xXx Kapitel 22 xXx

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Ich war vollkommen in meine Gedankenwelt vertieft, als ich merkte, dass jemand direkt neben mir stand. Es war der Metzger. Er wollte anscheinend in das Haus neben dessen Tür ich lehnte. Nachdem er mir einen kurzen Blick zugeworfen hatte, eilte er an mir vorbei. Für den Bruchteil einer Sekunde berührte mich seine Hand am Arm. Obwohl ich in eine dicke Winterjacke gepackt war, reichte die Nähe aus, um seine Gedanken zu sehen. Augenblicklich wurde ich von einer erdrückenden Dunkelheit umgeben, als wäre ich in ein düsteres Loch gefallen. Nur langsam erhellte sich meine Umgebung wieder.

Ich wusste genau was geschehen war. Jeden Augenblick würde ich die Gedanken des Metzgers sehen. Bereits erwartete ich dieselben Gedanken, die ich bereits viel zu oft bei Männern gesehen hatte, doch er überraschte mich. Dieses Mal schienen sie nicht von mir zu handeln.

Ich stand jetzt mitten auf dem Dorfplatz, direkt neben dem Brunnen. Der Boden war schneebedeckt und am Himmel türmten sich Wolken. Es sah aus, als würde es bald schneien. Ich musste mindestens ein Jahr in die Vergangenheit befördert worden sein. Dies erkannte ich daran, dass die Häuser anders aussahen. Die meisten waren noch nicht so stümperhaft zusammengeflickt worden. Im Gegenteil, das Dorf machte einen schönen, altmodischen Eindruck.

Ein eisiger Wind schlug mir ins Gesicht, als eine Gruppe Männer den Dorfplatz betrat. Alle trugen dieselbe Uniform, jene des Königs. Die schwarze Farbe ihrer Kleidung hob sich messerscharf vom weissen Schnee ab. Aus dem Haus, vor dem ich eben noch gestanden hatte, trat ein Mann. Ich glaubte es war der Bürgermeister. Jedenfalls trug er einen dunklen Anzug und auf seiner Nasenspitze prangte eine Lesebrille, die er vergessen hatte abzulegen.

„Was gibt es?", fragte er die Wachmänner des Königs, „Für gewöhnlich verirren sich keine Anhänger des Königs in unser bescheidenes Dorf."

Ich bemerkte eine Gestalt hinter dem Schaufenster der Metzgerei. Es musste der Metzger sein. Er hatte diese Szene miterlebt, schliesslich waren es seine Gedanken, die sich vor meinem inneren Auge abspielten.

Eine Gestalt, genauso schwarz gekleidet wie der Rest, löste sich aus der Menge. Entsetzt starrte ich ihn an. Blutrote Augen schauten in meine Richtung, sie waren auf den Bürgermeister gerichtet. Abgesehen von den Augen, sah diese Gestalt genauso aus wie Sam. Vielleicht waren seine Haare damals etwas kürzer und seine Gesichtszüge jugendlicher, aber es war unverkennbar Sam. Selbstsicher baute er sich vor dem Bürgermeister auf.

„Wir haben die Meldung erhalten, dass sich einige Dorfbewohner abschätzig gegenüber des Königs geäussert haben."

Der Bürgermeister schüttelte kaum merklich den Kopf, während die Tür zur Metzgerei aufschlug und der Metzger nach draussen stürmte. In seiner rechten Hand hielt er eines seiner Fleischmesser fest umklammert.

„Wir unterliegen dem König. Warum sollte sich jemand abschätzig ihm gegenüber äussern?", der Bürgermeister schien Ruhe zu bewahren, „Wir alle wissen, dass wir ohne unseren Handel mit Nordstadt hier draussen nicht überleben könnten."

„Sie wollen mir also weiss machen, dass diese vergifteten Tomaten nicht aus einem der Gewächshäuser ihres Dorfes stammen?", ich glaubte einen Moment zu sehen, wie Sams Augen noch röter aufblitzten.

Ein Mann trat neben den König, während ich bemerkte, wie weitere Dorfbewohner ihre Häuser verliessen oder neugierige Blicke aus den Fenstern warfen.

Der Mann hielt einen Karton in seinen Händen, in dem sich ein Bündel frischer Tomaten befand. Der Bürgermeister musterte die Tomaten interessiert.

„Doch, die scheinen aus unserem Dorf zu stammen. Das Zeichen auf dem Karton ist von unserem Dorf", er legte seine Stirn in Falten, „Aber ich bin mir sicher, dass dies keine Absicht war."

„Von wem stammen diese Tomaten?", fragte der Mann, der den Karton in den Händen hielt.

„Das werde ich Ihnen ganz bestimmt nicht verraten. Solche Dinge möchte ich persönlich mit meinem Volk klären", Nervosität machte sich im Verhalten des Bürgermeisters bemerkbar. Er ballte seine Hände zu Fäusten und versteckte sie in seinen Hosentaschen.

„Entweder Sie sagen uns auf der Stelle, wem dieses Siegel gehört, oder wir fühlen uns gezwungen, Sie für diese Schandtat büssen zu lassen", Sam deutete auf ein Zeichen, das den Karton zierte. Anschliessend nahm er den Bürgermeister ins Visier.

„Das werde ich nicht. Ich liefere keinen meiner Bürger aus!"

Kaum hatte der Bürgermeister zu Ende gesprochen, blitzte etwas Silbernes auf und vergrub sich in seiner Brust. Blut tropfte auf den weissen Schnee und färbte ihn rot. Vom Himmel fielen dicke Schneeflocken, welche den roten Flecken langsam überdeckten. Wutentbrannt stürmte der Metzger mit erhobenem Messer in Sams Richtung. Unbeeindruckt schaute Sam in seine Richtung und hob die linke Hand. In der Rechten hielt er immer noch das blutgetränkte Schwert.

Ehe ich wusste, was geschah, wurde der Metzger von einer Feuerkugel getroffen. Er stürzte zu Boden und verletzte sich mit seinem eigenen Messer an der Stirn. Dann richtete Sam seine Hand gegen die umliegenden Häuser, eines nach dem andern ging in Flammen auf.

Ich befand mich wieder in der Metzgerei. Sam und ich standen dem Metzger gegenüber. Seine Wunde war verheilt, es prangte bloss noch eine grosse Narbe in seinem Gesicht. Als wir gehen wollten, stellte er nochmals eine Frage und Sam drehte sich um.

Es war der Augenblick, in dem sich der Metzger ganz sicher war. Er kannte Sam und jetzt wusste er auch wieder woher.

Erneut wurde alles schwarz und ich stand wieder einsam und verlassen auf dem Dorfplatz. Ich entdeckte den Platz neben dem Brunnen, an dem ich eben noch gestanden hatte. Ich war ein teilnahmsloser Zuschauer gewesen. Es war das erste Mal, dass ich eine Vision hatte, in der ich selbst nicht mitten im Geschehen involviert war.

Eine Frage schoss mir durch den Kopf. Woran hatte der Metzger Sam erkannt? Er trug eine dicke Winterjacke, einen Schal und auf seinem Kopf eine Mütze. Zudem waren Sams Augen alles andere als rot. Die grüne Farbe seiner Augen machte einen geradezu sanftmütigen Eindruck. Dabei wurde etwas tief in meinem Inneren wachgerüttelt. Dieses rot, irgendwoher kannte ich es. Leider wollte mir nicht mehr einfallen, woher es mir so bekannt vorkam. Dies spielte momentan auch gar keine Rolle. Zurück zu der Frage, weshalb der Metzger ihn erkannt hatte.

An Sams Aussehen konnte es nicht liegen... Aber an seiner Stimme, fiel es mir wie Sterne vom Himmel. Er hatte eine Frage gestellt, nicht weil er Interesse an mir hatte, sondern weil es Sams Stimme nochmals hören wollte. Er hatte die Situation damals hautnahe miterlebt. Er würde Sams Stimme niemals vergessen.

Gerade kam Sam aus einem anderen Haus, als ich auf ihn zustürmte.

„Wir müssen von hier verschwinden, sofort!"

Sam legte seine Stirn in Falten, „Warum?"

„Das erkläre ich dir, wenn wir das Dorf verlassen haben", bereits hatte ich ihm den Rücken zugedreht und rannte die Strasse zurück, die wir Minuten zuvor entlang gelaufen waren.

Eissplitter - Kalt wie SchneeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt