbnackt durchs Zelt taumelte jemand rein kommen. Ich entdeckte meine Kleider, sie hingen an einer Schnur, die nahe dem Feuer quer durch das Zelt gespannt war. Augenblicklich erinnerte ich mich wieder daran, was geschehen war. An das brechende Eis und das kalte Wasser.

Jemand hatte mich gerettet, ich war nicht tot. Dieser Gedanke schoss durch meinen Kopf und ich brauchte einen Moment, bis ich mir im Klaren darüber war, was dies bedeutete.

Natürlich hatten sie mich ausgezogen. Ich musste so schnell wie möglich aus den mit Wasser vollgesogenen Klamotten raus, um nicht zu erfrieren. Doch wer hatte mich gerettet und wo waren die Hunde?

Um diese Fragen zu klären müsste ich das Zelt verlassen und dazu musste ich mich erst anziehen. Mit der Decke um meinen Körper geschlungen hüpfte ich also quer durchs Zelt und versuchte dabei nicht zu nahe ans Feuer zu kommen. Ich konnte gut darauf verzichten nach dem beinahe Erfrier Tod doch noch zu verbrennen.

Ich tastete nach meinen Kleidern und stellte zufrieden fest, dass sie bereits trocken waren. Wie lange war ich nicht bei Bewusstsein gewesen? Schnell zog ich sie von der Schnur herunter und schlüpfte in die angenehm warme Hose. Zwar würde ich stinken wie geräucherter Lachs, doch hier draussen dürfte dies niemanden interessieren. Kaum war ich angezogen, verliess ich das Zelt.

Der Morgen war angebrochen, die ersten Sonnenstrahlen beleuchteten den grossen Platz, auf dem mehrere Zelte aufgestellt waren. Ich suchte nach den Hunden und entdeckte sie etwas abseits der Zelte. Alle sechs schienen wohlauf zu sein, ein grosser Stein fiel mir vom Herzen. Es war das eine, wenn ich für meine Dummheit büssen musste, aber etwas anderes, wenn sie meinetwegen leiden mussten.

Ich hörte Schritte und entdeckte einen Mann, der gemächlich auf mich zukam.

„Alles in Ordnung?", fragte er, seine Miene wirkte besorgt.

Ich nickte, da meine Stimme versagte.

„Wir wussten nicht, wie lange du dort gelegen hast. Es hätte sein können, dass die Erfrierungen zu weit fortgeschritten waren und wir dich nicht hätten retten können", er musterte mich mit kritischem Blick, „Aber ich denke, du siehst ganz passabel aus, für das was dir zugestossen ist."

Passabel? Was sollte das jetzt wieder heissen? Zugegeben, ich fühlte mich alles andere als gut, aber wenigstens nicht mehr nahe dem Tode.

„Ich bin Nils, einer deiner Lebensretter", mit einem spöttischen Lächeln im Gesicht reichte er mir seine Hand.

„Ich bin...", er liess mich nicht aussprechen.

„Du bist Mara."

Mit grossen Augen starrte ich ihn an. Woher kannte er meinen Namen? Konnte es sein...

War Helena oder Sam hier? Bevor ich dem jungen Mann auch nur eine Frage stellen konnte, meinte er, „Warte hier auf mich."

Nils schien es zu geniessen, mich auf die Folter zu spannen. Im Allgemeinen schien er sehr zum Scherzen aufgelegt zu sein. Dummerweise war mir im Moment überhaupt nicht zum Lachen zumute. Ich wollte wissen was Sache war und ob ich mir Sorgen um Sam oder Helena machen musste.

Nils lief zu einem der Zelte und schien sich mit jemanden zu unterhalten. Nur Sekunden später kam er wieder hinaus. Ich wusste nicht, was er geglaubt hatte, dass ich mich in den wenigen Sekunden, die er weg war in Luft auflösen würde?

Eine weitere Person kam aus dem Zelt. Überrascht starrte ich ihn an. Ich hatte umsonst gehofft, denn es war weder Sam noch Helena. Dafür kam jemand auf mich zu, mit dem ich hier draussen niemals gerechnet hätte. Meine Lippen formten seinen Namen, während er mich prüfend musterte, als wollte er sicher gehen, dass mir nichts fehlte.

„Kian!", rief ich, als meine Stimme endlich wieder funktionierte.

„Mara...", Kian kam auf mich zugeeilt und schloss mich in seine Arme. In seinem Gesicht stand immer noch die Angst geschrieben, die Angst, die ihn seit meiner Rettung nicht zur Ruhe kommen liess.

„Ich hatte Angst dich zu verlieren", er liess mich wieder los, nur um sich nochmals zu vergewissern, dass mit mir alles in Ordnung war.

„Was machst du überhaupt hier draussen?", fragte er mich neugierig.

„Dasselbe könnte ich dich fragen, ich dachte...", er unterbrach mich, „Ja, ich bin im Wehrdienst. Wir wurden in den Aussendienst verlegt, wir sollten die äusseren Bezirke sichern."

„Wo sind wir überhaupt?", fragte ich, als ich mich etwas genauer umsah. Hier in der Umgebung lag deutlich weniger Schnee als in den Gegenden, aus denen ich gekommen war. Teilweise glaubte ich sogar dunkelgrüne Flecken unter der dünnen Schneedecke zu erahnen.

„Wir befinden uns in der Nähe der Grenze", erklärte mir Kian, „Du solltest eigentlich in Nordstadt sein."

Ich winkte ab, „Das ist eine lange Geschichte."

Kian nickte, „Ich habe Sam darum gebeten, dass er auf dich aufpassen soll, solange ich weg bin."

Erst glaube ich, mich verhört zu haben. Hatte Kian gerade Sam erwähnt? Blitzschnell wurde mir so einiges klar.

„Dieser Idiot hätte dich nur beschützen und nicht heiraten gleich sollen!", Wut klang in der Stimme meines Bruders. Natürlich hatte er sich das ganze anders vorgestellt, niemals hätte er zugelassen, dass ich zu einer Hochzeit gezwungen würde.

„Beruhige dich", versuchte ich Kian zu beruhigen, „Sam ist in Ordnung. Vielleicht sah er keine andere Möglichkeit, wie er mich sonst hätte beschützen können."

„Wenn ich ihm jemals über den Weg laufe, muss er sich auf etwas gefasst machen", noch immer brannte Wut in den Augen meines Bruders. Wut, die sich auf Sam bezog, den Menschen, den ich mehr liebte als alles andere auf der Welt. Leider hatte ich dies erst viel zu spät eingesehen.

„Das trifft sich gut, ich bin nämlich auf der Suche nach ihm. Dann kannst du mich begleiten", schlug ich vor. Die Aussicht darauf, nicht mehr alleine durch die kalte Eiswüste zu stapfen, war mehr als verlockend.

„Darauf kannst du Gift nehmen. Ich lasse dich kein weiteres Mal aus den Augen. Scheinbar kommst du ohne mich nicht zurecht", obwohl Kians Stimme hart klag, wusste ich, dass er sich grosse Sorgen um mich machte. Er war mein älterer Bruder, egal wie alt wir wurden, ich würde immer seine kleine Schwester bleiben, die er beschützen wollte.

Eissplitter - Kalt wie SchneeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt